Griechenlands IMF-Schulden
Die Angst vor der Kettenreaktion
Gerät Griechenland am Dienstag gegenüber dem Internationalen Währungsfonds (IMF) in Verzug, drohen weitere Rückzahlungsforderungen. Doch öffentliche Gläubiger werden sich zurückhalten.
Die griechische Regierung wird wohl eine Rückzahlung an den Internationalen Währungsfonds (IMF) über 1,5 Mrd. €, die am Dienstag fällig wird, nicht leisten. Obwohl die internationalen Rating-Agenturen angekündigt haben, im Falle einer Nicht-Zahlung an den IMF noch keinen Ausfall zu deklarieren, da der Währungsfonds kein privater Gläubiger sei, würde die viel befürchtete Staatsinsolvenz Griechenlands damit de facto Realität werden. Es drohte eine Kettenreaktion von weiteren Forderungen.
Bestimmte Klauseln bei festverzinslichen Wertpapieren, sogenannte «Cross Default Clauses», sehen vor, dass ein Gläubiger die sofortige Rückzahlung seiner Forderungen einfordern kann, wenn ein Schuldner seinen finanziellen Verpflichtungen gegenüber einem anderen Gläubiger nicht nachkommt. Dies bedeutet, dass selbst Inhaber von Papieren, deren Endfälligkeit noch lange nicht erreicht ist, auf eine sofortige Rückzahlung der Schulden pochen können, wenn der Schuldner Schuldenrückzahlungen nicht leistet. Diese Klauseln sind bei Obligationen gang und gäbe und sollen sicherstellen, dass alle Gläubiger in einem Konkursverfahren gleichgestellt sind. Ohne sie müssten im Fall einer Insolvenz viele Gläubiger bis zum Ende der Laufzeit ihrer Papiere warten, bis sie ihre Forderungen stellen können, und bis dahin wäre beim Schuldner möglicherweise «nichts mehr zu holen».
Alle Gläubiger zur vorzeitigen Rückforderung berechtigt?
Diese Klausel gibt es auch bei Staatsobligationen. Grundsätzlich werden Cross Default Clauses zwar im Kleingedruckten der Wertpapiere geregelt, doch gehen Experten davon aus, dass die meisten ausstehenden griechischen Staatstitel, wenn nicht sogar alle, eine solche Regelung enthalten. Somit wären ab Dienstag möglicherweise sämtliche Gläubiger Griechenlands zur vorzeitigen Rückforderung berechtigt, sollte Griechenland die Rückzahlung an den IMF tatsächlich nicht leisten.
Doch nicht alle Gläubiger werden dies automatisch tun. Nebst privaten Investoren sind vor allem staatliche Institutionen Kreditgeber Griechenlands, allen voran der europäische Krisenfonds EFSF, die Länder der Euro-Zone, die Athen bilaterale Kredite gewährt haben, und die Europäische Zentralbank (EZB). Es darf erwartet werden, dass private Investoren vom Recht, das ihnen die Cross Default Clauses einräumen, Gebrauch machen werden. Bei den öffentlichen Gläubigern ist das weniger klar. Ein genaues Prozedere dafür gibt es beim EFSF, der im «Master Financial Assistance Facility Agreement» mit Griechenland festlegt, wie in diesem Fall vorzugehen ist.
Kein Automatismus für Forderung
Nachdem die IMF-Chefin das IMF-Exekutivdirektorium über den Ausfall informiert hat – wofür es laut IMF-Regeln ebenfalls einen genauen Ablauf gibt, der seine Zeit beansprucht –, würde demnach das EFSF-Direktorium über das weitere Vorgehen beraten. Dabei stünden ihm drei Optionen offen: die sofortige Rückforderung, eine spätere Rückforderung oder der Verzicht darauf. Auf jeden Fall gibt es keinen Automatismus, der die Forderungen sofort auslöst. Die EZB äussert sich zu ihrer Handhabung nicht; da sie die griechischen Titel in ihrem Besitz aber einst am Markt gekauft hat, dürften die meisten davon die Klausel ebenfalls enthalten. Auch hier müsste wohl der EZB-Rat darüber befinden.
Es ist jedoch nicht klar, ob die öffentlichen Gläubiger ihr Recht überhaupt ausüben würden, da sie nach wie vor wenig Interesse daran haben, durch die Rückforderung der Kredite Griechenland noch mehr in die Bredouille zu bringen und den Weg für Verhandlungen mit Athen definitiv zu versperren.
http://www.nzz.ch/wirtschaft/entscheidungstage-fuer-griechenland/die-angst-vor-der-kettenreaktion-1.18571183?extcid=Newsletter_30062015_Top-News_am_Morgen
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