Forschung in GriechenlandNicht nur Oliven und Hotelbetten
03.01.2014 · Dass manche griechische Forschungseinrichtung in Europa zur Spitze zählt, ist außerhalb von Fachkreisen kaum bekannt. Könnten diese Institute zur wirtschaftliche Erholung ihres Landes beitragen?
Von MICHAEL MARTENS, ATHEN
Dass Griechenland eine Atommacht ist, wird viele überraschen. Aber seit 1959 trifft diese Feststellung zu – zumindest für die zivile Forschung. Damals schenkten die Vereinigten Staaten der griechischen Regierung einen Forschungsreaktor, der zur Grundausstattung eines der bis heute in Griechenland und Europa führenden wissenschaftlichen Institute wurde. Das „Nukleare Forschungszentrum Demokritos“ in Athen, benannt nach dem antiken griechischen „Atomphilosophen“ Demokrit, beschäftigte sich anfangs vor allem mit der zivilen Nutzung der Atomenergie. Die atomare Anschubhilfe Washingtons in Zeiten des Kalten Krieges hatte auch zur Folge, dass erstmals in der griechischen Geschichte renommierte Wissenschaftler das Land nicht verließen, sondern dorthin zurückkehrten. Mehr als ein halbes Jahrhundert später gehört das mittlerweile aus acht Instituten bestehende Zentrum in vielen Forschungszweigen zu den führenden Einrichtungen in der EU. Auf dem weitläufigen Gelände von „Demokritos“ in Athen wird auf hohem und höchstem Niveau zu Nuklearphysik, Nukleartechnologie, Strahlenschutz, Materialwissenschaften, Mikroelektronik, Nanotechnologie, Pharmazeutik und anderen Fachgebieten geforscht.
Auch einige andere griechische Forschungseinrichtungen gehören zur europäischen Spitze, so die 1983 gegründete „Stiftung für Forschung und Technologie Hellas“ (Forth) in Heraklion auf Kreta mit Schwerpunkten unter anderem in der Lasertechnologie und der Molekularbiologie sowie das seit 2000 bestehende „Zentrum für Forschung und Technologie“ (Certh) in Thessaloniki, wo beispielsweise zu Telematik oder Chemieverarbeitung gearbeitet wird. Dass diese Einrichtungen zur europäischen Spitze gehören, ist außerhalb von Fachkreisen kaum bekannt. Doch gerade diese Institute könnten einen wichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen Erholung Griechenlands leisten, sagt Alexander Kritikos, Forschungsdirektor am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung Berlin und Professor für Industrieökonomik an der Universität Potsdam. „Nur durch das Kürzen von öffentlichen Ausgaben und Löhnen allein wird Griechenland nicht wieder auf die Beine kommen“, stellt Kritikos fest. Zwar seien die von der Troika aus EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds geforderten Reformen ein wichtiger Bestandteil der Modernisierung Griechenlands. Doch Strukturreformen und die Stärkung der immer wieder genannten potentiellen Wachstumsbranchen Tourismus und Landwirtschaft seien einfach nicht genug, um Griechenland wieder auf einen anhaltenden Wachstumspfad innerhalb der Eurozone zu bringen. Es müsse für das Land auch darum gehen, in der Wertschöpfungskette aufzusteigen. Griechenland muss, verkürzt formuliert, mehr anbieten als Oliven und Hotelbetten.
