Unruhen in der Ost-UkraineDemonstranten in Donezk rufen „souveräne Volksrepublik“ aus
07.04.2014 · Moskau-treue Kräfte suchen im Osten der Ukraine die Eskalation. Nach dem Sturm staatlicher Gebäude in Donezk fordern sie ein Referendum über den Beitritt zu Russland – wie auf der Krim. Außenminister Steinmeier sieht „keine komplette Veränderung der Lage“.
Prorussische Demonstranten in der ostukrainischen Stadt Donezk haben am Montag eine „souveräne Volksrepublik“ ausgerufen, die von der Zentralregierung in Kiew unabhängig sein soll. Diese Entscheidung hätten die Aktivisten getroffen, die das Hauptverwaltungsgebäude der Stadt besetzt halten, sagte ein Sprecher.
Die Regierung in Kiew ist alarmiert. Die Proteste zielten darauf, einen Einmarsch ausländischer Truppen zu provozieren, sagte der ukrainische Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk. Russische Truppen stünden 30 Kilometer von der Grenze entfernt. Sie seien entgegen entsprechender Forderungen auch aus dem Westen nicht zurückgezogen worden. Die Ukraine werde nicht zulassen, dass ausländische Truppen einmarschierten und ukrainisches Gebiet besetzten, betonte Jazenjuk.
Das am Sonntag von prorussischen Demonstranten besetzte Verwaltungsgebäude von Charkiw ist unterdessen wieder in der Hand der ukrainischen Behörden. Das Gebäude sei „vollständig von Separatisten befreit worden“, erklärte der ukrainische Übergangsinnenminister Arsen Awakow am Morgen auf Facebook. Er dankte allen „Unterstützern“, ohne anzugeben, ob bei der Räumung Gewalt eingesetzt wurde oder ob sich die Eindringlinge freiwillig zurückzogen.
Steinmeier: Keine grundlegend neue Lage
Nach Einschätzung des deutschen Außenministers Frank-Walter Steinmeier ist durch die Unruhen in der Ost-Ukraine bisher noch keine grundlegend neue Situation entstanden. „Das ist noch keine komplette Veränderung der Lage“, sagte der SPD-Politiker am Montag in Berlin. Am Wochenende habe er nach Medienberichten zunächst den Eindruck gehabt, es handele sich um eine koordinierte Provokation oder gar um „Versuche der Instabilisierung“. „Wenn man sich die Nachrichten von heute morgen anguckt, sind es exakt zwei Besetzungen.“
Steinmeier gab aber zu: „Ich bin mir noch nicht ganz im Klaren darüber, was sich ereignet in der Ostukraine.“ Die EU hatte Russland damit gedroht, im Falle einer weiteren Destabilisierung in der Ostukraine Wirtschaftssanktionen zu verhängen. Der Westen solle seine Linie gegenüber Russland und der Ukraine fortsetzen, sagte Steinmeier. Ziel müsse es sein, mit Eskalationen wie in den vergangenen Wochen auf der Krim so umzugehen, dass sich daraus keine militärischen Konflikte entwickelten. Gleichzeitig müsse die Einheit der Ukraine gewahrt bleiben.
EU beobachtet Ost-Ukraine „mit Sorge“
Auch die Europäische Union beobachtet die Lage im Osten der Ukraine „genau und mit Sorge“. Dies sagte eine Sprecherin der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton in Brüssel. Sie reagierte damit auf die Erstürmung mehrerer öffentlicher Gebäude durch prorussische Kräfte. „Politische Forderungen in der Ukraine müssen gewaltlos verfolgt werden, gemäß der demokratischen Standards und in rechtsstaatlicher Weise“, sagte sie. „Die Ende Mai geplanten Wahlen sind eine gute Gelegenheit dafür.“
Zur Frage, ob die EU in der Instabilität in der Ost-Ukraine eine Destabilisierung durch Russland sieht, wollte sie sich nicht äußern: „Wir beobachten die Lage.“ Für den Fall einer solchen Destabilisierung haben die Staats- und Regierungschefs der 28 EU-Staaten umfangreiche Wirtschaftssanktionen gegen Russland angedroht. An solchen Sanktionen werde weiterhin gearbeitet, sagte die Sprecherin, „damit wir sobald wie möglich vorbereitet sind“.
