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Donnerstag, 1. September 2016

Marsch in Venezuela Caracas vor der Einnahme durch die Opposition? Venezuelas Präsident Maduro ignoriert bislang alle Vorhaben des Parlaments. Eine Amtsenthebung blockieren seine Gerichte. Die Opposition will darum mehr als eine Million Menschen gegen das sozialistische Regime mobilisieren.

Marsch in VenezuelaCaracas vor der Einnahme durch die Opposition?

Venezuelas Präsident Maduro ignoriert bislang alle Vorhaben des Parlaments. Eine Amtsenthebung blockieren seine Gerichte. Die Opposition will darum mehr als eine Million Menschen gegen das sozialistische Regime mobilisieren.
 von SÃO PAULO
© AFPVenezolanische Demonstranten gegen Präsident Nicolas Maduro
Wird der 1. September in die Geschichte Venezuelas eingehen? Das Oppositionsbündnis „Tisch der Demokratischen Einheit“ hat für diesen Donnerstag zum Sternmarsch auf Caracas und zur Großdemonstration in der venezolanischen Hauptstadt aufgerufen. Damit soll der Druck auf das sozialistische Regime von Präsident Nicolás Maduro erhöht werden, das von der Opposition angestrengte Referendum über die Amtsenthebung des Staats- und Regierungschefs nicht länger mit Verfahrenstricks zu verzögern. Bisher hat die vom Regime kontrollierte Nationale Wahlbehörde alles unternommen, um den von der Verfassung garantierten Prozess zur Abhaltung einer Volksabstimmung zu hintertreiben.
Die Demonstration, zu der die Opposition 1,2 Millionen Teilnehmer erwartet, steht unter dem Motto „Die Einnahme von Caracas“. Das Bündnis betont, dass es sich um eine friedliche Aktion handle. Maduro dagegen wirft der Opposition vor, sie plane, angestachelt und unterstützt von den Vereinigten Staaten, einen Staatsstreich. Der Präsident versichert, die sozialistische Revolution werde mit allen Mitteln verteidigt. Dafür hat er Armee und Polizei in Alarmbereitschaft versetzt. Caracas gleicht schon seit Tagen einer Stadt im Belagerungszustand. An den Zufahrtsstraßen zur Hauptstadt sowie vor Tunneln in Caracas wurden Sandsackbarrieren aufgestellt. Gepanzerte Fahrzeuge und Wasserwerfer sind in Stellung gebracht. Die Sozialistische Partei Maduros hat ihrerseits zu einer Gegendemonstration aufgerufen.

Opposition versucht Absetzung des Präsidenten voranzutreiben

Für beide Seiten steht am Tag „1-S“ viel auf dem Spiel. In den vergangenen Monaten waren die Versuche der Opposition kläglich gescheitert, die Massen zu mobilisieren. Auf die kurze Phase der Euphorie nach ihrem Erdrutschsieg bei der Parlamentswahl vom Dezember war bald Ernüchterung gefolgt: Die Regierung unter Maduro und die vom Regime kontrollierten Gerichte und Behörden stellten das Parlament mit seiner oppositionellen Zweidrittelmehrheit kalt. Vom Parlament verabschiedete Gesetze wurden ignoriert oder vom Obersten Gericht für verfassungswidrig und damit ungültig erklärt. Und obwohl sich die Wirtschafts- und Versorgungskrise weiter verschärfte, folgte die ausgezehrte Bevölkerung nicht in nennenswerter Zahl den Demonstrationsaufrufen der Opposition. Die kleine Schar der Protestierer sah sich einem massiven Aufgebot der Bereitschaftspolizei und den Übergriffen der Schlägertrupps des Regimes ausgesetzt.
Derweil versuchte die Opposition, das Verfahren zur Abhaltung eines Referendums zur Absetzung von Präsident Maduro voranzutreiben. Schon Anfang Mai hatte sie nach eigenen Angaben 1,9 Millionen Unterschriften bei der Wahlbehörde eingereicht. Die forderte aber Ende Juni, dass die eingereichten Unterschriften von den Wahlberechtigten persönlich bei den Büros der Wahlbehörde in den Hauptstädten der 23 Bundesstaaten verifiziert werden müssten. Schließlich ließ sie sich bis Anfang August Zeit, um die Authentizität von knapp 400 000 Unterschriften zu bestätigen - das waren doppelt so viele wie erforderlich. Den zweiten Schritt, die Sammlung der Unterschriften von zwanzig Prozent aller Wahlberechtigten, setzte die Wahlbehörde am Montag auf die Zeit vom 20. bis 24. Oktober fest. Damit ist es so gut wie unmöglich, dass das Referendum noch in diesem Jahr stattfindet, zumal wenn sich die Behörde für die Verifizierung der mindestens vier Millionen Unterschriften beim zweiten Schritt ebenso viel Zeit lässt wie beim ersten Schritt. Findet das Referendum aber erst nach dem 10. Januar 2017 statt, würde im Falle einer - nach derzeitigen Umfragen hoch wahrscheinlichen - Abwahl Maduros dessen sozialistischer Stellvertreter Aristóbulo Istúriz bis zum Ende von Maduros sechsjährigem Mandat im April 2019 regieren.

