Griechenlands SchuldenkriseLechts und rinks sind leicht zu velwechsern
Die griechische Opposition warnt vor einem Referendum: Es geht ihrer Meinung nach nicht nur um den Euro. Es geht um viel mehr.
30.06.2015, von MICHAEL MARTENS, THESSALONIKI
Es war eine seltsame Allianz, die am vergangenen Wochenende im Athener Parlament für den Vorschlag der griechischen Regierungskoalition zur Abhaltung eines Referendums stimmte. Die 178 Ja-Stimmen kamen nämlich nicht nur von den Abgeordneten der für sich genommen schon ungewöhnlichen Linksrechtskoalition aus dem „Bündnis der radikalen Linken“ und den nationalistisch-populistischen „Unabhängigen Griechen“, sondern auch von der Fraktion der rechtsradikalen „Goldenen Morgenröte“, mit der zumindest die Partei von Ministerpräsident Alexis Tsipras eigentlich nichts zu tun haben will.
Autor: Michael Martens, Politischer Korrespondent für südosteuropäische Länder mit Sitz in Istanbul.
Die 120 Gegenstimmen kamen von den früheren Regierungsparteien Nea Dimokratia und Pasok, die in den möglichen Folgen eines Referendums eine Gefahr für die Zugehörigkeit Griechenlands nicht nur zur Eurozone, sondern auch zur EU sehen. Ebenfalls gegen ein Referendum stimmte zudem die neue Partei „Der Fluss“, die ähnlich argumentiert. Dem Lager der Referendumsgegner schlossen sich aber auch die Abgeordneten der spätstalinistischen „Kommunistischen Partei Griechenlands“ (KKE) an, die sonst eigentlich jeden Vorstoß unterstützen, der Griechenland der seit Jahren angestrebten Abwendung von der EU und dem kapitalistischen Block näherbringt. Wer die Argumente der Parteien für und wider das Referendum vergleicht, mag sich an die berühmte Mahnung des wenige Monate vor der Aufnahme Griechenlands in die Eurozone verstorbenen Wiener Dichters Ernst Jandl erinnert fühlen, der geschrieben hatte: „Manche meinen, lechts und rinks kann man nicht velwechsern.
Kommunisten wollen mit Referendum nichts zu tun haben
Werch ein Illtum!“ Die KKE beispielsweise, eine seit Jahrzehnten im Parlament vertretene politische Kraft, die mit allem gebotenen Ernst weit links vom linksradikalen Flügel des Bündnisses der radikalen Linken steht und schon dort stand als Alexis Tsipras noch in den Kindergarten ging, sieht in dem Referendum nur ein reaktionäres Manöver zur Lebensverlängerung des todgeweihten Kapitalismus. Die Ziele von Syriza, teilt die Partei mit, seien gegen die Arbeiterklasse gerichtet, da die Regierungspartei schließlich kapitalistisches „Wachstum“ (in Anführungsstrichen) befürworte. Daher führten letztlich beide möglichen Antworten des Referendums doch wieder zurück zur EU und deren „kapitalistischer Barbarei“ (im Original nicht in Anführungsstrichen). Der einzige realistische Ausweg aus der Krise bestehe in der Vergesellschaftung der Monopole bei gleichzeitiger Machtergreifung der Arbeiterklasse. Da davon in dem Referendum nicht die Rede ist, will die KKE nichts damit zu tun haben.
