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Mittwoch, 6. April 2016

Panama Papers Die Steueroasen Ihrer Majestät Die brisanten neuen Offshore-Dokumente stammen aus Panama. Doch sie zeigen: Weltmarktführer in Sachen Steueroasen ist jemand ganz anderes.

Panama PapersDie Steueroasen Ihrer Majestät

Die brisanten neuen Offshore-Dokumente stammen aus Panama. Doch sie zeigen: Weltmarktführer in Sachen Steueroasen ist jemand ganz anderes.
 von LONDON
© REUTERSDie Kanzlei Mossack Fonseca in Panama soll hunderttausende Gesellschaften gegründet haben – noch bedeutender als Panama sind aber britische Überseegebiete als Steueroasen.
Das Hauptstädtchen namens Road Town zählt rund 9000 Einwohner, die Landfläche der Inselgruppe ist kleiner als das Stadtgebiet von Frankfurt, und das Netz an befestigten Straßen umfasst überschaubare 110 Kilometer: Die Britischen Jungferninseln mit ihren palmenbestandenen Sandstränden sind nur winzige Fleckchen Erde in der Karibik. Aber auf der Weltkarte des großen Geldes ist der Archipel ein Riese - die diskrete Steueroase ist Weltmarktführer im Geschäft mit Briefkastenfirmen.
Diese seltsamen Unternehmen bestehen meist aus nicht viel mehr als einem Handelsregistereintrag und einer Postadresse. Konzerne zum Beispiel pumpen mit ihrer Hilfe Gewinne durch die Schlupflöcher des internationalen Steuerrechts - umstritten, aber häufig völlig legal. Viele Briefkastengesellschaften sind zudem so aufgebaut, dass ihre wahren Eigentümer anonym bleiben. Wer reich ist und sein Vermögen vor neugierigen Blicken oder dem Finanzamt verbergen will, weiß das zu schätzen. Kriminelle aus aller Herren Länder nutzen Briefkastenfirmen als Geldwaschanlagen für Korruptionsgelder und andere illegale Zahlungsströme.
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2 Millionen Briefkastenfirmen auf der Welt

