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Mittwoch, 2. April 2014

Selbstanzeigen strotzen vor Fehlern Steuerfahnder und Staatsanwälte gehen aber pragmatisch damit um

Selbstanzeigen strotzen vor Fehlern
Steuerfahnder und Staatsanwälte gehen aber pragmatisch damit um

Selbstanzeigen ist für die Finanzämter
kaum zu bewältigen. Steuerfahndern,
Staatsanwälten und Rechtsberatern macht
zudem Rechtsunsicherheit zu schaffen:
Seit der Bundestag vor drei Jahren den
Weg zur Straffreiheit erschwert hat, konnte
der Bundesgerichtshof noch kein einziges
Urteil zur neuen Rechtslage sprechen
- und wird es auch im Fall des früheren
FC-Bayern-Präsidenten Ulrich Hoeneß
nicht tun können, weil dieser gemeinsam
mit der Staatsanwaltschaft auf eine Revision
verzichtet hat. Zu allem Überfluss planen
die Finanzminister schon wieder eine
Verschärfung der Abgabenordnung.
„Die Zahl der unwirksamen Selbstanzeigen
hat sich deutlich erhöht“, sagte der
Hamburger Staatsanwalt Claudio Kirch-
Heim auf einer Tagung der Wirtschaftsstrafrechtlichen
Vereinigung in Leipzig.
Und das liege nicht an den in der Öffentlichkeit
so viel diskutierten Sperrgründen
- etwa weil es für den Weg zur Straffreiheit
schon zu spät sein könnte, wenn das
Geheimkonto in der Schweiz durch eine
Banken-CD aufgespürt worden ist. Das
Problem ist vielmehr - wie im Fall Hoeneß
- die vorgeschriebene Vollständigkeit
der Angaben. „Es gibt nur noch wenige
Selbstanzeigen, bei denen man einfach einen
Haken dahinter machen kann.“
Denn erst der Bundesgerichtshof und
dann der Gesetzgeber haben die Regeln
verschärft: Wer beichtet, muss vollständig
reinen Tisch machen - allenfalls versehentliche
Abweichungen von maximal
5 Prozent gelten als zulässig. Die Notlösung
von Steuerberatern und Steueranwälten
sind völlig überhöhte Schätzungen im
ersten Schreiben ans Finanzamt aus Angst
vor Durchsuchung, Anklage und Verurteilung.
„Alle wissen, dass die Zahlen nicht
mal im Ansatz stimmen, und bitten gleich
um einen Aufschub für die Zahlung von
sechs Monaten, um Unterlagen aus dem
Ausland zu besorgen“, sagte Kirch-Heim.
Aber auch die Anklagebehörden kennen
eine Hintertür: die Einstellung des
Verfahrens nach den allgemeinen Regeln
der Strafprozessordnung gegen eine Geldzahlung.
Eine Lösung, die allerdings nicht
mehr in Betracht kommt, wenn wegen der
Höhe der Hinterziehungssumme nur noch
eine Haftstrafe möglich ist - mit oder
ohne Bewährung. Klaus Herrmann von
der Oberfinanzdirektion Koblenz bestätigte
das Dilemma: „Die große Masse der
Selbstanzeigen ist rechtlich falsch.“ Schon
eine Verwechslung der Einkunftsarten
führe zur Ungültigkeit. Doch sei die
Rechtslage so kompliziert, dass weder die
normalen Veranlagungsbeamten noch die
„Feld-Wald-Wiesen-Berater“ diese Fälle
durchschauten: „Die Leute wollen sich öffnen
und kriegen es einfach nicht hin.“
Herrmanns Behörde hat daher Spezialteams
aufgebaut. D ennoch lautet seine Parole:
„Bei uns läuft es sehr, sehr pragmatisch.“
Deutlich wurde überdies: Bevor Justiz
und Politik die Zügel angezogen haben,
wurde den Erstattern einer Selbstanzeige
ein roter Teppich ausgerollt. „Wir haben
die Formalien bis zum Jahr 2010 sehr locker
gehandhabt - ich gebe es zu.“ Als
einst die ersten Kontodaten aus Luxemburg
aufgetaucht seien, provozierten die
Steuerfahnder ganz bewusst Selbstbezichtigungen.
„Wir haben die Kontoinhaber
angeschrieben und ihnen mitgeteilt, noch
sei eine Selbstanzeige möglich - dabei h atten
wir nicht einmal einen Anfangsverdacht,
sondern allenfalls eine vage Spur.“
Für Helmut Tormöhlen, Vorsitzender
Richter einer Großen Wirtschaftsstrafkammer
in Halle, war der Kurswechsel
der Bundesrichter ein „großer Feiertag“.
Endlich sei damit die Steuerhinterziehung
aus dem „Dunstkreis des Kavaliersdelikts“
herausgeholt worden. Auch der daran beteiligte
Richter Markus Jäger verteidigte
jene Grundsatzurteile, mit denen Karlsruhe
etwa die Faustregel aufstellte, dass bei
einem Steuerbetrug von mehr als einer
Million Euro kaum noch eine Bewährungsstrafe
möglich ist. Der „Papst des Steuerstrafrechts“,
wie ihn Kollegen nennen, betonte
aber auch: „Maßgeblich ist stets die
persönliche Schuld des Täters.“
Die aufsehenerregenden Ausführungen
in diesem Urteil hatten übrigens mit dem
konkreten Fall gar nichts zu tun, wie Jäger
bekannte. Der Verteidiger jenes Angeklagten
habe denn auch hinterher bedauert,
dass er überhaupt in die Revision gezogen
sei. Markus Rübenstahl, Steuerstrafverteidiger
in Köln, lobte immerhin die Vereinheitlichung
der Strafrahmen, die jener
Richterspruch bewirke. Bis dahin habe
jede Oberfinanzdirektion ihre eigene Tabelle
mit Straftaxen gehabt - „mit riesigen
regionalen Unterschieden. Rübenstahl
mahnte aber, weniger formal vorzugehen.
Schließlich gebe es nicht nur die wirklich
kriminellen Täter mit Auslandskonten,
sondern viele Grenzfälle. JOACHIM JAHN

FAZ Print Mi 2.4.2014

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