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Die beiden früheren Regierungsparteien, die konservative Nea Dimokratia und die „Panhellenische Sozialistische Bewegung“ (Pasok), lehnen das Referendum ebenfalls ab, geben dafür aber selbstverständlich andere Gründen an als die Kommunisten. Sie befürworten Griechenlands Zugehörigkeit zur Eurozone und der EU und sehen in dem Referendum anders als die KKE ein Instrument, dass diese Mitgliedschaft nicht zementiert, sondern gefährdet. Die neue Pasok-Vorsitzende Fofi Genimmata fordert Tsipras deshalb auf, das Referendum abzusagen und zu einer Einigung mit den Gläubigern des Landes zu kommen – oder aber zurückzutreten. „Da Herr Tsipras unfähig ist, verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen, sollte er zurücktreten und die Bürger durch Wahlen über ihre Zukunft entscheiden lassen“, so die Pasok-Chefin, die auch deshalb interessant ist, weil sie als ehemalige Bankangestellte und dreifache Mutter im vergangenen Jahr eine Sonderregelung der griechischen Gesetzgebung nutzte, um im Alter von 51 Jahren in Rente zu gehen. Allerdings teilt ihr Büro mit, dass sie die Rente nicht beziehe, sondern als Abgeordnete darauf verzichtet habe.
Früherer Ministerpräsident stellt Tsipras in Frage
Auch der Nea-Dimokratia-Chef und frühere Ministerpräsident Antonis Samaras fordert von Tsipras eine Absage des Referendums. Entschieden weist er die Darstellung seines Nachfolgers zurück, die anderen Staaten der Eurozone würden es ohnehin nicht wagen, Griechenland aus der gemeinschaftlichen Währung ausschließen, weil die politischen und wirtschaftlichen Kosten eines solchen Schritts zu groß seien. Mehrfach hat Samaras seit dem Wochenende deutlich gemacht, dass es bei der Volksbefragung nicht etwa wie von der Regierung dargestellt um die Annahme oder Ablehnung eines Lösungsvorschlags der Gläubiger gehe, sondern um nichts weniger als die Zugehörigkeit der Griechen zur Europäischen Union: „Herr Tsipras führt das Land in ein Referendum, dessen Frage letztlich ein „Ja“ oder „Nein“ zu Europa ist, und er schlägt einen Bruch mit allen unseren Partnern und ein Ausscheiden aus dem Euro vor.“ Griechenland müsse jedoch „im Herzen Europas und im Euro bleiben. Herr Tsipras muss die Verhandlungen fortsetzen.“ Wenn er das nicht könne, solle er die Macht abgeben und Platz für eine Regierung der nationalen Einheit machen, so Samaras, der Tsipras aufgefordert hat, sich ihm und den anderen Parteiführern in einer Fernsehdebatte zu stellen, wenn er das Referendum schon nicht absagen wolle. Die Nea Dimokratia werde jedenfalls alles in ihrer Macht stehende tun, um das Land zurück in die Normalität zu führen und den Griechen wieder Hoffnung einzuflößen.
Auch Stavros Theodorakis von der im Januar erstmals ins Parlament gewählten, liberalen Partei „To Potami“ (Der Fluss) übt scharfe Kritik an der Abhaltung des Referendums. Tsipras und sein Koalitionspartner von den Unabhängigen Griechen, der Verteidigungsminister Panos Kammenos, arbeiteten für die „Drachmen-Lobby“ und führten das Land aus der EU, sagt der ehemalige Fernsehjournalist, der zudem eine nicht zu unterschätzende Angst vieler Griechen ins Feld führt: Griechenland gehört geographisch (und nicht nur geographisch) zum Balkan, doch das hört man in Griechenland im Allgemeinen nicht gern. Balkan, das sind Länder wie Bulgarien, das Kosovo oder Albanien, das sind Armut und Postkommunismus – damit will man nichts zu tun haben. Theodorakis sagte nun: „Wir werden nicht zu Bettlern in der Nachbarschaft des Balkans werden. Das ´Ja´ zu Europa wird gewinnen. Der Politikneuling erfand zur Abschreckung sogar noch eine Steigerungsform der Bezeichnung „Balkan“ und sagte, die jungen Menschen des Landes „wollen nicht, dass Griechenland zu Nordkorea wird.“ Tsipras solle daher den Mut haben, „dem griechischen Volk die Wahrheit zu sagen“, seinen Opportunismus zu überwinden, das Referendum zurückzuziehen und zu einer Vereinbarung mit der EU zu kommen.
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