CSU-VorschlägeBrüller fürs Bierzelt
05.01.2014 · Die CSU bereitet sich auf Kommunal- und Europawahl vor: mit dem Traumthema Armutseinwanderung. Ihre Vorschläge helfen den Kommunen jedoch nicht weiter. Denn die Partei macht den gleichen Fehler wie bei der Autobahnmaut.
Von TIMO FRASCH und THOMAS GUTSCHKER
Die Pkw-Maut war für die CSU ein absolutes Gewinner-Thema. Weil die Partei damit vor der Landtags- und Bundestagswahl zeigen konnte, dass sie noch ein Gefühl dafür hat, was die Leute umtreibt, was sie aufregt. Europarechtliche Einwände wurden dafür beiseite gewischt, auch mit Ressentiments gegenüber Ausländern wurde gespielt, aber eben nur ein bisschen und nur gegenüber den letztlich Wohlgelittenen wie den Österreichern oder den Holländern. Nun stehen die nächsten Wahlen ins Haus: Mitte März in den bayerischen Kommunen, Ende Mai in Europa. Das Thema, mit dem man beide Termine auf geradezu geniale Weise verbinden kann, heißt: Armutseinwanderung. Mehrere Großstädte klagen schon seit Monaten über unhaltbare Zustände in Massenunterkünften, über Verwahrlosung und zunehmende Kriminalität, über horrende Kosten und Sozialleistungsbetrug. Es geht um Leute aus Rumänien und Bulgarien, häufig Roma, und die genießen seit Jahresanfang auch noch den vollen und unbeschränkten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt. Horrorszenarien machen die Runde – wahlkampftaktisch eine Punktlandung für die CSU.
Auslöser der Debatte war ein Papier, das die Landesgruppe im Bundestag für die am kommenden Dienstag beginnende Klausurtagung in Wildbad Kreuth geschrieben hat. „Die Belange der Kommunen zukunftsfest gestalten“ steht darüber – eine Art Kommunalwahlprogramm. Der Abschnitt zur Armutseinwanderung nimmt nur 15 Zeilen des knapp vier Seiten langen Entwurfs ein, aber er enthält den griffigsten Satz: „Wer betrügt, der fliegt.“ Der wurde schon vorher bekannt – und so konnte die große Koalition das neue Jahr mit einem Streit beginnen. SPD-Politiker sind empört, einige CDU-Politiker mindestens irritiert. Im Internet wird Spott über der CSU ausgegossen: Seehofer im Flugzeug, Uli Hoeneß an der Gangway: „Wer betrügt, der fliegt.“ Auch in der CSU sind längst nicht alle glücklich über die schmissige Formulierung, aber im Hause Seehofer traut sich keiner, das offen zu sagen.
EU-Bürger müssen gleich behandelt werden
Konkret erhebt die CSU-Landesgruppe zwei Forderungen. Erstens: „Wir prüfen eine generelle Aussetzung des Bezuges von Sozialleistungen für die ersten drei Monate des Aufenthalts in Deutschland.“ Zweitens: „Wenn beispielsweise Dokumente gefälscht wurden oder Sozialleistungsbetrug nachgewiesen wurde, muss es eine Möglichkeit geben, die betroffenen Personen nicht nur auszuweisen, sondern auch an der Wiedereinreise zu hindern.“ Dieser Punkt steht ganz ähnlich auch im Koalitionsvertrag für den Bund. Von der „Ermöglichung von befristeten Wiedereinreisesperren“ ist da die Rede. Das haben einige SPD-Politiker, die sich jetzt aufregen, aber schon vergessen, wie es scheint. Nun gut. Aber taugen diese Forderungen überhaupt dazu, die Probleme mit Armutseinwanderern in den Kommunen zu lindern? Beginnen wir mal mit der ersten: Sozialleistungen für drei Monate aussetzen, das klingt hammerhart. Kommt im Bierzelt sicher gut an. Aber angesichts der europäischen Rechtslage ergeht es dieser Forderung wie dem Nagel, den man in eine Stahlbetonwand haut: er wird schief und krumm und nutzt nichts.
In Europa gilt nämlich der Grundsatz, dass Unionsbürger gleich behandelt werden müssen, egal ob sie in ihrem Heimatland oder in einem anderen EU-Staat leben. Wer hierzulande eine Arbeitsstelle antritt oder sich selbständig macht, genießt vom ersten Tag an dieselben Rechte wie ein deutscher Arbeitnehmer, vom Krankengeld bis zum Arbeitslosengeld. Wenn ein Selbständiger nicht genügend zum Leben erwirtschaftet, kann er schon nach ein paar Wochen Aufstockerleistungen beantragen. Ein kleiner Teil der Migranten aus Bulgarien und Rumänien lebt nach diesem Modell, und die CSU würde es gerne beenden. Aber dann müsste sie auch in die Rechte deutscher Arbeitnehmer eingreifen – das wäre nicht gerade der Brüller fürs Bierzelt.
Ein größerer Teil der Armutseinwanderer lebt vom Kindergeld und zusätzlichen Verdiensten, sei es über Prostitution oder Schwarzarbeit auf dem Bau. In Problemstädten wie Berlin, Dortmund, Duisburg oder Offenbach sind die Anträge von Rumänen und Bulgaren auf Kindergeld im zurückliegenden Jahr sprunghaft gestiegen, um etwa 40 Prozent. Für Familien aus diesen Ländern ist das Kindergeld schon eine Menge – wer drei Kinder hat, bekommt mehr als ein Durchschnittsverdiener in der Heimat. Und die Kinder müssen nicht einmal alle hier leben, geschweige denn in die Kita oder zur Schule gehen. Weil das Deutschen genauso wenig vorgeschrieben ist.
