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Montag, 6. Januar 2014

Die Größe des Problems", schreiben Reinhart und Rogoff, „legt nahe, dass Umschuldungen nötig sein werden, vor allem in der Peripherie Europas - und das weit jenseits von allem, was bisher in der Öffentlichkeit diskutiert wird."

So kann Europa seinen Schuldenberg loswerden

    Von MATTHEW DALTON
BRÜSSEL – Der Party vor der Finanzkrise folgte der Crash. Dann kam der große Kater: Riesige Schuldenlasten können bei Ländern zu jahrelangen Kopfschmerzen führen, die sich durch langsames Wachstum und hohe Arbeitslosigkeit auszeichnen.
Es gibt einige kraftvolle Medikamente, um die Schulden wieder zurückzufahren – denen gemeinsam ist, dass sie für die Gläubiger auf die eine oder andere Weise Verluste bedeuten. Aber Europa hat bisher darauf verzichtet, diese Mittel zu nutzen. Einige Volkswirte bezweifeln, dass dies noch lange so bleiben wird.
Das ist die Frage, die wohl in diesem Jahr über den Finanzmärkten schweben wird. Seit dem Versprechen von EZB-Präsident Mario Draghi vom Sommer 2012, "alles zu tun, was nötig ist", um die Eurozone zu unterstützen, liegt ein Deckel auf den Anleiherenditen der Euro-Staaten. Die Eurozone hat die Rezession inzwischen – mit einem kleinen Wachstum – hinter sich gelassen, und die Industrieproduktion im Dezember zeigt, dass die Expansion zunächst anhalten könnte.
Das Problem des europäischen Schuldenbergs aber bleibt. Solange dieser da ist, werden Unternehmen und Staaten diesen erst abtragen wollen, statt in neue Fabriken, Ausrüstung oder Infrastruktur zu investieren. Auch für viele Europäer ist es erste Priorität, zunächst Hypotheken abzubezahlen, statt das Geld für Urlaub oder Konsumgüter auszugeben.

Bisher kaum Erfolge beim Schuldenabbau

Tatsächlich habe die europäische Wirtschaftspolitik – die Haushaltsdefizite senkt und Strukturreformen für mehr Wachstum durchführt – recht wenig getan, um den Schuldenberg wirklich zu verringern. Die Politik könnte die Last für die nächsten Jahre sogar verschlimmert haben, sagen viele Volkswirte. Die Sparpolitik hat das Wachstum überraschend stark beeinträchtigt, während die Hinweise darauf, dass die Strukturreformen die Wirtschaft antreiben, eher gering sind. Stattdessen sinken die Einkommen, Gewinne und Steuereinnahmen, was die Schuldenlast immer schwerer erträglich macht.
Dabei gibt es stärkere Gegenmittel, um den Schuldenberg schneller abzubauen, wie eine neue Studie der US-Volkswirte Carmen Reinhart und Kenneth Rogoff zeigt. Sie heißen Umschuldung, Inflation und „finanzielle Repression", was bedeutet, dass der Staat seine Macht nutzt, um die Banken dazu zu zwingen, günstige Wertpapiere zugunsten der Wirtschaftsbelebung zu kaufen.
Die Forschungen von Reinhart und Rogoff haben schon früher große Wirkung in Europa entfaltet: So hatten Spitzenpolitiker immer wieder eine Studie der beiden zu den Auswirkungen hoher Staatschulden auf die Wirtschaftsentwicklung zitiert – die laut späteren Erkenntnissen Rechenfehler enthielten, was für teils heftige Kritik sorgte – um die Sparpolitik in Europa zurechtfertigen.
Europa wolle ebenso wenig wie etwa Schwellenländer den Weg der Umschuldung-Inflation-Repression gehen, schreiben die Volkswirte, weil das aussichtslos sei und nur Bananenrepubliken tun würden, um mit ihren Schuldenproblemen zurechtzukommen. Aber die Geschichte zeige etwas anderes, so die beiden Wissenschaftler: „In den meisten fortgeschrittenen Volkswirtschaften sind Umschuldungen, finanzielle Repression und höhere Inflation zentrale Bestandteile bei der Beseitigung übergroßer Schulden."

Auch bei der Privatverschuldung kaum Fortschritte

Europa ist zumindest schon einige Schritte in diese Richtung gegangen. Inhaber griechischer Staatsanleihen mussten massive Verluste hinnehmen, als das Land 2012 umgeschuldet wurde. Auch Gläubiger von Banken in Spanien, Zypern, den Niederlanden, Slowenien und Dänemark mussten im Zuge von Restrukturierungen Verluste einstecken.
Agence France-Presse/Getty Images
Es gibt noch stärkere Mittel zum Schuldenabbau, aber die Eurozone lehnt sie bisher ab.
In der neuen Bankenunion der EU hängen Gläubiger von Banken ebenfalls am Haken, sollte ein Institut in finanzielle Schwierigkeiten geraten.
Doch diese Maßnahmen waren beschränkt. Die Eurozone hat geschworen, dass kein anderer Staat seine Schulden umstrukturieren wird. Und während Bankgläubiger Verluste gewärtigen müssen, gibt es nur wenig Diskussionen über ein abgestimmtes Programm zur Schuldenerleichterung für Haushalte, die den Banken Geld schulden – ein schon lange herrschendes Problem in Ländern wie Irland, Spanien und den Niederlanden, wo geplatzte Immobilienblasen viele Menschen mit riesigen Hypothekenschulden zurückgelassen haben. Derartige Programme hätten in vergangenen Krisen – etwa der Großen Depression in den USA – dabei geholfen, die Verschuldung abzubauen, wie der Internationale Währungsfonds schreibt.
Bisher gibt es in Europa nur sehr wenig Entlastung für Hypothekenschuldner. Strikte Insolvenzgesetze machen es zudem schwer, Schulden zu streichen – anders als etwa in den USA, wo eine Welle von geplatzten Hypothekenkrediten dabei geholfen hat, die Verschuldung der Haushalte nach der Subprime-Krise zu senken.

Reinhart & Rogoff: Große Umschuldung wird kommen

Ein Ausbruch hoher Inflation, selbst wenn er nur kurzzeitig wäre, könnte der am wenigsten schmerzvolle Weg sein, um Europa von seiner Überschuldung zu befreien. Die EZB aber muss mit aller Macht darum kämpfen, dass die Eurozone nicht in eine richtige Deflation abrutscht, und ist weit davon entfernt, Inflation von über 2 Prozent zu verhindern.
Dennoch realisiert die europäische Politik immer stärker den langen Kater, der ihrer Wirtschaft in den kommenden Jahren noch bevorsteht. Möglicherweise greifen die Politiker auch nach stärkerer Medizin, mit denen die Schulden gesenkt werden können, die aber auch die Finanzmärkte in Aufruhr versetzt.
Die Größe des Problems", schreiben Reinhart und Rogoff, „legt nahe, dass Umschuldungen nötig sein werden, vor allem in der Peripherie Europas - und das weit jenseits von allem, was bisher in der Öffentlichkeit diskutiert wird."
Kontakt zum Autor: redaktion@wallstreetjournal.de

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