Fluchtwelle aus EritreaEin Bericht aus der Hölle
Hunderttausende Eritreer fliehen vor lebenslangem Militärdienst, Terror und Verfolgung. Die Lage in ihrer abgeschotteten Heimat wird immer bedrohlicher. Als Flüchtlinge kommen sie nach Europa, viele bleiben in Deutschland.
13.10.2015, von LEONIE FEUERBACH
© DPAViele Fluchtgründe: eine im neunten Monat schwangere Frau aus Eritrea Mitte September nach einer Rettungsmission im Notlazarett der Fregatte „Schleswig-Holstein“
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Aus keinem Land Afrikas fliehen so viele Menschen wie aus Eritrea. 360.000 waren es letztes Jahr – bei einer Bevölkerung von gerade einmal fünf Millionen. Nur aus Syrien und Afghanistan kamen mehr Menschen nach Europa. Sie fliehen vor Assad, dem „Islamischen Staat“ und den Taliban. Die Eritreer fliehen vor dem Diktator Isayas Afewerki, der seit fast 25 Jahren an der Macht ist. Über ihn und die Lage in Eritrea ist vergleichsweise wenig bekannt.
Das liegt nicht nur daran, dass das kleine ostafrikanische Land für den Westen wirtschaftlich nicht sonderlich interessant ist. Sondern auch daran, dass es sich abschottet. Auf der Rangliste der Pressefreiheit von „Reporter ohne Grenzen“ belegt Eritrea seit Jahren den letzten Platz. Die Diktatur lässt kaum internationale Beobachter und ausländische Journalisten ins Land. Deshalb dringt nur wenig von dem, was dort geschieht, nach außen. „Nordkorea Afrikas“ wird das Land nicht nur deshalb oft genannt.
Vereinte Nationen: Ein Bericht aus der Hölle
Ein UN-Bericht über Eritrea aus diesem Sommer liest sich wie ein Bericht aus der Hölle. Er basiert zu großen Teilen auf Schilderungen von Flüchtlingen, denn die Menschenrechtsbeauftragte der Vereinten Nationen für Eritrea wurde nicht ins Land gelassen. Der Bericht spricht von Tötungen, willkürlichen Verhaftungen, Folter und Vergewaltigungen. Menschen werden in Straflager, Erdlöcher oder Schiffscontainer gesperrt, heißt es dort.
Bei einer Frankfurter Asylberatung erzählt ein 36 Jahre alter Eritreer, er sei grundlos mehr als zweieinhalb Jahre lang in einer Zelle, kaum größer als sein Körper, in Hand- und Fußfesseln gefangen gehalten worden. „Sie fesseln dich, schlagen dich von beiden Seiten aufs Gesicht, dass es in deinen Ohren klingelt, du keine Luft mehr bekommst, vergisst, wo du bist.“
Von solchen willkürlichen Verhaftungen sind einige Unglückliche betroffen, vom Militärdienst hingegen jeder einzelne Eritreer. Er ist der wichtigste Fluchtgrund. Im UN-Bericht wird er als Versklavung auf unbestimmte Zeit beschrieben; Männer und Frauen zwischen 18 und 50 können jederzeit eingezogen werden. So hat die Diktatur die absolute Kontrolle über ihre Bürger. Der offizielle Grund der Massenmobilisierung lautet: eine drohende äthiopische Invasion.
Dreißig Jahre lang kämpfte Eritrea für die Unabhängigkeit von seinem großen Nachbarn. 1998, nur fünf Jahre nachdem sie erreicht war, kam es wieder zum Krieg zwischen den beiden Ländern. Seither hält Äthiopien einen Streifen eritreisches Land besetzt. In Eritrea herrscht deshalb permanenter Ausnahmezustand. Die 1997 verabschiedete Verfassung ist nie in Kraft getreten, die für 2001 angesetzte Wahl bis heute nicht nachgeholt worden.
Drangsaliert im Zwangs-Militärdienst
Zwei Eritreer, 26 und 29 Jahre alt, die vor einem Jahr nach Deutschland geflohen sind, erzählen, dass sie sich von ihrem 18. Geburtstag an vor dem Militär versteckt haben. Irgendwann wurden sie dann gefunden, ins Militärlager gebracht und nach Fluchtversuchen ins Gefängnis gesteckt. Gefängnis, Militärlager, Flucht, Rückkehr ins Heimatdorf, Verrat durch Spitzel, Gefängnis, Militär: So ging es über Jahre. Wobei sich Gefängnis und Militärlager kaum voneinander unterschieden: „Du musst barfuß durch die Wüste marschieren, kriegst kein Wasser, wirst behandelt wie ein Tier. Wenn du sie fragst, warum sie das tun, binden sie deine Hände und Füße zusammen und legen dich in den Wüstensand“, sagt der Jüngere der beiden.
Überprüfen lassen sich solche Aussagen nicht. Experten erscheinen sie aber glaubhaft. Zwischen zwei- und dreihunderttausend Menschen sollen momentan in dem kleinen Land Wehrdienst leisten. Teils bewachen sie die Grenze zu Äthiopien, teils bauen sie Straßen oder arbeiten auf den Feldern der Generäle. Für viele von ihnen gibt es aber schlicht keine Verwendung. Sie werden im Militärdienst dennoch derartig drangsaliert, dass die Angst vor dem Regime ihr Leben und das ihrer Familien bestimmt, und sie sich niemals dagegen auflehnen würden.
Wer protestiert, verschwindet für immer
Diese Unterdrückung, berichten Journalisten und Wissenschaftler, die ins Land gelassen werden, sei nicht auf den ersten Blick erkennbar: Die Straßen der eritreischen Hauptstadt säumen italienische Kolonialbauten, Palmen und Cafés. Es werden keine Journalisten verhaftet – es gibt einfach seit Jahren keine mehr. Medien wie Twitter und Facebook werden von der eritreischen Regierung, im Gegensatz zur äthiopischen, nicht gesperrt. Das ist auch nicht nötig, weil das Internet so langsam ist, dass sie ohnehin nicht funktionieren. Und wer es wagt, den Diktator zu kritisieren, dem wird nicht öffentlich der Prozess gemacht. Sondern er verschwindet einfach von einem Tag auf den anderen spurlos.
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