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Montag, 27. Juli 2015

EU-Krise Südeuropas Scheinblüte Griechenland ist mal wieder gerettet. Die anderen Krisenländer in Europa kommen jetzt allein auf die Füße, so heißt es. Aber stimmt das wirklich? Ein Blick nach Portugal, Spanien und Italien. // guckt euch insbeondere Portugal an....


Der Arbeitsmarkt schwächelt in den Krisenländern Europas




EU-KriseSüdeuropas Scheinblüte

Griechenland ist mal wieder gerettet. Die anderen Krisenländer in Europa kommen jetzt allein auf die Füße, so heißt es. Aber stimmt das wirklich? Ein Blick nach Portugal, Spanien und Italien.

© DAGMAR SCHWELLE/LAIFStandseilbahn in Lissabon. Portugal hat heftig gespart. Aber ist das Land jetzt über den Berg?
Die Verhandlungen mit Griechenland gehen ihren Gang. Es ist für den griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras nicht leicht, alle geforderten Reformen durchs Parlament zu bekommen. Auch in Deutschland gab es im Bundestag erstmals größere Widerstände gegen ein weiteres Hilfsprogramm. Trotzdem ist der Weg, den Europa in der Griechenland-Frage gehen will, jetzt vorgezeichnet: Das Land bleibt im Euro. Und es bekommt noch einmal Geld, um die überbordenden Schulden bedienen und seine Staatsbeschäftigten weiter bezahlen zu können. Dafür muss Griechenland Sparvorgaben erfüllen, damit die Regel, dass es kein Geld ohne Auflagen geben soll, zumindest nicht offen gebrochen wird.
Eine große Frage aber bleibt. Handelt es sich bei Griechenland um einen Sonderfall, ein spezielles Problem innerhalb der Eurozone, das mit den Besonderheiten, der Geschichte und der verfehlten Politik dieses Landes zu tun hat? Oder erkennt man an Griechenland vielmehr idealtypisch, welche Probleme eine Währungsunion unabhängiger Staaten ohne gemeinsame Haushaltspolitik, aber mit einer gemeinsamen Währung eben doch sehr schnell bekommen kann?
In den Talkshows wird von Politikern aller Couleur im Augenblick beständig das Narrativ vom „Sonderfall Griechenland“ wiederholt. Die „Singularität“ Griechenlands unter allen Eurostaaten wird hervorgehoben. Je nach politischer Ausrichtung geben die Politiker dann der derzeitigen linken Regierung vonSyriza die Hauptschuld, die angeblich in einem Land, in dem sich alles zum Besseren wendete, durch ihr chaotisches Verhalten einen Rückfall in die längst überwunden geglaubte Krise verursachte. Oder, unter Politikern, die Syriza freundlicher gesinnt sind, wird die Schuld bei den korrupten früheren Regierungen gesucht, die durch ihren Klientelismus und ihr devotes Verhalten gegenüber den sparverrückten Gläubigerstaaten das Land immer tiefer in die Krise getrieben hätten.
Gemeinsam ist diesen Deutungen: Griechenland ist ein Sonderfall. Es ist zwar unklar, ob sich die Probleme des Landes durch ein neues Hilfspaket verbunden mit ein paar Reformvorgaben lösen lassen. Aber mit anderen südeuropäische Staaten ist dieses Land überhaupt nicht vergleichbar. Ein „failed state“, ein gescheiterter Staat, ist Griechenland. So lautet das vernichtende Urteil vieler Griechenland-Kritiker, das zugleich eine Entlastung für alle anderen europäischen Peripheriestaaten ist, in denen es nach landläufiger Meinung so schlimm dann doch nicht zugeht.

