Paris und die SchuldenkriseDie Griechenland-Versteher im Elysée-Palast
In Frankreich regt sich kaum Kritik an der griechischen Regierung. Stattdessen Nachsicht, wo man hinhört. Das liegt nicht nur an den griechischen Vorfahren maßgeblicher französischer Politiker.
30.06.2015, von MICHAELA WIEGEL, PARIS
© DPA„Immer erreichbar“: der französische Staatspräsident François Hollande und der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras bei einem Treffen im Februar in Paris
Der Präsident macht Alexis Tsipras keine Vorwürfe, auch wenn er allen Grund dazu hätte. Frankreich ist nach Deutschland der zweitwichtigste Kreditgeber Griechenlands in der EU. Aber François Hollande spricht nur von seinem guten Willen, die Griechen nicht fallenzulassen. „Frankreich ist immer erreichbar, um die Verhandlungen heute oder morgen wiederaufzunehmen“, sagt Hollande und wiederholt: „immer erreichbar!“ Er spricht von seinem „Bedauern“, dass die griechische Regierung den Verhandlungstisch verlassen hat. „Wir waren so nah an einer Einigung.“
Der französische Präsident klingt wie ein versöhnlicher Vater, der bereit ist, dem verlorenen Sohn ein Fest zu bereiten. „Eine Einigung ist heute immer noch möglich“, sagt er. Der Dialog könne jederzeit fortgesetzt werden. Anders als dem EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker kommt Hollande kein Wort der Kritik über das Vorgehen der griechischen Regierung über die Lippen. Am Montag kennt Hollande keine Regierung, sondern nur das griechische Volk. „Es ist das Recht des griechischen Volkes, zu sagen, was es für seine Zukunft will“, sagt er und heißt zugleich das Referendum gut.
Sarkozys Fehler ist Hollande eine Lehre
Hollande will nicht den Fehler Nicolas Sarkozys wiederholen, der 2011 in Cannes den damaligen griechischen Ministerpräsidenten Papandreou genötigt hatte, sein Referendumsversprechen zurückzuziehen. Der Front National, aber auch der europaskeptische Flügel der Sozialisten kritisierte das Vorgehen Sarkozys (zusammen mit Bundeskanzlerin Merkel) damals als höchst undemokratisch.
Hollande aber erhebt das Referendum am 5. Juli zur Schicksalsentscheidung über den Verbleib Griechenlands in der Eurozone. „Ihr Platz ist in meinen Augen in der Eurozone, aber es ist an ihnen (den Griechen), über den Verbleib zu entscheiden oder das Risiko eines Austritts einzugehen“, so der Präsident. „Frankreich ist dafür, dass Griechenland in der Eurozone bleibt. Frankreich ist immer bereit zu handeln, aber kann es nur, wenn es einen gemeinsamen Willen gibt, zu einer Lösung zu kommen“, sagte Hollande. Er schließt mit einem dieser typisch verqueren Hollande-Sätze: „Solidarität ist immer möglich, wenn Verantwortung da ist.“ Noch bevor ein Journalist ihn fragen kann, was das heißen soll, ist der Präsident schnellen Schrittes in die Kühle des Elysée-Palastes zurückgekehrt.
Angst vor deutscher Unerbittlichkeit
Die Griechenland-Politik ist kein Zankapfel der beiden großen Parteien in Frankreich. Der Vorsitzende der „Republikaner“, Nicolas Sarkozy, hielt sich am Montag für seine Verhältnisse auffallend mit Kritik an Hollande zurück. Bei einem Besuch in Madrid, wo er mit dem spanischen Ministerpräsidenten zusammentraf, forderte Sarkozy eine „Neugründung der Eurozone“. Es müsse ein „europäischer Währungsfonds“ gegründet werden. „Die Frage ist nicht mehr, wie wir Griechenland retten, sondern wie wir die Eurozone retten“, sagte Sarkozy. Das griechische Volk müsse darüber entscheiden, ob es Europa wolle oder eine Regierung, die Europa zerstöre. Sarkozys Vorfahren mütterlicherseits stammen aus Saloniki. Auch die Familie des sozialistischen Parteivorsitzenden Jean-Christophe Cambadélis kommt aus Griechenland. Gnade vor Recht, so lautet der Griechenland-Konsens von Republikanern und Sozialisten.
Auch in den Medien überwiegt weiterhin die Vorstellung, dass Frankreich sich von einem „Grexit“ nichts Gutes erhoffen könne. Wirtschaftsprofessoren, die beruhigende Ausstiegsszenarien entwickeln, kommen in der Presse kaum zu Wort. Stattdessen widmen die französischen Medien der deutschen Empörung über die griechische Regierung viel Aufmerksamkeit. Dabei schwingt dann immer auch ein wenig Sorge mit: So unerbittlich sind die Deutschen heute mit den Griechen und morgen vielleicht schon mit uns.
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Die französische Nachsicht mit Griechenland wird genährt vom Bewusstsein, dass auch das eigene Land oft gegen europäische Regeln verstoßen hat. Hinzu kommt, dass die Verantwortlichen in Paris seit der Französischen Revolution vom Primat der Politik überzeugt sind. Frankreich war 1789 bankrott. Königin Marie-Antoinette wurde „Madame Defizit“ geschimpft, bevor sie unter der Guillotine endete. Aber was war die finanzielle Pleite im Vergleich zur historischen Umwälzung, die das Land erlebte? In solchen Kategorien denken noch immer die meisten Politiker und halten die Staatsfinanzen für Fußnoten der Geschichte.
Das große Ganze, in diesem Fall den europäischen Einigungsprozess, aber haben sie fest im Blick. Das trifft sogar für den Front National zu, der sich seit Jahren vehement für einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone ausspricht – allerdings unter umgekehrten Vorzeichen. Das Ausscheiden Griechenlands aus der Währungsunion hat Marine Le Pen zum „ Anfang vom Ende der EU“ erhoben.
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