Wie wichtig die Britischen Jungferninseln im globalen Geschäft mit Briefkastenfirmen sind, haben zu Wochenbeginn die Enthüllungen eines internationalen Journalisten-Rechercheverbunds bestätigt: Den Medien wurden Dokumente von rund 214.000 Briefkastenfirmen zugespielt - und mehr als die Hälfte dieser Gesellschaften haben ihren Sitz auf den Jungferninseln. Die Dokumente stammen von der Anwaltskanzlei Mossack Fonseca, welche die Briefkastenfirmen im Kundenauftrag gegründet haben soll. Der Vorwurf: Die Kanzlei aus Panama habe ihren Klienten dadurch Steuerhinterziehung undGeldwäsche ermöglicht.
Infografik / Die großen Offshore-Zentren© F.A.Z.Vergrößern
Mossack Fonseca ist nur einer von vielen Dienstleistern der Offshore-Branche. In den veröffentlichten Dokumenten sollen die Namen von Politikern, Sportlern, reichen Privatleuten, Sportstars, Waffenhändlern und Betrügern auftauchen - darunter etwa Vertraute des russischen Präsidenten Wladimir Putin und international geächtete Geschäftsleute wie der Vetter des syrischen Diktators Baschar al Assad, der Fußballstar Lionel Messi und Funktionäre des von einem Korruptionsskandal erschütterten Weltfußballverbands Fifa.
„Auf der Welt gibt es rund zwei Millionen Briefkastenfirmen, die aktiv genutzt werden“, sagt der Wirtschaftsanwalt Martin Kenney. „Eine halbe Million davon sind auf den Britischen Jungferninseln eingetragen.“ Deshalb ist auch Kenney mit seiner Kanzlei dort, denn er verdient sein Geld als eine Art Finanzdetektiv. Der Jurist ist ein Mann für die ganz großen Fälle: Im Auftrag der Gläubiger spürt er beispielsweise den verschwundenen Milliarden der amerikanischen Mega-Finanzgauner Allen Stanford und Bernard Madoff nach.
© DPA, AFP„Panama Papers“ enthüllen weltweiten Finanzskandal
Orte wie die Britischen Jungferninseln werden „Offshore-Finanzzentren“ genannt. Ihr gemeinsames Merkmal: Sie haben einen im Verhältnis zur eigenen Größe extrem überdimensionierten Finanzsektor, dessen Kunden ganz überwiegend keine Einheimischen sind. Eine Briefkastengesellschaft zu gründen ist nicht verboten. Es gibt legitime Gründe dafür, sie zu nutzen, das räumen auch die Gegner der Offshore-Branche ein.
Fakt ist allerdings auch, dass solche Gesellschaften regelmäßig für illegale Zwecke genutzt werden. „Offshore-Zentren helfen Ausländern dabei, die in ihrem eigenen Land geltenden gesellschaftlichen Normen zu umgehen, egal, ob es dabei um das Steuerrecht, die Finanzmarktregulierung oder andere Regeln geht“, sagt der britische Offshore-Experte Nicholas Shaxson, Autor des Standardwerks „Schatzinseln“. Die exotischen Finanzplätze verlangen keine Steuern auf Unternehmensgewinne, und sie bieten ihren Kunden Anonymität. Diese Kombination zieht große Geldsummen magnetisch an - legale wie illegale. Erforscht ist diese Welt nur in Ansätzen. Schon die Schätzungen darüber, wie viel Geld „offshore“ verborgen gehalten wird, gehen weit auseinander. Sie reichen von einigen Billionen bis zu mehr als 30 Billionen Dollar - eine Summe, doppelt so groß wie die jährliche Wirtschaftsleistung der 28 EU-Staaten zusammen. Allein im vergangenen Jahr wurden in führenden Offshore-Zentren fast 100 000 neue Briefkastenfirmen gegründet.
Aber die Jungferninseln sind kein autarkes tropisches Piratennest im Nirgendwo der Weltmeere. Die Steueroase ist Teil eines ganzen Netzes von Offshore-Zentren, dessen Fäden zusammenlaufen in Europas Finanzhauptstadt: in London. Denn die Inselgruppe ist eines von vierzehn britischen Überseegebieten. Die halbautonomen Staatsgebilde in der Karibik und anderswo sind quasi die letzten Außenposten des einstigen britischen Kolonialreichs. Bis heute ist Königin Elisabeth II. auch das Staatsoberhaupt der Überseegebiete und beruft deren Gouverneure.