Eine erkennbare Tendenz in der Rechtsprechung
Es ist wie mit der Autobahnmaut: Auch die gibt es im Europa der gleichberechtigten Unionsbürger nur für alle oder für keinen. Das mag den einen oder anderen CSUler ärgern, aber er hätte dann lieber den Vertrag von Maastricht verhindern sollen.
Ist also gar keine Ungleichbehandlung mehr möglich? Doch, in engen Grenzen – die obendrein immer enger werden. Wer nach Deutschland kommt, um Arbeit zu suchen, hat in den ersten drei Monaten keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe. So steht es in der Unionsbürgerrichtlinie von 2004, so steht es im deutschen Recht. Da muss die CSU gar nichts mehr herbeiführen. Interessant wird es erst, wenn die ersten drei Monate vorbei sind. Im deutschen Sozialgesetzbuch heißt es klipp und klar: Wer nur zur Arbeitssuche in Deutschland ist, hat kein Recht auf Sozialleistungen (außer Kindergeld und existenznotwendige Versorgung), auch nicht ab dem vierten Monat. Die Bundesagentur für Arbeit hat ihre Jobcenter ausdrücklich angewiesen, diesen Leistungsausschluss konsequent umzusetzen.
Das Problem ist nur: Immer mehr Sozialgerichte halten sich nicht daran. Ende November sorgte eine Entscheidung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen für Aufsehen. Die Richter sprachen einer rumänischen Familie, die seit 2009 in Gelsenkirchen lebt – von Kindergeld und dem Verkauf einer Obdachlosenzeitschrift –, einen Anspruch auf Hartz IV zu. Begründung: Der kategorische Leistungsausschluss widerspricht dem Gebot zur Gleichbehandlung im europäischen Recht, das deutsches Recht bricht. Kurz darauf entschied das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen genau umgekehrt. So entstand der Eindruck, diese Frage sei umstritten.
Das stimmt so weit, weil es in Deutschland bisher keine höchstrichterliche Entscheidung dazu gibt. Doch in der Mehrzahl der bisher gut 300 Fälle, die bei deutschen Sozialgerichten anhängig waren, wurde zugunsten des Klägers entschieden, in der Regel im Eilverfahren. Und auch bei Grundsatzurteilen liegen die Landessozialgerichte mehrheitlich auf nordrhein-westfälischer Linie. Das Bundessozialgericht hat dem Europäischen Gerichtshof im Dezember die entscheidenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt – schon das eine Anerkennung des Vorrangs europäischen Rechts. Frank Schreiber, Jurist und Autor mehrerer Fachbücher zu dem Thema, sagt: „Es ist eine klare Tendenz in der Rechtsprechung erkennbar: Solange sich jemand rechtmäßig hier aufhält, werden ihm auch Sozialleistungen zugesprochen. Das gilt sogar dann, wenn ein Unionsbürger weder Kenntnisse der deutschen Sprache hat noch einen Schulabschluss.“ Schreiber spricht aus Erfahrung: Er ist Richter am Landessozialgericht Hessen, das schon in fast hundert Fällen geurteilt hat.
Die Probleme müssen hierzulande gelöst werden
Peter Gauweiler, Rechtsanwalt und stellvertretender CSU-Chef, hat kein Verständnis für diese Urteilspraxis: „Wir hätten eigentlich klare Regelungen: im deutschen Sozialgesetzbuch und in der Unionsbürgerrichtlinie der EU. Allerdings sind diese Regelungen durch eine Reihe von Urteilen ziemlich durchlöchert und teilweise ins Gegenteil verkehrt worden“, sagt Gauweiler. Deshalb sei jetzt die Politik gefragt.
Aber was soll sie machen? Gerichtsurteile kann sie nicht schreiben, und am Ende entscheidet der Europäische Gerichtshof. Es gäbe trotzdem viel zu tun. Wer in Deutschland bloß von Sozialleistungen lebt und sich gar nicht um eine Arbeit bemüht oder keine erkennbare Aussicht auf Erfolg hat, darf ausgewiesen werden. Darüber entscheiden die Ausländerbehörden. Allerdings „sehr lax“, wie Sozialrichter Schneider aus der Praxis weiß: „Da vergehen viele Monate oder sogar Jahre, bevor gehandelt wird.“
Damit sind wir bei der zweiten Forderung der CSU und auch des Koalitionsvertrags: Wiedereinreisesperren für Sozialbetrüger. Führt aber ebenfalls in die Irre. Deutschland darf zwar tatsächlich solche Sperren verhängen, auch zeitlich befristet. Jedoch nur, wenn die öffentliche Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gefährdet sind. Wenn jemand bloß Dokumente gefälscht hat, um sich als Selbständiger auszugeben, reicht das nicht für eine Einreisesperre. Der CDU-Europapolitiker Elmar Brok hat deshalb eine andere Lösung ins Spiel gebracht: Kommunen und Länder sollen die Daten von Sozialbetrügern sammeln, etwa Fingerabdrücke, damit sie nicht ein paar Wochen später an einem anderen Ort wieder Leistungen beantragen können. Brok stellt klar: „Es geht mir ausdrücklich nicht darum, sämtliche Zuwanderer zu erfassen, sondern nur Leute, die des Missbrauchs überführt worden sind.“
Das könnte eine Lösung sein, überhaupt tauschen sich Jobcenter, Sozialämter und Ausländerbehörden zu wenig aus. „Mehr Datenaustausch“ – das klingt natürlich nicht so sexy wie „Wer betrügt, der fliegt“. Man kann damit auch nicht Stimmung machen gegen Brüssel. Doch die Probleme müssen hierzulande gelöst werden. In Berlin. Und in München.
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