„Cum-Ex-Trades“Milliardenschaden durch Steuertrick
17.12.2013 · Nicht nur die HSH Nordbank soll den Fiskus geschädigt haben. Durch „Cum-Ex-Trades“ entstand über Jahre ein Schaden von 10 Milliarden Euro. Erst 2012 hat der Bundestag diese Gesetzeslücke geschlossen.
Von JOACHIM JAHN
Mit dubiosen Aktiengeschäften sollen zahlreiche Banken den deutschen Fiskus über Jahre hinweg gezielt um 10 Milliarden Euro oder mehr geschädigt haben. Bei diesen „Cum-Ex-Trades“ werden Anteilsscheine kurz vor dem Tag der Hauptversammlung verkauft, an dem die meisten Konzerne eine Dividende ausschütten. Sofort danach kauft der Veräußerer die Wertpapiere zurück.
Wird dabei auch noch ein Leerverkäufer eingeschaltet (also jemand, der die Aktien schon veräußert, bevor er sie selbst überhaupt besitzt), das Geschäft außerdem über einen Händler im Ausland abgewickelt und dies noch dazu ohne Einschaltung einer Börse (Over the Counter – OTC), zahlte der Fiskus bei dem sogenannten Dividendenstripping oft drauf. Denn die Banken stellten wegen dieses Handelskarussells ihren Kunden für die Kapitalertragsteuer, die die Aktiengesellschaft auf die Ausschüttung abführen musste, je Aktie nicht bloß eine einzige Bescheinigung aus, sondern gleich zwei oder gar noch mehr. Erst zum Jahresende 2012 hat der Bundestag diese Gesetzeslage geändert; die Lücke gilt seither als geschlossen.
Schwer nachvollziehbar ist, warum sich Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) mit diesem Schritt so viel Zeit gelassen hat. Schon im Jahr 2002 wies der Bankenverband den damaligen Ressortchef Hans Eichel (SPD) auf den Aderlass hin und schlug ein Reformmodell vor, das das Schlupfloch allerdings nur halbherzig abdichtete. Als der Bundestag fünf Jahre später diese Änderung dann endlich verabschiedete, ließ der nunmehrige Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) sogar ausdrücklich in die Gesetzesbegründung hineinschreiben, dass die Steuerausfälle dadurch lediglich „verringert“, nicht aber gänzlich verhindert würden.
Das Verhalten etlicher Investoren, Banken und Rechtsberater, die diese Achillesferse des Quellensteuer- und Anrechnungsverfahrens gezielt für ein spezielles Geschäftsmodell ausnutzten, halten die meisten Beobachter für verwerflich. Ob das allerdings auch illegal war, ist eine andere Frage. Eine ganze Riege namhafter Steuerrechtsprofessoren hält es deshalb für rechtswidrig, dass die Finanzämter in diesen Fällen schon seit längerem die Anrechnung oder Erstattung von Steuern verweigern – oder diese wieder zurückgezogen haben.
Verhandlung auf April 2014 verschoben
Die Finanzgerichte haben die Frage bislang nicht geklärt. Der Bundesfinanzhof hat zwar das Dividendenstripping mehrfach ausdrücklich für rechtmäßig erklärt. Doch haben die obersten Steuerrichter seit der Reform von 2007 noch längst nicht alle Varianten geprüft. Die Verhandlung über einen Rechtsstreit, in dem sie zumindest einen neuen Fingerzeig geben könnten, wurde mittlerweile auf den April 2014 verschoben, weil das Bundesfinanzministerium dem Prozess förmlich beigetreten ist.
Zugrunde liegt ein Fall, in dem sich das Finanzgericht Hamburg weitgehend auf die Seite eines Wertpapierinvestors gestellt hatte. Auch die Bundesrichter haben ihn jüngst in einem noch unveröffentlichten Zwischenentscheid teilweise gestützt. Das hessische Finanzgericht hat dagegen in eineem anderen Fall in einer Eilentscheidung gegen einen Anleger – einen mittlerweile verstorbenen Immobilienmilliardär – geurteilt. Gegen dessen Rechtsanwalt ermittelt die Staatsanwaltschaft ebenfalls.
Strafgerichte sollten sich zurückhalten
Bei soviel Unklarheiten scheint es ziemlich forsch, dass Ressortchef Schäuble Beteiligten mittlerweile sogar kriminelle Steuerhinterziehung vorwirft. Schon möglich, dass Banker und Broker die Finanzämter gemeinsam ausgetrickst haben – mit einer Razzia bei der Hypo-Vereinsbank hat die Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft im November 2012 eine Lawine öffentlicher Anschuldigungen auch gegen andere Kreditinstitute losgetreten. Seit diesem Dienstag steht auch die HSH Nordbank im Fokus.
Doch solange nicht einmal die Rechtslage im Steuerrecht geklärt ist, sollten sich Strafgerichte zurückhalten, forderte der Präsident des Bundesfinanzhofs, Rudolf Mellinghoff, im Oktober auf dem Deutschen Steuerberatertag in Berlin. Zumal: Wie sich jemand strafbar gemacht haben soll, dem die Mehrheit der Steuerfachleute korrektes Verhalten bescheinigt, scheint in einem Rechtsstaat vielen Steuer- und Strafjuristen fraglich.
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