Lehren für den Fall Griechenland
Als Deutschland Schulden erlassen wurden
Die BRD hat 1953 von einem Schuldenschnitt profitiert. Heute fordert Athen einen solchen. Das deutsche Wirtschaftswunder war jedoch ohne gleichzeitige Liberalisierung des Wirtschaftslebens undenkbar.
Man kann sich den griechischen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras kaum als Wanderprediger vorstellen, der bei seinen Landsleuten für die Einigung mit den Euro-Staaten wirbt. Stattdessen sagt er, er habe ein Dokument unterschrieben, an das er nicht glaube. In dieser Äusserung spiegelt sich das Malaise der griechischen Politik wider: Es mangelt ihr an der Überzeugung, dass sich mit ehrgeizigen Wirtschaftsreformen die Situation verbessern lässt. Überschuldet war vor gut 60 Jahren ausgerechnet Griechenlands heutiger grösster Gläubiger: Deutschland. Nicht ein flamboyanter Professor wurde aber 1951 mit den Verhandlungen betraut, sondern mit Hermann Josef Abs ein erfahrener Bankier. Nachdem das Londoner Schuldenabkommen mit den Alliierten ausgehandelt worden war, reiste Abs durch die Bundesrepublik, um der skeptischen Wirtschaft die Zustimmung schmackhaft zu machen.
Erlass von über 50 Prozent
In den anderthalbjährigen Verhandlungen suchte die BRD nach einer Lösung für ihre Auslandschulden. Der amerikanische Hochkommissar John McCloy hatte den ersten Kanzler der Bonner Republik, Konrad Adenauer, 1949 davor gewarnt, dass ausländische Investoren keine neuen Kredite zur Verfügung stellen würden, solange die Frage der Altschulden nicht geklärt sei. Laut dem Wirtschaftshistoriker Timothy Guinnane (Yale) betrugen die Forderungen aus der Vorkriegszeit 13,5 Mrd. D-Mark, davon waren 7,7 Mrd. öffentliche Schulden, etwa Dawes- und Young-Anleihen. Bei diesen handelte es sich um umgewandelte Reparationsforderungen aus dem Ersten Weltkrieg.
Das Deutsche Reich hatte diese Obligationen ab 1931 jedoch nicht mehr voll bedient. Die unbezahlten Zinsen beliefen sich auf 2,6 Mrd. D-Mark. Ergebnis der Verhandlungen war nun, dass die Vorkriegsschulden auf 7,3 Mrd. D-Mark sanken. Die Historikerin Ursula Rombeck-Jaschinski sagt, dass es dabei keinen Kapitalschnitt gegeben habe. Die Reduktion der Schuldenlast sei vielmehr über einen Verzicht auf Zinseszinsen, die Senkung der Zinssätze und eine Streckung der Laufzeiten erreicht worden – Massnahmen, die auch Griechenlands Gläubiger schon angewandt haben.
Einfacher war die Situation bei den deutschen Schulden aus der Nachkriegszeit. Dabei handelte es sich um amerikanische und britische Wirtschaftshilfen, primär Gelder aus dem Marshall-Plan. Insgesamt wurden diese Schulden von 16 Mrd. D-Mark auf 6,5 Mrd. gesenkt. Dabei erhielten zum Beispiel die USA neue Anleihen, die zu 2,5% verzinst und über 35 Jahre abbezahlt wurden. Die gesamten deutschen Verpflichtungen aus Vor- und Nachkriegszeiten verringerten sich durch das Abkommen von 30 Mrd. D-Mark auf knapp die Hälfte.
Londoner Vertrag als Vorbild?
Taugt das Londoner Schuldenabkommen als Vorbild für eine Lösung im gegenwärtigen Konflikt mit Athen? Sollten die Gläubiger auch auf die Hälfte der Forderungen verzichten? Vergessen geht bei solchen Vorschlägen, dass private Investoren und die Euro-Länder Athen schon weit entgegengekommen sind. Laut dem Krisenfonds ESM haben die Euro-Länder durch diverse Massnahmen wie die Streckung der Rückzahlung den realen Wert der Schulden in einem Umfang gesenkt, der 49% der griechischen Wirtschaftsleistung von 2013 entspricht. Zudem hatten private Gläubiger 2012 einen Schuldenschnitt akzeptiert, der gleichbedeutend ist mit 50% des griechischen Bruttoinlandprodukts (BIP).
Trotz den gewährten Nachlässen steckt Griechenland aber immer noch tief im Schuldensumpf. Laut dem Währungsfonds klettern Athens Schulden in den nächsten beiden Jahren auf das doppelte der Wirtschaftsleistung. Dass ein solcher Schuldenstand nicht nachhaltig ist, steht ausser Zweifel. Deutschland verhandelte dagegen in London über 30 Mrd. D-Mark Altschulden, was rund 30% am BIP von 1950 ausmachte.
