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Freitag, 2. Oktober 2015

Vor dem russischen Eingreifen in das Kriegsgeschehen setzten türkische Kampfjets an der syrischen Grenze faktisch ein Flugverbot gegen Asads Armee durch. Ob Ankara mit demselben Selbstvertrauen russische Flugzeuge abweisen würde, ist fraglich.

Russische Intervention in Syrien
Moskau greift Asads Gegner an

Für die russische Intervention in Syrien hat die Stärkung des Regimes Asad Priorität. Unterschiede zwischen dem IS und anderen Rebellen werden dabei bewusst verwischt.
Rebellen in Hass verbreiten dieses Bild als Beleg, dass sie von der russischen Luftwaffe angegriffen wurden.
Rebellen in Hass verbreiten dieses Bild als Beleg, dass sie von der russischen Luftwaffe angegriffen wurden. (Bild: Khalil Ashawi / Reuters)
Die ersten russischen Luftangriffe in Syrien haben im Westen Empörung ausgelöst. Bis jetzt deutet alles darauf hin, dass Russland in erster Linie Rebellengebiete und nicht den IS angegriffen hat, obwohl es Schläge gegen IS-Positionen verkündete. Überraschend ist dies nicht. Moskau gab von Anfang an zu, Asads Regime zu unterstützen. Für das Regime sind die Rebellen die grössere Bedrohung als der IS, der seinerseits auch die Aufständischen bekämpft. Moskau erklärte, man habe die Angriffe in Koordination mit Damaskus durchgeführt.

CIA-gestützte Rebellen als Ziel?

Die staatliche syrische Nachrichtenagentur Sana nannte mehrere Gebiete, in denen die syrischen Sicherheitskräfte zusammen mit der russischen Luftwaffe Angriffe ausgeführt hätten. Erwähnt wurde Talbisa, wo oppositionelle Aktivisten am Mittwoch 33 durch einen russischen Luftangriff getötete Zivilisten meldeten. Russland verneinte Kenntnis von zivilen Opfern. In der Gegend um Talbisa nördlich von Homs sind verschiedene Rebellengruppen aktiv. Die Gegend wird nicht vom IS kontrolliert. Nach einer Waffenruhe in Homs letztes Jahr hatten die dortigen Aufständischen die Stadt geräumt und sich nach Norden bewegt. Dorthin hat sich seither auch die Frontlinie verschoben.
Einwohner von Maarat Al-Nouman inspizieren zerstörte Häuser. Sie sollen durch eine Fassbombe von Präsident Bashar al-Asad nahestehenden Kräften zerstört worden sein (29.9.).
Dieses Haus in Maarat Al-Nouman soll bei demselben Angriff von einer Fassbombe beschädigt worden sein (29.9.).
Schwarzer Rauch steigt auf, nachdem die Ortschaft Talbiseh in der Provinz Homs bei Luftangriffen getroffen wurde. Russische Kampfjets haben erstmals den Westen Syriens angegriffen. Moskau behauptet, es seien Stellungen des IS gewesen. Washington widerspricht dem: Es seien Angriffe in einem Gebiet geflogen worden, das vorwiegend von Rebellen kontrolliert werde, die vom amerikanischen Geheimdienst CIA Unterstützung erhalten (30.9.)
Die Kriegslage in Syrien ist unübersichtlich und brandgefährlich: Momenten fliegen dort unter anderem die britische, die französische, die amerikanische und die russische Luftwaffe unkoordinierte Angriffe. Eine Absprache zwischen den Grossmächten ist dringend nötig, um Kollisionen zu verhindern. (mi.) Alle Bilder anzeigen
Vom IS bedroht ist dagegen Salamiya nordöstlich von Homs, wo laut Sana ebenfalls Angriffe stattfanden. Diese könnten sich gegen eine IS-Front gerichtet haben. Weiter berichteten Rebellen von Angriffen auf Latamina, was russische Blogger durch die Analyse offizieller russischer Videoaufnahmen eines Luftangriffes bestätigten . Der Anführer der Rebellengruppe Tajammu al-Aaza beklagte einen Angriff auf deren Basis in Latamina. Die Gruppe wird vermutlich von Washington unterstützt und als moderat eingestuft. Amerikanische Regierungsvertreter sagten gegenüber dem «Wall Street Journal» , Russland habe eine von der CIA unterstützte Rebellengruppe angegriffen. Am Donnerstag gab es Angriffe bei Jisr al-Shughur , wo Rebellen Richtung Latakia vordringen könnten. Die Gegend um Latakia ist die Heimat von Präsident Asads Clan. Zudem befinden sich dort eine russische Abhörstation und eine Marinebasis. Laut Beobachtern sind bei Jisr al-Shughur auch tschetschenische Jihadisten aktiv, die die russischen Angriffe nicht unbeantwortet lassen dürften.
Eine der stärksten Gruppierungen in der Gegend ist die Nusra-Front, die syrische Kaida. Während die Kaida und ihr Ableger eine transnationale Agenda im Sinn haben, geht es den anderen Rebellen um die Befreiung Syriens von Asad. Moskau sagt, dass sich seine Angriffe nicht auf den IS beschränkten, sondern auch anderen Extremisten gälten. Die Unterscheidung zwischen der Kaida, dem IS und Rebellen mit einer syrischen Agenda wird von Moskau bewusst verwischt. Dass Putin so viel von der Bekämpfung des IS spricht, ist Rhetorik. Sein Ziel ist die Stärkung des Regimes an jenen Frontlinien, wo dieses am meisten bedrängt ist – egal ob durch den IS, die Kaida oder andere Aufständische.

