Schuldenkrise
Chaotischer „Grexit“ befürchtet
21.05.2012 ·
Die Analysten zahlreicher Banken fordern, die „Brandschutzmauer“
des europäischen Stabilisierungsfonds vor einem Griechenland-Austritt
massiv zu erhöhen. Sogar die Einführung einer griechischen
Parallelwährung zum Euro, dem „Geuro“, ist im Gespräch.
Von
Bettina Schulz, London
© REUTERS
Grexit: Experten grübel wie der „Austritt“ Athens aus der Währungsunion am besten bewerkstelligt werden könnte
Je mehr in der Politik über einen
etwaigen „Austritt“ Athens aus der Währungsunion gesprochen wird, desto
mehr grübeln Analysten in der Londoner City, wie der „Grexit“
bewerkstelligt werden könnte. Unabhängig von schwierigen
finanztechnischen Fragen eines Griechenland-Austritts drängen die
Analysten zahlreicher Banken darauf, dass die „Brandschutzmauer“ des
Stabilisierungsfonds EFSF/ESM von derzeit etwa 500 Milliarden Euro vor
einem „Grexit“ massiv erhöht werden müsse. Allein, um Spanien, Italien
und Belgien sicherheitshalber für 3 Jahre vom Kapitalmarkt nehmen zu
können und die Hilfsprogramme für Portugal und Irland um drei Jahre
verlängern zu können, müsse der Rahmen des ESM auf 1000 Milliarden Euro
verdoppelt werden, warnt die Deutsche Bank.
Um die Gefahr der Kapitalflucht aus Spanien und
Italien einzudämmen und die dortigen Banken mit Liquidität versorgen und
die Kreditvergabe an die Wirtschaft aufrecht erhalten zu können, müsse
die Europäische Zentralbank (EZB) ein erneutes Liquiditätsprogramm
auflegen. Die EZB müsse ihre Besicherungsanforderungen weiter lockern
und akzeptieren, dass die Target 2-Salden vorläufig in die Höhe
schießen. Dies würde wohl auch die Bundesbank als zeitweilige Konsequenz
akzeptieren, heißt es bei der Deutschen Bank.
Größeres Engagement der EZB gefordert
Diese
von Londoner Analysten formulierten Vorschläge fordern ein viel
größeres Engagement der EZB als bisher von dem scheidenden Chefvolkswirt
Thomas Mayer für richtig erachtet. Mayer hält die Einführung einer
griechischen Parallelwährung zum Euro für möglich. Der „Geuro“, so
Mayers Wortschöpfung, würde dem inländischen Zahlungsverkehr und der
Bezahlung lebensnotwendiger Einfuhren dienen und höchstens halb so viel
wert wie der Euro sein.
Die Deutsche Bank pocht zudem
darauf, dass bei einem „Grexit“ auch das Kapital der Europäischen
Investitionsbank aufgestockt werden müsse und wohl das Programm
gemeinsamer Eurobonds forciert werde. Auch solle dem Rettungsmechanismus
EFSF/ESM erlaubt werden, Banken direkt zu finanzieren. Es müsse h eine
Banklizenz für den Rettungsfonds erwogen werden. Auch sei ein
europaweites, föderales Einlagensicherungssystem notwendig. JP Morgan
meint, die EZB müsse den ESM durch den Kauf von ESM-Anleihen
finanzieren, damit dieser Italien und Spanien stützen könne.
„Grexit“ laut Bankern zu 50 Prozent wahrscheinlich
Nach
dem jüngsten Wahldebakel schätzen viele Banken in der Londoner City die
Wahrscheinlichkeit, dass Griechenland den Euro verlassen könnte, mit 50
Prozent ein. Dabei werden unterschiedliche Szenarien durchgespielt, je
nachdem, ob Griechenland oder den Kernländern der Währungsunion der
Geduldsfaden reißt. Alle sind sich jedoch einig, dass in dieser
Situation die EZB den Schlüssel in der Hand hält, auch wenn es
eigentlich ein fiskalpolitisches Problem ist. Letztlich geht es der
Londoner City darum, auszuloten, wie ein chaotischer und wie ein
geordneter „Grexit“ aussehen könnte. Dabei wäre die chaotische Variante,
dass ohne vorherige Rettungsmaßnahmen Hilfszahlungen an Griechenland
eingestellt werden oder die Kapitalflucht plötzlich eskaliert, die
griechischen Banken sich nur noch über die Notkredite (ELA) der
griechischen Notenbank refinanzieren könnten, dies wegen der
Kapitalflucht die Target 2-Salden weiter aufblähte und die EZB deshalb
Griechenland von jeglichem Kredit und vom Zugang zum
Zahlungsverkehrssystem abschneiden würde.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen