Schwierige Gespräche über Schuldenschnitt
Poker um die Ukraine-Schulden
Die Gespräche um eine Schuldenrestrukturierung für die Ukraine kommen kaum voran. Es wird hoch gepokert. Doch die Argumente für einen Schuldenschnitt wiegen schwer.
Dass die Gespräche um einen Schuldenschnitt derart zäh verlaufen würden, hätte das ukrainische Verhandlungsteam um Finanzministerin Jaresko wohl nicht gedacht. Seit dem Verhandlungsbeginn vor einigen Wochen sind sich Kiew und seine Gläubiger kaum nähergekommen. Dabei geht es um viel für das von Krieg und Wirtschaftskrise geplagte Land. Das im Frühjahr vom Internationalen Währungsfonds (IMF) gesprochene Hilfsprogramm sieht nicht nur vor, dass die Ukraine über die nächsten vier Jahre 17,5 Mrd. $ vom IMF und weitere rund 7,5 Mrd. $ von anderen Geldgebern erhalten wird. Bedingung ist auch, dass die Gläubiger auf rund 15 Mrd. $ ihrer Ansprüche verzichten. Ohne eine solche Schuldenrestrukturierung wird das IMF-Programm früher oder später gestoppt werden müssen.
Zurück zur Tragfähigkeit
Kiew ist mit einem klaren Hauptziel in die Verhandlungen gegangen: Die Schuldentragfähigkeit des Landes soll – wie vom IMF gefordert – bis zum Ende des Hilfsprogramms wieder gewährleistet sein. Laut den IMF-Berechnungen ist dazu bis 2020 eine Verschuldungsquote von 71% des Bruttoinlandprodukts (BIP) zu erreichen (derzeit liegt sie bei rund 90%). Jaresko hat öffentlich immer wieder betont, dass dies nicht zu schaffen sei, indem die Gläubiger nur auf Zinszahlungen verzichteten und die Fälligkeit der Staatsanleihen verlängert werde. Es brauche zwingend auch eine Herabsetzung des Nominalwerts der Anleihen – also einen Schuldenschnitt.
Diese Haltung wird gestützt etwa durch unabhängige Schätzungen der Ukraine-Analytiker von Bank of America Merrill Lynch. Das IMF-Ziel impliziert in deren Urteil einen Haircut von 35% des Nominalwerts. Dies dürfte auch ungefähr der Wert sein, mit dem Kiew in die Verhandlungen gegangen ist. Die Gläubiger haben jedoch einen Haircut bis jetzt strikt abgelehnt. Eine Gruppe rund um den grössten Investor, das US-Investmenthaus Franklin Templeton, ist stattdessen mit einem eigenen Vorschlag vorgeprescht. Auf Rückzahlungen von Anleihen und Zinszahlungen soll in den nächsten vier Jahren verzichtet werden, ebenso würden die Fälligkeiten deutlich verlängert – dafür müsste die Ukraine später die Anleihen zum vollen Nennwert zurückzahlen. Der Vorstoss ist aber von Kiew sowie auch vom IMF scharf zurückgewiesen worden; er stelle auf unzulässige Weise darauf ab, dass die Währungsreserven der Notenbank zur Rückzahlung der Anleihen verwendet würden.
Zur Debatte steht die Restrukturierung von rund 20 Mrd. $ an Auslandschulden bei Privaten. Zwar liegt die Gesamtverschuldung des ukrainischen Staates deutlich höher, nämlich bei derzeit umgerechnet 67 Mrd. $. Doch ein Grossteil davon kann kaum «geschnitten» werden: Die Inlandschulden (rund 35%) werden vor allem von der Nationalbank und von lokalen Banken gehalten – mit einem Haircut schnitte man sich hier ins eigene Fleisch. Bei der Auslandschuld (65%) wiederum hat man viele Kredite von öffentlichen Institutionen wie dem IMF, der Weltbank oder der EU erhalten. Diese Gläubiger können nicht belangt werden.
Schiefgegangene Wetten
Mithin wird auf beiden Seiten mit harten Bandagen und bisweilen scharfen Worten gekämpft. Aufseiten der Gläubiger steht dabei Franklin Templeton besonders im Scheinwerferlicht. Der kalifornische Vermögensverwalter hält über den Bond-Fonds seines «Starinvestors» Michael Hasenstab geschätzte 6,5 Mrd. $ an Anleihen und ist damit mit Abstand der grösste Einzelinvestor. Bekannt sind weitere drei Mitglieder des Verhandlungs-Konsortiums, die Investmenthäuser BTG Pactual, TCW und T. Rowe Price. Im Übrigen weiss man über die Gläubiger wenig. Die meisten grösseren Fondsanbieter dürften über ihre Emerging-Market-Bond-Fonds gewisse Anteile an Ukraine-Anleihen halten. Auch könnte russisches Geld im Spiel sein. Hedge-Funds dürften sich hingegen bis jetzt kaum eingekauft haben.
Letztlich ist dies aber kaum von Belang. Die ukrainischen Auslandsanleihen wurden nach englischem Recht aufgelegt und enthalten sogenannte Collective Action Clauses, nach denen im Ernstfall die Entscheidung von knapp über 50% der Gläubiger die restlichen Anleger bindet. Das Konsortium rund um Franklin Templeton steht für diese mehr als 50% des ausstehenden Anleihevolumens. Damit ist eine Einigung zwischen dem Konsortium und Kiew die allein entscheidende Grösse. Die privaten Gläubiger mögen sich gegen einen Haircut stemmen, aber die Argumente für einen Schuldenschnitt wirken übermächtig. Zum einen lässt sich wohl tatsächlich auf keine andere Weise sicherstellen, dass die Ukraine auf den Pfad der Schuldentragfähigkeit zurückkehrt, wie die genannten Analysen nahelegen. Ein befragter Experte drückte sich so aus: «Die Ukraine kämpft wirtschaftlich und militärisch ums Überleben – wenn das Land scheitert, erhalten die Gläubiger gar nichts zurück.» Ein Entgegenkommen sei deshalb auch im Interesse der Anleger.
Zum anderen stehen die Gläubiger auch in der Pflicht: Sie hatten ihr Geld dem hochkorrupten Janukowitsch-Regime geliehen und damit wohl dessen Überlebenszeit verlängert (bis zum Sturz im Zuge der Maidan-Proteste von Anfang 2014). Jetzt haben die Gläubiger die Konsequenzen ihres Tuns zu tragen. Aus ordnungspolitischer Sicht ist es richtig, dass die von den westlichen Steuerzahlern getragenen Hilfsgelder für die Ukraine nicht dazu verwendet werden, um die Anleihegläubiger des osteuropäischen Landes komplett vor Verlusten auf ihren Kapitalanlagen zu schützen. Vielmehr sollten auch diese einen Teil der Lasten tragen. Schliesslich sind Schuldenrestrukturierungen nichts Ungewöhnliches. Gerade bei Schwellenländer-Anleihen bilden sie einen Teil des Geschäftsrisikos.
Im September gilt es ernst
Wie lange die Verhandlungen noch dauern werden, ist offen. Bis vor kurzem war man davon ausgegangen, dass eine Einigung bis im Juni erzielt werden muss, denn dies galt als Bedingung für die Auszahlung der zweiten IMF-Tranche. Doch am vergangenen Wochenende hat der IMF klargemacht, dass er das Geld auch ohne Einigung auszahlen wird. Gleichzeitig unterstützte er die Pläne Kiews, im Extremfall ein Moratorium über seine Schulden zu verhängen und diese nicht mehr zu bedienen. Mit beiden Schritten wurde die Verhandlungsposition Kiews gestärkt. Dennoch können die Gläubiger auf Zeit spielen. Eine «harte Deadline» steht erst Ende September an, wenn es darum geht, ob die Ukraine eine Anleihe über 500 Mio. $ zurückzahlt oder nicht.
Die ukrainischen Staatsanleihen werden an den Sekundärmärkten derzeit zu rund 50 Cent pro Dollar Nennwert gehandelt. Dies ist Ausdruck der gegenwärtigen Schwierigkeiten. Aber laut den Experten von Bank of America Merrill Lynch liegen die Marktpreise damit immer noch höher, als dies die Berücksichtigung einer umfassenden Umschuldung nahelegen würde. Offensichtlich haben sich manche Investoren noch nicht mit dem Gedanken an einen Schuldenschnitt für die Ukraine angefreundet.
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