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In der Welt der Offshore-Finanzen ist Großbritannien noch immer eine Supermacht. Kein anderes Land verfügt über ein so großes Netz an Steueroasen - eine Art zweites Empire. Schätzungen zufolge entfällt heute knapp ein Viertel des globalen Offshore-Geschäfts auf den britischen Einflussbereich. Neben den Jungferninseln zählen weitere führende Steueroasen wie die Kaimaninseln und die Bermudas zu den britischen Überseegebieten.
Hinzu kommen die drei sogenannten Kronbesitzungen: Die Kanalinseln Jersey und Guernsey sowie die Isle of Man in der Irischen See sind ebenfalls beliebte Anlaufstellen für reiche Leute und Unternehmen aus aller Welt, die Anonymität und „Steuerneutralität“ schätzen. Beispiel Jersey: Die Kanalinsel mit rund 100.000 Einwohnern verwaltet Vermögen von 1,2 Billionen Pfund - das 300-fache der Wirtschaftsleistung der kleinen Insel.
Aber das Geld bleibt nicht auf Jersey, den Jungferninseln oder anderen britischen Offshore-Zentren. Stattdessen fließen die Milliarden nach London oder in andere internationale Finanzzentren. „Diese Inseln sind faktisch Zweigstellen der City of London. Sie sorgen dafür, dass internationale Anlagegelder nach London fließen“, sagt Richard Murphy, Professor für politische Ökonomie an der Londoner City University und einer der einflussreichsten Steueraktivisten in Europa.
Deshalb sind die brisanten Offshore-Enthüllungen aus Panama auch das Problem des britischen Premierministers David Cameron. „Großbritannien ist mit seinem Offshore-Netz der Marktführer. Wenn Cameron glaubwürdig bleiben will, muss er jetzt mehr Transparenz durchsetzen“, sagt der Geldwäsche-Experte Robert Palmer von der Organisation Global Witness. Die Regierung in London hat von dem Journalisten-Netzwerk eine Kopie der Panama-Dokumente erbeten. Man wolle die Daten prüfen und „rasch und angemessen handeln“, hieß es.
Cameron hat bereits in der Vergangenheit den Druck auf die halbautonomen Steueroasen Ihrer Majestät erhöht: Gegen deren erbitterten Widerstand will er die britischen Offshore-Zentren zwingen, die wahren Eigentümer ihrer Briefkastengesellschaften in einem öffentlichen Firmenregister publik zu machen. Für Mai hat der Brite einen internationalen Antikorruptionsgipfel in London angekündigt.
Die Panama-Enthüllungen bringen Cameron unter Zugzwang: Er könne sich nicht als Vorkämpfer gegen Geldwäsche und Korruption inszenieren und gleichzeitig die hochgradig intransparenten Geschäftspraktiken der britischen Offshore-Zentren weiter tolerieren, kritisiert Robert Palmer von Global Witness. „Wenn Cameron sich nicht blamieren will, muss er den Worten Taten folgen lassen“, sagt er. Eine ironische Randnotiz der jetzt veröffentlichten Offshore-Dokumente: Sie enthalten auch den Namen von Camerons verstorbenem Vater Ian, der ebenfalls Offshore-Gesellschaften zum legalen Steuersparen genutzt haben soll.
Die Offshore-Branche selbst verteidigt das ausgeprägte Anonymitätsbedürfnis ihrer Kundschaft. „Die jetzt veröffentlichten Dokumente enthalten viele unbelegte Anschuldigungen“, sagt der Lobbyist Geoff Cook, Chef des Branchenverbands Jersey Finance. Wer auf Diskretion wert lege, sei deshalb noch lange kein Krimineller. „Viele unserer Kunden kommen nun mal aus labilen Regionen der Welt“, sagt er. Reiche Leute aus solchen Ländern hätten „ein legitimes Interesse an einem angemessenen Maß an Vertraulichkeit“. Sie könnten in der Heimat schnell zur Zielscheibe von Kidnappern und Erpressern werden oder müssten gar fürchten, enteignet zu werden, wenn ihre Vermögensverhältnisse publik würden, argumentiert Cook.