Es fehlt die Verbindung zur Wirtschaft
Und es hat auch mehr zu bieten. Das Potential seiner Forschungsinstitute ist längst nicht ausgeschöpft. „Die gute Nachricht ist, dass man hier nicht von null anfangen muss. Es gibt versteckte Aktivposten in Griechenland, die nur besser genutzt werden müssen“, sagt Kritikos. Allerdings ist die potentiell gute Nachricht mit vielen nicht nur potentiell schlechten gekoppelt. Um als industrienaher Wissenschaftsstandort an Bedeutung zu gewinnen, müsste Athen deutlich mehr Geld für Forschung und Entwicklung ausgeben. Derzeit macht das entsprechende Budget weniger als 0,7 Prozent der griechischen Jahreswirtschaftsleistung aus, was zu den schlechtesten Werten in der EU gehört. Deutschland gab zuletzt knapp 2,85 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung aus. Auch die beiden anderen südlichen Problemländer Spanien (1,33 Prozent) und Portugal (1,5 Prozent) lagen deutlich über dem griechischen Wert. Der wird in der EU nur von wenigen Ländern, darunter von Griechenlands balkanischen Nachbarn Bulgarien und Rumänien, noch unterboten.
Erschreckend ist laut Kritikos zudem, dass Griechenland im jüngsten von der Europäischen Kommission erstellten Innovationsindex sogar noch weiter zurückgefallen ist. Dabei müsse Abhilfe nicht immer teuer sein: „Griechenland hat kein innovationsfreundliches Umfeld. In der Technologiebranche tätige Firmen sehen sich zahlreichen Hindernissen ausgesetzt. Das ließe sich zumindest theoretisch ohne großen Kostenaufwand ändern.“ Tatsächlich hat eine umfangreiche, dabei aber nicht effektive Bürokratie viele erfolgreiche griechische Technologieunternehmen ins Ausland getrieben. Firmen wie das Internetunternehmen Velti, das die Suchpfade von Internetnutzern analysiert, damit seine Kunden maßgeschneiderte Anzeigen auf Smartphones und andere Geräte liefern können. Eine Reihe bekannter und weniger bekannter Unternehmen wie MobileFX, Globo, InternetQ oder Lykos sind ganz oder teilweise griechischen Ursprungs, haben ihren Sitz aber in Länder mit unternehmensfreundlicherem Umfeld verlegt. „Diese Firmen haben Griechenland verlassen, weil die Regulierungen sie stranguliert haben, weil es zu aufwendig oder zu teuer wurde, die bürokratischen Hürden zu überwinden“, berichtet Kritikos. Daher seien es heute nicht griechische, sondern ausländische Unternehmen wie Dow Chemical, BP, Daimler, Bayer oder Toyota, die die Forschungsergebnisse griechischer Institute nutzten.
Mit solchen Konzernen kann Griechenland zwar ohnehin nicht aufwarten, doch es gibt noch immer eine beachtliche Anzahl kleiner Unternehmen, die in einer innovativen Nische international mithalten können oder es könnten, wären die Bedingungen besser. Außerdem gibt es überall auf der Welt hervorragende griechische Wissenschaftler in der Diaspora, die sich bei entsprechenden Rahmenbedingungen für eine Rückkehr gewinnen ließen. „Griechenland ist das einzige Land der Eurozone, das mehr Wissenschaftler in andere europäische Länder exportiert, als es im Lande zu halten in der Lage ist“, stellt der deutsche Wirtschaftswissenschaftler mit griechischen Wurzeln fest. Gemeinsam mit griechischen Kollegen hat Alexander Kritikos eine Art Fahrplan mit genauen Schritten zur Stärkung der Forschung in Griechenland entwickelt. Dazu gehört die stärkere Förderung der bestehenden Einrichtungen, vorzugsweise in Kooperation mit ausländischen Forschungsinstituten, sowie die engere Vernetzung von Forschung und Wirtschaft. „Aber das wird nur funktionieren, wenn Universitäten wie Institute unabhängig von politischem Einfluss arbeiten und autonom über ihre Forschungsbudgets entscheiden können“, schränkt er die Erfolgsaussichten der Vorschläge vorsorglich ein. „Angesichts der Partikularinteressen einzelner Gruppen auf allen Ebenen wird es nicht einfach sein, einen solchen Plan in Griechenland durchzusetzen“, gibt Kritikos zu. Aber die Vorschläge stehen im Raum – und sie haben viele Anhänger.
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