Festnahmen von Oppositionspolitikern

Die Opposition hat also kaum noch Zeit und zudem keine Option außer dem Druck der Straße, um über ein Referendum einen baldigen Regierungswechsel zu erreichen. „Den Wechsel gibt es nicht umsonst, man muss dafür kämpfen“, sagte Oppositionsführer Henrique Capriles Anfang der Woche: „Eine korrupte Staatsführung kann uns nicht den Traum von einem besseren Land rauben.“ Der Gouverneur des Bundesstaates Miranda südöstlich der Hauptstadt Caracas und zweifache Präsidentschaftskandidat ist der informelle Wortführer der Opposition, der zuletzt auch bei Auslandsreisen um Unterstützung für die Regimegegner geworben hat. Die Opposition braucht dringend einen Erfolg bei der Massenmobilisierung, also Hunderttausende von Demonstrationsteilnehmern am Donnerstag statt nur wenige Tausend wie zuletzt.
Aber auch das Maduro-Regime blickt nervös auf den Tag „1-S“. Am vergangenen Wochenende wurde Daniel Ceballos, der frühere Bürgermeister der Oppositionshochburg San Cristóbal im Westen Venezuelas, von Agenten des Geheimdienstes Sebin abgeholt und in ein Gefängnis gebracht. Ceballos war nach den gewaltsamen Protesten vom Februar 2014 als angeblicher Rädelsführer zu einer Haftstrafe verurteilt worden. Ceballos wurde aber, anders als der zu knapp 14 Jahren Haft verurteilte und weiter im Militärgefängnis Ramo Verde inhaftierte Oppositionsführer Leopoldo López, wegen Gesundheitsproblemen in den Hausarrest entlassen. Seine neuerliche Festnahme begründete das Regime damit, Ceballos habe „Gewalttaten im ganzen Land“ anzuzetteln versucht. Ebenfalls festgenommen wurde am Montag der jüngst aus dem Exil zurückgekehrte Oppositionspolitiker Yon Goicoechea, bei dem Material zum Bau von Bomben sichergestellt worden sein soll. Mehrere Oppositionspolitiker sollen seither untergetaucht sein. Auch der gewählte Bürgermeister von Caracas, Antonio Ledezma, wird weiterhin im Hausarrest festgehalten.

Mehrheit der Bevölkerung für Absetzung Maduros

Die Opposition wirft dem Regime vor, der Präsident lasse willkürlich politische Gefangene nehmen, um sein Regime zu retten. Laut jüngsten Umfragen befürworten 75 Prozent der Venezolaner die vorzeitige Ablösung Maduros. Am Dienstag wurden mindestens vier Journalisten, die über die Demonstration am Donnerstag berichten wollten, am Flughafen Maiquetía von Caracas wegen angeblichen Verstoßes gegen Visabestimmungen vorübergehend festgenommen und nach Kolumbien und Mexiko zurückgeschickt. Maduro versicherte derweil, er werde gegen jeden Putschversuch härter durchgreifen, als der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan dies nach dem Umsturzversuch von Mitte Juli getan habe.
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