Die D-Mark füllt die Regale
Ein isolierter Schuldenschnitt wird Griechenland ohnehin nicht weiterhelfen. Es braucht «flankierende Massnahmen». Auf Geheiss der Alliierten wurde 1948 mit der Einführung der D-Mark eine tiefgreifende Währungsreform durchgeführt, um den Geldüberhang zu beseitigen. Ebenso wichtig war, dass der nachmalige deutsche Wirtschaftsminister Ludwig Erhard, der für die Wirtschaftspolitik in den Westzonen verantwortlich war, gleichzeitig die Rationierung vieler Güter des Alltags und die Preisbindungen aufhob – womit sich über Nacht die Regale füllten. Versucht man den Bogen zu heute zu schlagen, wäre eine einschneidende Massnahme im Währungsbereich für Athen die Einführung einer «neuen Drachme». Eine Abwertung, so das Argument vieler Ökonomen, könnte dem Land helfen, preislich wieder konkurrenzfähig zu werden. Aus deutscher Sicht ist zudem ein echter Schuldenschnitt nicht möglich, solange Griechenland Mitglied der Währungsunion ist. Diese Interpretation von Art. 125 des EU-Vertrags (Nichtbeistandsklausel) ist allerdings umstritten .
Firmen als Devisenbeschaffer
Natürlich darf man auch die geopolitischen Umstände der 1950er Jahre nicht ausser acht lassen. Die Amerikaner wollten mit dem Marshall-Plan und dem Schuldenverzicht sicherstellen, dass die BRD dem westlichen Lager erhalten blieb. Wenn sich Deutschland wirtschaftlich erholte, so die damalige Hoffnung, könnte es eine Verteidigungsarmee alimentieren, was sowjetischen Machtgelüsten einen Riegel schöbe. Man zählte auch auf ein wiedererstarktes Deutschland als Konjunkturlokomotive für Europa. Griechenlands Anteil an der Wirtschaftsleistung der Euro-Zone liegt dagegen unter 2%. Politische Erwägungen – Stichwort Nato-Mitgliedschaft – und die Lage auf dem Balkan mögen aber eine Rolle spielen, dass man Athen im Euro halten will.
Deutschland verpflichtete sich im Londoner Schuldenabkommen dazu, zunächst jährlich 576 Mio. D-Mark zu zahlen. Ab 1958 wurden 750 Mio. D-Mark geleistet – neben Zinsen auch für die Tilgung. Die Gläubiger setzten auf eine Erholung der deutschen Industrie, welche die Devisen erwirtschaften musste, damit das Land die Auslandschulden bedienen konnte. Die Deutschen drangen deshalb auf eine Notklausel, die ihnen erlaubt hätte, den Schuldendienst auszusetzen, wenn es im Aussenhandel nicht lief. Die Alliierten lehnten dies zwar ab, erlaubten Bonn aber, Konsultationen zu verlangen, falls das Land die nötigen Devisen nicht beschaffen konnte. Verwandt mit einer solch bedingten Rückzahlung sind heutzutage Anleihen, deren Bedienung an das Wirtschaftswachstum geknüpft ist. Dabei erhält der Gläubiger umso mehr Geld, je besser die Wirtschaft gedeiht.
Fokus auf Kreditwürdigkeit
Die alliierte Seite hatte noch bis 1951 wiederholt eine stärkere Lenkung der deutschen Wirtschaft gefordert, wie man der Biografie über Hermann Josef Abs von Lothar Gall entnimmt. Doch die Zukunft sollte lehren, dass gerade umgekehrt zwischen der Liberalisierung des Wirtschaftslebens, der Lösung des Schuldenproblems und der Reintegration der deutschen Wirtschaft in den Weltmarkt ein unlösbarer wechselseitiger Zusammenhang bestanden habe, lautet Galls Fazit.
Dies lässt sich etwa am Kapitalverkehr ablesen: Dieser wurde ab 1954 liberalisiert bis zur vollen Konvertibilität der D-Mark 1958/59. Dies zog rasch ausländisches Kapital an: Gemäss dem Wirtschaftshistoriker Christoph Buchheim kletterte die Kapitaleinfuhr 1954 sprunghaft auf 1,2 Mrd. D-Mark, nachdem sie in den Jahren davor keine 100 Mio. D-Mark erreicht hatte.
Die Bonner Republik in ihren Anfängen zeigt, dass ein Schuldenschnitt keine hinreichende Bedingung ist, damit ein Land die Krise hinter sich lässt. Entscheidend sind vielmehr Schritte, um die Wettbewerbsfähigkeit zurückzuerobern. Für Deutschland und den Gesandten Abs ging es in den Verhandlungen zum Londoner Schuldenabkommen deshalb darum, die Kreditwürdigkeit der BRD herzustellen, und zwar in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht. Man wollte wieder ein berechenbares und somit respektiertes Mitglied der Weltwirtschaft sein. In dieser Hinsicht hat Athen noch viel Luft nach oben.
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