„Ich hatte mit Russen zu tun“

Aber die Offshore-Welt hat eben auch eine dunkle Seite: Experten der Weltbank in Washington haben 2011 insgesamt 213 große Korruptionsfälle aus drei Jahrzehnten analysiert. Das Ergebnis ihrer Untersuchung: In 70 Prozent der Fälle haben die Täter anonyme Briefkastengesellschaften in Offshore-Zentren genutzt, um ihre Machenschaften zu verschleiern. Am häufigsten wählten sie dafür britische Überseegebiete als Standort.
„Ich hatte mit Russen zu tun, die Tausende von Briefkastengesellschaften kontrollierten“, sagt Gregory Coleman, ein früherer Ermittler der amerikanischen Bundespolizei FBI. Er hat ein Vierteljahrhundert lang Jagd auf Finanzbetrüger gemacht und unter anderen den Geldanlage-Ganoven Jordan Belfort überführt - Vorbild für den von Leonardo DiCaprio gespielten Schurken aus dem Film „The Wolf of Wall Street“. Heute leitet er Seminare, in denen er Bankern erklärt, wie man Geldwäsche-Geschäfte erkennt.
„Entwicklungs- und Schwellenländer sind die größten Opfer des Missbrauchs, der in Offshore-Finanzzentren betrieben wird“, sagt Alex Cobham, Forschungsdirektor der Lobbygruppe Tax Justice Networks. Die kenianische Denkfabrik African Economic Research Consortium schätzt, dass in den drei Jahrzehnten bis 2010 allein aus 39 afrikanischen Staaten 1,3 Billionen Dollar in Offshore-Finanzzentren geflossen sind.
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Warum ist gerade Großbritanniens Offshore-Netz so erfolgreich? Mit Null-Besteuerung locken schließlich viele exotische Finanzplätze rund um den Globus. Der entscheidende Wettbewerbsvorteil sei die politische Stabilität und Rechtssicherheit durch die Anlehnung der Überseegebiete und Kronbesitzungen an Großbritannien, sagt der Anwalt Kenney von den Britischen Jungferninseln.
„Ich habe noch nie davon gehört, dass hier ein Richter bestochen worden wäre“, sagt er. Deshalb sind die Inseln auch als neutraler rechtlicher Standort für Gemeinschaftsunternehmen mit internationalen Partnern beliebt. Großbritanniens Offshore-Zentren mögen Tausende von Kilometern von London entfernt liegen, aber letzte Berufungsinstanz bei Rechtsstreitigkeiten ist ein Gericht in der britischen Hauptstadt.
Investoren haben die beruhigende Gewissheit: Wenn die Dinge auf den britischen Außenposten in der Karibik wirklich einmal aus dem Ruder laufen, greift London durch. So geschehen auf den Turks- und Caicosinseln, die 2009 nach einem Korruptionsskandal vorübergehend unter Kuratel gestellt wurden. Auch Kriminelle wüssten das zu schätzen, berichtet Kenney. „Es ist ein interessantes Paradoxon“, sagt er. „Gauner mögen für ihre Geschäfte Orte, in denen auf Recht und Gesetz Verlass ist, und das britische Rechtssystem hat nun mal international einen guten Ruf.“ Der Offshore-Kritiker Shaxson drückt es drastischer aus: „Das Versprechen an die Kunden lautet: Wir bestehlen euch nicht, aber es ist uns egal, wenn Ihr andere bestehlt.“
 
Steueroasen-Weltmarktführer ist nicht Panama.
 
„Auf der Welt gibt es rund zwei Millionen Briefkastenfirmen, die aktiv genutzt werden.“
Allerdings sind die Zeiten für die königlichen Steueroasen schwieriger geworden. Im Februar stufte die Ratingagentur Standard & Poor’s die Bonitätsnoten von Jersey und Guernsey herunter, weil ein wachsender internationaler Druck das „Niedrigsteuer-Regime“ der Kanalinseln bedrohe. Neue Regelungen zum internationalen Austausch von Steuerdaten wie das amerikanische Foreign Account Tax Compliance Act (FATCA) und die sogenannten Common Reporting Standards (CRS) der OECD machen es Steuerhinterziehern nicht nur auf Jersey und Guernsey schwerer als bisher. Eine ebenfalls von der OECD propagierte Verpflichtung zum Ausweis länderbezogener Unternehmens-Kennzahlen - im Fachjargon „country by country reporting“ genannt - soll die legalen Steuertricksereien von Großkonzernen eindämmen.
Anthony Travers, der Verwaltungsratschef der Börse auf den Kaimaninseln, hat die ständigen Negativschlagzeilen gründlich satt. Viele Anschuldigungen sind für ihn bloße „Märchengeschichten“ und „aberwitzige Behauptungen“, die Forderungen der großen Industriestaaten nach mehr Transparenz pure Heuchelei. Auf den Kaimaninseln seien die Regularien weit strikter als etwa im amerikanischen Bundesstaat Delaware, einer so populären wie undurchsichtigen Adresse für Briefkastengesellschaften - nur drei Autostunden südlich von New York.
Der Jurist und Offshore-Veteran Travers, Träger des britischen Verdienstordens Order of the British Empire, ist einer der wichtigsten Männer in der Finanzbranche der Kaimaninseln - und einer der scharfzüngigsten. Understatement ist seine Sache nicht. Wer ihn fragt, wie es um das karibische Offshore-Zentrum stehe, bekommt eine unverblümte Antwort: „Die radikale Linke behauptet ja, wir stünden kurz vor dem Kollaps“, sagt Travers. „Aber wissen Sie was: Die Geschäfte hier laufen hervorragend.“

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