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Donnerstag, 2. April 2015
Der russische Präsident Putin und der russisch-orthodoxe Patriarch Kirill arbeiten eng zusammen.
Orthodoxie
Schützenhilfe Gottes für Putin
Daniel Wechlin, Moskau 26.7.2013, 06:00 Uhr
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Der russische Präsident Putin und der russisch-orthodoxe Patriarch Kirill arbeiten eng zusammen.
Der russische Präsident Putin und der russisch-orthodoxe Patriarch Kirill arbeiten eng zusammen. (Bild: Camera Press / Keystone)
Russland feiert das 1025-Jahr-Jubiläum seiner Christianisierung. Der Anlass wirft ein Licht auf die symbiotische Beziehung zwischen der Staatsführung und dem Moskauer Patriarchat.
Russland besinnt sich dieser Tage seiner christlichen Geschichte. Bis zum Wochenende finden prunkvolle Feiern zur Taufe der Kiewer Rus im Jahre 988 statt. Das Datum steht für die Taufe des Kiewer Grossfürsten Wladimir und damit für die Christianisierung Russlands. Den Anfang nahmen die Feierlichkeiten mit einer Liturgie von Patriarch Kirill in der Moskauer Christi-Erlöser-Kathedrale, den Abschluss finden sie in einem Gottesdienst in Kiew. Geladen sind religiöse Würdenträger sowie nebst dem russischen Präsidenten Wladimir Putin etwa auch die Staatschefs der Ukraine, Weissrusslands und Serbiens. Die grossangelegten Jubiläumsfeierlichkeiten gelten nicht nur als ein Beleg dafür, dass das Moskauer Patriarchat innerhalb der Orthodoxie seinen Führungsanspruch zu untermauern sucht. In politischer Hinsicht spiegeln sich darin die erstarkten Bande zwischen dem Kreml und der Kirche.
Putin der Erlöser
Besonders Präsident Putin bemüht sich immer deutlicher um die Gunst der Orthodoxie. Im Wahlkampf besuchte er Gottesdienste, versprach die Restitution von Kirchengütern und liess sich und seine Entourage mehrmals öffentlichkeitswirksam von Patriarch Kirill hofieren. Nach seiner Rückkehr in den Kreml im Mai 2012 setzte er diesen Kurs fort, wohl nicht zuletzt als Reaktion auf die aufbegehrende Bürgergesellschaft. Er bedient sich dabei eines Narrativs, das ihn einerseits als Retter vor Chaos, teilweise fast schon wie einen Auserwählten, andererseits aber auch als devoten Christen erscheinen lässt. In seiner letztjährigen Rede zur Lage der Nation konstatierte er einen Wertezerfall und ein fehlendes spirituelles Fundament der Gesellschaft. Es müssten jene Institutionen unterstützt werden, so forderte er, die als Träger traditioneller russischer Werte dienten.
Putin sieht die orthodoxe Kirche als ideale Partnerin für seine Politik, die er stärker als früher legitimieren muss. Nationalismus, Patriotismus und orthodoxer Glaube werden so zu Identifikationsmerkmalen «wahrer» Russen erhoben, die laut dem politischen und kirchlichen Diskurs vom Niedergang bedroht sind und sich einer Vielzahl von inneren wie äusseren Feinden erwehren müssen. Just Anfang dieser Woche strahlt das Staatsfernsehen eine Dokumentation mit dem Titel «Die zweite Taufe Russlands» aus, die das Wiedererstarken der Orthodoxie seit 1991 thematisiert. Putin erzählte darin, wie er als Kind heimlich getauft wurde. Er erwies der Kirche seine Reverenz, indem er sie als die massgebliche geistige und moralische Instanz für Russland charakterisierte. In Bezug auf Kirill meinen Kirchen-Beobachter, dass er bereits vor seiner Wahl zum Patriarchen im Jahre 2009 um gute Verbindungen zum Staat bemüht war. Er war in verschiedenen Arbeitsgruppen diverser Ministerien tätig. Sein Engagement wurde zwar nicht mit dem Willen zur Macht erklärt, sondern mit seiner Überzeugung, dass sich die Kirche um eine aktive Rolle in der Welt zu bemühen habe. Allerdings wird Kirill auch seit je ein starker russischer Patriotismus nachgesagt. Liberale Gesellschaftskonzepte scheinen ihm ein Graus zu sein, denn sie könnten zu unkontrollierbaren Zuständen führen. Welches soziale und politische Sendungsbewusstsein das russisch-orthodoxe Patriarchat unter Kirill dabei entwickelte, zeigte sich in den letzten Jahren immer frappanter.
