GeldpolitikEiszeit zwischen Draghi und Weidmann
16.11.2013 · Jetzt sind die Präsidenten von EZB und Bundesbank sogar in der gewöhnlichen Geldpolitik uneins. Anders als der offene Krach über Staatsanleihekäufe wird der Streit über die Zinsen nicht im Scheinwerferlicht ausgetragen.
Von LISA NIENHAUS
Bundesbankpräsident Jens Weidmann hat es nicht leicht. Unverhofft ist er eine Art Rockstar der Finanzmärkte geworden – Seite an Seite mit EZB-Präsident Mario Draghi. Vergangenen Mittwoch beklagte Weidmann das beim Wirtschaftstag der Volks- und Raiffeisenbanken – nur um gleich darauf eine der Entscheidungen der Europäischen Zentralbank zu verteidigen, die genau diesen Ruf der Notenbanker als Rockstars nährt: die unerwartete Zinssenkung der Europäischen Zentralbank auf 0,25 Prozent, fast schon ein Nullzins.
Musiker werden zu Stars, wenn sie Konflikte ausleben, die den Menschen nahegehen, wenn man sie nur lieben oder hassen kann. Am besten ist es noch, sie gehen aufeinander los. Genau das funktioniert auch bei den einst so wohltuend langweiligen Zentralbankern.
Seit sie sich um ein Thema so heillos zerstritten haben, dass gleich mehrere Männer ihre Posten hinschmissen und sogar das Verfassungsgericht angerufen wurde, sind sie prominent, umstritten, geliebt und gehasst. Erst ging es nur um den Kauf von Staatsanleihen, doch das ist längst nicht mehr alles. Seit Neustem herrscht schon in der ganz gewöhnlichen Geldpolitik keine Einigkeit mehr. Und das wird auch nach außen getragen. Der Rat der Europäischen Zentralbank, der aus dem sechsköpfigen EZB-Direktorium plus den 17 Präsidenten der nationalen Zentralbanken besteht, spaltet sich zunehmend in zwei Lager, die sich um die beiden Rockstars gruppieren: Draghi und Weidmann.
Besonders spektakulär sah man das vor zehn Tagen. Die Sitzung des Rats der Europäischen Zentralbank im 36. Stock des Euro-Towers lief zunächst wie immer: Die Direktoriumsmitglieder Peter Praet und Benoît Cœuré trugen die Fakten zur Inflation vor, die stark zurückgegangen ist – und machten einen Vorschlag: Man solle beschließen, die Zinsen zu senken, um die Inflation wieder anzuschieben. In der darauffolgenden Diskussion sprach als erstes Jens Weidmann. Er wurde sehr deutlich, lehnte die Zinssenkung zu diesem Zeitpunkt ab. Sein Vorschlag: Lieber solle man noch warten und schauen, ob die sinkende Inflation sich verfestigt. Mario Draghi hielt später dagegen, erklärte, wieso er für die Zinssenkung ist. Ruhig lief das ab, kontrolliert, ohne Wutausbrüche, man könnte auch sagen: eisig.
Am Ende stimmte ein ganzes Viertel gegen die Zinssenkung, darunter die beiden deutschen Vertreter, Jens Weidmann und Jörg Asmussen, sowie die Vertreter Österreichs und der Niederlande. Drei Viertel stimmten dafür. Seit das bekannt wurde, ist klar: Der Rat der EZB ist auch in der Geldpolitik gespalten. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die Angst vor Deflation haben, auf der anderen Seite diejenigen, die eher Inflation fürchten. Eine „signifikante Mehrheit“ habe für die Zinssenkung gestimmt, sagte Draghi in der Pressekonferenz nach der Entscheidung. Drei Viertel mögen für die gewöhnlichen Politik als signifikante Mehrheit gelten, nicht aber für die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank. Hier stimmt man gerne einstimmig, oder zumindest im Konsens. Gibt es mehrere Gegenstimmen, versuchte man bislang, das totzuschweigen.
Das klappt längst nicht mehr. Alles wird bekannt. Kein Wunder, dass die Stimmung schlecht ist in der EZB. Besonders in den Führungsgremien. Es ist ein unterkühlter Streit, der da ausgetragen wird, kalt und kontrolliert. Obwohl beide Seiten hinter den Kulissen mit aller Kraft kämpfen.
Der einzige Unterschied im Vergleich zum Krach um die Staatsanleihenkäufe ist, dass er bislang noch nicht im Scheinwerferlicht ausgetragen wird. Draghi würde die Zauderer nie öffentlich rügen. Weidmann sagt bislang öffentlich kein Wort dazu, dass und wieso er gegen die Zinssenkung war. Bei den Volks- und Raiffeisenbanken brachte ihn das in die interessante Lage, die Entscheidung, die er eigentlich nicht billigt, auf offener Bühne verteidigen zu müssen. „Der EZB-Rat macht Geldpolitik für den gesamten Euro-Raum und nicht für einzelne Länder“, sagte er. Und rechnete vor, wie viel der deutsche Staat schon dank der niedrigenZinsen gespart hat (jährlich 26 Milliarden Euro). Gleichzeitig brachte er in seiner Rede geschickt unter, welche Kritik es an der Zinssenkung gibt – immer mit Verweis auf andere Personen als Kritiker.
Die Vorsicht hat ihren Grund. Denn wenn die EZB in ihrem Kerngeschäft, der Geldpolitik, uneins ist, schürt das sofort Phantasien von Austritten aus dem Euro oder einer Spaltung in Nord und Süd. Ein Grusel für die Finanzmärkte, den keiner der Notenbanker braucht.
Aber wie lange kann man einen handfesten Streit noch mit ausgefeilten Reden übertünchen? Kommenden Freitag wird man das sehen. Da sprechen Draghi und Weidmann beide nacheinander auf einer Konferenz. Thema: „Die Zukunft Europas“.
http://jurafit.blogspot.de/2012_10_01_archive.html
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