Probleme in Südeuropa sind mit Griechenland vergleichbar

Ob dieser Blick auf Griechenland aber auf Dauer Bestand haben wird? Es ist unübersehbar, dass es Besonderheiten in Griechenland gibt. Die Lage ist dort im Augenblick allein schon sehr viel ernster als in den anderen früheren Krisenstaaten. Die Frage ist nur, ob auf Dauer das Unterschiedliche oder das Gemeinsame der südeuropäischen Staaten ausschlaggebend sein wird.
Infografik / Krisenstaaten© F.A.Z.VergrößernDer Arbeitsmarkt schwächelt in den Krisenländern Europas
„Länder wie Portugal, Spanien und Italien haben durchaus ähnliche Probleme wie Griechenland“, sagt Clemens Fuest, der Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung in Mannheim. Er nennt als Beispiele die hohe öffentliche und private Verschuldung, die unzureichende Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft, den Bedarf an institutionellen Reformen und die Gefahr des Aufkommens populistischer Parteien. „Das Ausmaß der Probleme ist in Griechenland aber deutlich größer als in den anderen Ländern.“ Man könne sagen, dass die Euro-Krise sich in Griechenland „wie unter einem Brennglas“ abspiele.
Dabei war es gerade die griechische Partei Syriza gewesen, die gern die Vergleichbarkeit der Situation in den Ländern Südeuropas hervorgehoben hatte. So waren der spätere griechische Ministerpräsident Tsipras und der Chef der spanischen Partei Podemos, Pablo Iglesias, im Wahlkampf gemeinsam mit dem Schlachtruf „Venceremos“ („Wir werden siegen“) aufgetreten. Und hatten verkündet, es gebe keine Lösung der Krise ohne einen Schuldenschnitt für Südeuropa.
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Im Augenblick gibt es allerdings ein starkes Argument, warum uns die Probleme in den anderen Staaten Südeuropas weniger Sorgen machen müssen als in Griechenland. Ihre Wirtschaft wächst wieder. Nicht gewaltig, aber immerhin. In Spanien gab es im vergangenen Jahr ein Wirtschaftswachstum von 1,4 Prozent, in Portugal von 0,9 Prozent. Gar nicht zu reden vom nordeuropäischen Krisenland Irland, das seit drei Jahren europäischer Wachstumsmeister ist. Nur in Italien schrumpfte die jährliche Wirtschaftsleistung 2014 leicht um 0,4 Prozent. Für dieses Jahr werden noch bessere Zahlen erwartet. Spanien erwartet ein Wirtschaftswachstum von 3,2 Prozent, Portugal rechnet mit 1,6 Prozent und Italien immerhin mit 0,6 Prozent.

Hans-Werner Sinn: Südeuropa aus der Krise? Ein Märchen!

Die Hoffnung vieler Anhänger der Austeritätspolitik (also der Verbesserung der Wirtschaftslage durchs Sparen) ist, dass damit jetzt die Reformen belohnt werden. Dass es sich für diese Länder also auszahlt, sich nicht so „störrisch“ (gemeint ist: gegenüber den Gläubigerstaaten) verhalten zu haben wie Griechenland. Die Differenzierung würde somit zum entscheidenden Prinzip.
Als einen Beleg dafür, dass Griechenland und die anderen Krisenländer zumindest von den Finanzmärkten nicht mehr in einen Topf geworfen würden, werden dabei gern die Renditen der Staatsanleihen herangezogen. Also die Risikoaufschläge, die Staaten dafür zahlen müssen, dass ihnen jemand Geld leiht. In den Turbulenzen um Griechenland waren zuletzt zwar die Renditen der griechischen Anleihen wieder gestiegen – die der anderen südeuropäischen Staaten aber kaum. Es gab keine „Ansteckung“. Das wurde als gutes Zeichen für Europas Peripherie gedeutet, als Erfolg für Europas Rettungs-Institutionen – als Erfolg aber auch für die schmerzhaften Sparanstrengungen der anderen Krisenländer.
Einer, der an dieser Sichtweise vom Erfolg des Sparens große Zweifel äußert, ist der Münchener Ökonom und Ifo-Chef Hans-Werner Sinn. „Ich halte es für ein Märchen, wenn man sagen wollte, Portugal, Spanien und Italien hätten ihre Krise überwunden“, sagt er. Im Moment gebe es in diesen Ländern eher eine Art Scheinblüte. Was die Wirtschaft dort künstlich angeschoben habe, seien ausgerechnet wieder neue Schulden gewesen. „Alle Länder haben ihre Schuldenquote erhöht, zum Teil sogar kräftig, obwohl der Fiskalpakt aus dem Jahr 2012 eine Senkung verlangte.“ In Portugal habe das Haushaltsdefizit 2014 bei 4,5 Prozent gelegen, in Spanien sogar bei 5,8 Prozent – also weit über jener Drei-Prozent-Grenze, die von den Maastricht-Kriterien für die Euroländer vorgesehen ist. „Die neue Schuldentoleranz hat zu einer Scheinkonjunktur geführt“, sagt der Ifo-Chef. Der Erfolg der Krisenländer sei also nicht auf eine Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit zurückzuführen und damit womöglich nicht von Dauer.
Dieses Urteil ist unter Ökonomen so umstritten wie die Euro-Krise insgesamt. Sinns Grund-Diagnose der Krise ist, dass die Peripheriestaaten nach der Einführung des Euros, als sie sich auf einmal billig verschulden konnten, einen zu hohen Lebensstandard auf Pump entwickelt hätten und zu teuer geworden seien. Und dass alle Peripheriestaaten billiger werden müssten, um wettbewerbsfähig zu werden. Das geht auf dem mühsamen Weg, indem man alle Löhne und Preise in harten Verhandlungen einzeln senkt – oder leichter, indem ein Land den Euro verlässt, eine eigene Währung einführt, und diese dann abwertet.