Keine Strategie für Syrien

Offenbar haben die Russen die amerikanische Botschaft in Bagdad sowie auch die Israeli, welche manchmal im Süden Syriens eingreifen, über ihre Luftangriffe vorab informiert. Derzeit fliegen unter anderem die Amerikaner, Briten und Franzosen halbherzig Luftangriffe gegen Stellungen des IS. Washington zeigte sich verärgert über die russischen Angriffe auf syrische Rebellen. Die USA haben jedoch selber keine klare Strategie für Syrien. Ihr Programm zum Aufbau von Rebellen ist gescheitert – unter anderem, weil es an die Auflage geknüpft war, dass diese gegen den IS und nicht gegen Asad kämpfen. Moskau und Washington wollen sich künftig absprechen, um Kollisionen zu vermeiden.

Ankara nähert sich der Realität an

Die Position der türkischen Regierung schien in Stein gemeisselt: keine Lösung in Syrien mit Bashar al-Asad. Letzte Woche wich Präsident Recep Tayyip Erdogan von dieser Linie ab. Eine Übergangslösung könne Asad einschliessen, meinte er nach einem Besuch in Moskau. Ministerpräsident Ahmet Davutoglu warnte derweil: Beziehe man Asad in einer Übergangsphase ein, werde daraus ein temporäres Arrangement. Das letzte Wort wird Erdogan haben.
Ankara steht vor der schwierigen Aufgabe, seine Syrien-Politik der Realität anzupassen. Ein Festhalten an der bisherigen Linie würde wohl bedeuten, dass man ohne die Türkei mit Damaskus verhandelt. Wenig Rückhalt findet Davutoglu auch für die anvisierte Sicherheitszone auf syrischem Boden, in die Flüchtlinge zurückgeführt werden sollen.
Vor dem russischen Eingreifen in das Kriegsgeschehen setzten türkische Kampfjets an der syrischen Grenze faktisch ein Flugverbot gegen Asads Armee durch. Ob Ankara mit demselben Selbstvertrauen russische Flugzeuge abweisen würde, ist fraglich. Aus der Nähe schaute es bereits mit an, wie das syrische Regime aufgerüstet wurde: In erhöhter Kadenz fuhren russische Kriegsschiffe vom Schwarzen Meer durch den Bosporus ins Mittelmeer. Der Verdacht liegt nahe, dass sie den syrischen Hafen Tartus ansteuerten.

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