Der deutsche Regierungssprecher Steffen Seibert appellierte in Berlin an „alle Verantwortlichen, zur Stabilisierung der Region beizutragen und solche Eskalationen zu vermeiden“. Zugleich erneuerte er gegenüber Russland die Drohung mit einer weiteren Stufe von Sanktionen. „Wir wünschen uns das nicht“, sagte Seibert. „Aber es soll sich niemand täuschen: Die Bereitschaft dazu besteht.“
Weitere Proteste angekündigt
Am Sonntag hatten prorussische Aktivisten insgesamt drei Verwaltungsgebäude in der Ostukraine bestürmt. Wie in Charkiw drangen sie auch in Donezk und Lugansk in die Gebäude ein und hissten auf dem Dach russische Flaggen. Es gebe von außen gesteuerte Provokationen, um die Lage gezielt zu destabilisieren, sagte der Leiter der Gebietsverwaltung in Charkow, Igor Baluta. Moskautreue Aktivisten kündigten für Montag eine Ausweitung ihrer Proteste an. Sie fordern ein Referendum über eine Abspaltung von Kiew - nach dem international nicht anerkannten Vorbild auf der Schwarzmeerhalbinsel Krim. Baluta warnte vor weiteren Provokationen. „Weil die Autoren des Szenarios damit gescheitert sind, Massenproteste zu organisieren, setzen sie nun auf aggressive Handlungen und offene Konfrontation“, sagte Baluta.
Jazenjuk sagte, Besetzer staatlicher Gebäude koordinierten ihr Vorgehen mit ausländischen Truppen. Nach der Eingliederung der Halbinsel Krim durch Russland wächst die Sorge, dass die Regierung in Moskau die Lage auch im Osten der Ukraine destabilisieren und Truppen in das Nachbarland einmarschieren lassen könnte. Bundeskanzlerin Angela Merkel warnte Russland vor einem solchen Schritt und drohte mit Wirtschaftssanktionen
In der Ostukraine ist der Anteil der russischsprachigen Bevölkerung hoch. Seit dem Umsturz von Ende Februar in Kiew, bei dem der prorussische Präsident Viktor Janukowitsch mit Unterstützung auch von rechtsextremistischen Kräfte entmachtet worden war, kommt es in der Region immer wieder zu Unruhen.
Zeman markiert „rote Linie“
Der tschechische Präsident Milos Zeman warnte eindringlich, Russland würde mit einem Einmarsch in der Ostukraine eine „rote Linie“ überschreiten. „In einem solchen Fall würde ich nicht nur für die schärfst möglichen Sanktionen plädieren, sondern sogar für eine militärische Bereitschaft des Nordatlantik-Pakts und den Einsatz von Nato-Soldaten auf ukrainischem Gebiet“, sagte Zeman am Sonntag im tschechischen Rundfunk. Mit der Angliederung der Krim an Russland werde sich der Westen indes langfristig abfinden müssen.
Von der Leyen: Verhältnis zu Russland beschädigt
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) sieht das Verhältnis zu Russland auf längere Sicht beschädigt. Der „Bild“-Zeitung sagte sie, Präsident Wladimir Putin habe mit der Annexion der Krim viel Vertrauen zerstört. „Es wird lange dauern, das wieder aufzubauen. Voraussetzung dafür ist vor allem anderen, dass Russland dazu beiträgt, dass sich die Lage wieder entspannt.“
Zugleich wies sie Spekulationen über eine militärische Auseinandersetzung des Westens mit Russland als „abwegig“ zurück. Auch ein Beitritt der Ukraine zur Nato kommt nach ihrer Überzeugung nicht in Frage.
Die Ukraine und Russland steuern derweil auf einen neuen Gaskonflikt zu. Der ukrainische Regierungschef Arsenij Jazenjuk warf dem Nachbarland „wirtschaftliche Aggression“ vor. Kiew werde die massiv erhöhten Preise für russisches Gas nicht zahlen. Energieminister Juri Prodan drohte, den russischen Staatskonzern Gazprom vor einem internationalen Schiedsgericht zu verklagen.
Wegen bilateralen Streits waren in der Vergangenheit wiederholt auch in der EU die Vorräte knapp geworden. Gazprom hatte zum April den Gaspreis auf 485,5 Dollar angehoben und den Schritt mit Milliardenschulden der Ukraine sowie dem Wegfall eines Sonderrabatts begründet.
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