Die Angst vor der nächsten Krise

Dazu gab es im Jahr 2012 Berechnungen der Investmentbank Goldman-Sachs. Danach musste Portugal um ungefähr 35 Prozent billiger werden, Griechenland um 30 Prozent, Frankreich und Spanien um 20 und Italien um 10 bis 15 Prozent, um wieder wettbewerbsfähig zu sein.
Nun ist unstrittig, dass zumindest die sogenannten Programmländer – das heißt jene Länder, die in ein Hilfsprogramm der europäischen Rettungsmechanismen aufgenommen wurden – dafür Sparauflagen erfüllen mussten und die Bevölkerung heftig darunter gelitten hat. Strittig ist aber offenbar, wie viel das am Ende gebracht hat. So meint Sinn, weder Italien noch das Programm-Land Portugal hätten während der Krise überhaupt eine „reale Abwertung“ erfahren. Spaniens Verbesserung der Arbeitsmarktlage resultiere zu mehr als 50 Prozent aus der Abwanderung von Arbeitslosen in andere Länder. „Nur Irland ist durch, weil es um 13 Prozent abgewertet hat.“
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Sinn führt als Beleg eine Größe an, die sich „BIP-Deflator“ nennt: Sie misst das Preisniveau von Volkswirtschaften, in diesem Fall von Euroländern relativ zur Eurozone insgesamt. Dabei schneiden Portugal und Italien besonders schlecht ab. Andere Ökonomen wie Jörg Krämer, der Chefvolkswirt der Commerzbank, halten die Lohnstückkosten (Lohnkosten relativ zu produzierten Einheiten) für die entscheidende Messgröße – und kommen zu einer optimistischeren Einschätzung. Nur Italien schneidet da schlecht ab.
Als große Gefahr sehen manche Ökonomen auf jeden Fall die nächste Rezession. Im Moment stützen das günstige Öl und der billige Euro die Wirtschaft. Was passiert, wenn die Konjunktur in ihrem Turnus wieder schwächer wird? Der frühere Deutsche-Bank-Chefvolkswirt Thomas Mayer meint sogar, der Euro werde die nächste Rezession womöglich nicht überleben. Andere Ökonomen halten das für übertrieben. Aber auch ZEW-Chef Fuest warnt: „Die Spielräume der anderen Krisenstaaten, neue wirtschaftliche Erschütterungen aufzufangen, sind gering.“ Andreas Höfert, der Chefökonom der Schweizer Großbank UBS prognostiziert, noch vor 2018 werde die vierte Griechenland-Krise kommen: „Und sollte es bis dahin zu rezessiven Tendenzen kommen, sind vermutlich auch die anderen Länder wieder gefährdet.“ Klingt so, als ob uns nicht nur Griechenland in Zukunft weiter in Atem halten wird.

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