Ein Sprecher der Kirche umschrieb Ende 2011 den abgekarteten Ämtertausch zwischen Dmitri Medwedew und Putin euphorisch als ein vorbildliches Beispiel von «Herzensgüte» und «Sittlichkeit» in der Politik. Kurze Zeit darauf war Putin bei Patriarch Kirill zu Gast. Das Kirchenoberhaupt votierte offen für eine dritte Amtszeit Putins im Kreml. Im Zusammenhang mit den politischen und ökonomischen Turbulenzen in den neunziger Jahren, die Kirill kurzerhand mit dem Zweiten Weltkrieg verglich, meinte der Patriarch, dass Putin erheblich zur erfolgreichen Korrektur der «Krümmung der Geschichte» beigetragen habe.
Kampf um den Status quo
Der Kreml und die Kirche profitieren seit dem Zerfall der Sowjetunion von einem steigenden Stellenwert der Religion. Nach einer Erhebung des Moskauer Meinungsforschungsinstituts Lewada bekennen sich derzeit 74 Prozent der Russen zur orthodoxen Kirche. Es handelt sich dabei eher um die Aufrechterhaltung wertkonservativer Traditionen als um aktiv gelebte Religiosität. Davon zeugt auch der kontroverse Fall der zu zwei Jahren Lager verurteilten Frauen der Punkband Pussy Riot. Bei aller offenkundiger Instrumentalisierung der Justiz durch die Staatsmacht stiess das Verdikt auf grossen Zuspruch. Der Auftritt in der Christi-Erlöser-Kathedrale wurde vorwiegend als eine antireligiöse Aktion und nicht als ein Protest gegen das System Putin verstanden. Das Patriarchat unterstützte diese Sichtweise mit polemischer und hetzerischer Rhetorik.
Die Symbiose von Patriarchat und Politik zeigt sich auch in einer ganzen Reihe repressiver Gesetze, die in den vergangenen Monaten ratifiziert wurden. Der Gesetzgeber setzte als direkte Reaktion auf die Protestbewegung ein verschärftes Demonstrationsrecht in Kraft, die Kirche ihrerseits sprach von einem alles zersetzenden Liberalismus. Das Parlament billigte zudem einen Paragrafen, der Schwule und Lesben diskreditiert. Die Kirche geisselte gleichgeschlechtliche Beziehungen und sprach von kranken Individuen. Gleichzeitig erklärte die Duma die Verletzung religiöser Gefühle zur Straftat.
Die Orthodoxie stellt für Präsident Putin letztlich eine nicht zu unterschätzende Machtstütze dar. Sie liefert ihm Anhänger und eine zusätzliche Schützenhilfe für die Durchsetzung seiner Politik, die an Zuspruch verliert. In der konservativ geprägten Bevölkerung stösst die Wechselbeziehung von Staat und Kirche laut Umfragen zwar (noch) nicht auf Ablehnung. Der disziplinierende Diskurs zielt letztlich aber lediglich auf die Erhaltung des Status quo ab. Zukunftsorientiert ist ein solches Gebaren nicht.
http://www.nzz.ch/aktuell/international/reportagen-und-analysen/schuetzenhilfe-gottes-fuer-putin-1.18123067
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