Gedicht von Günter Grass zur Griechenland-Krise Europas Schande
25.05.2012, 17:45
"Dem Chaos nah, weil dem Markt nicht gerecht..." In einem
zornigen Gedicht äußert sich Nobelpreisträger Günter Grass zur
Griechenland-Krise. Europa stelle das Land, in dem die europäische Idee
einst geboren wurde, an den Pranger, beraube es seiner Rechte und
verurteile es zu Armut, klagt er. Und der Dichter zeigt Verständnis für
die Wut der Griechen.
Europas Schande Ein Gedicht von Günter Grass
Dem Chaos nah, weil dem Markt nicht gerecht,
bist fern Du dem Land, das die Wiege Dir lieh.
Was mit der Seele gesucht, gefunden Dir galt,
wird abgetan nun, unter Schrottwert taxiert.
Als Schuldner nackt an den Pranger gestellt, leidet ein Land,
dem Dank zu schulden Dir Redensart war.
Zur Armut verurteiltes Land, dessen Reichtum
gepflegt Museen schmückt: von Dir gehütete Beute.
Die mit der Waffen Gewalt das inselgesegnete Land
heimgesucht, trugen zur Uniform Hölderlin im Tornister.
Kaum noch geduldetes Land, dessen Obristen von Dir
einst als Bündnispartner geduldet wurden.
Rechtloses Land, dem der Rechthaber Macht
den Gürtel enger und enger schnallt.
Dir trotzend trägt Antigone Schwarz und landesweit
kleidet Trauer das Volk, dessen Gast Du gewesen.
Außer Landes jedoch hat dem Krösus verwandtes Gefolge
alles, was gülden glänzt gehortet in Deinen Tresoren.
Sauf endlich, sauf! schreien der Kommissare Claqueure,
doch zornig gibt Sokrates Dir den Becher randvoll zurück.
Verfluchen im Chor, was eigen Dir ist, werden die Götter,
deren Olymp zu enteignen Dein Wille verlangt.
Geistlos verkümmern wirst Du ohne das Land,
dessen Geist Dich, Europa, erdachte.
Wer vor über ein Jahrzehnt
AntwortenLöschenMauern aufbaute versperrt
den Weg in der Not.
Wer vor zwanzig Jahren
über Staaten Pleite redete
bekam nur Hohn.
Heute lachen die Verachteten zurück.
Verachtung humaner Einheit
schlägt zurück besonders
bei Überschätzung.