Rückkehr an den Kapitalmarkt: Griechenlands dubiose Wunderheilung
Seit knapp vier Jahren hängt Griechenland am Tropf internationaler Hilfspakete. Nun plant die Regierung die Rückkehr an den Kapitalmarkt. Die Anleger stehen bereit - obwohl die Ausgangssituation des Landes teilweise schlechter ist als 2010.
Hamburg - Es waren dramatische Tage, damals, im Frühjahr 2010. Griechenland stand vor dem Staatsbankrott. Die Schulden des Landes waren auf mehr als 120 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung gestiegen - ein Niveau, das den Investoren an den Finanzmärkten nicht mehr tragbar erschien. Sie forderten deshalb immer höhere Zinsen auf die Anleihen, mit denen sich der griechische Staat finanzierte. Die jährlichen Renditen der Papiere schossen auf mehr als 13 Prozent.
ANZEIGE
Rund vier Jahre und zwei Rettungspakete später sind die Spekulanten die große Hoffnung für Griechenland. Die Regierung in Athen plant die spektakuläre Rückkehr des Landes an die Kapitalmärkte. Bis Ende Juni wolle man einen ersten Versuch machen, kündigte Finanzminister Yannis Stournaras am Montag an. In griechischen Medien wurde bereits darüber spekuliert, eine erste Anleihe mit mittlerer Laufzeit könne sogar schon in der laufenden Woche kommen - rechtzeitig zum geplanten Besuch der deutschen Bundeskanzlerin am Freitag in Athen.
Die Zahlen sprechen gegen Griechenland
Es wäre ein kleines Wunder, wenn das Comeback der Griechen gelänge - doch genau dieses Wunder scheint mittlerweile ziemlich realistisch. Viele Investoren signalisieren ihre Kaufbereitschaft für griechische Staatspapiere. Im Handel mit den bisher im Umlauf befindlichen Schuldtiteln fiel die Rendite am Montag auf 6,1 Prozent - so niedrig lag sie zuletzt im März 2010. Auch die Bundesregierung gibt sich optimistisch. Die Comeback-Pläne seien "letztendlich ein Beleg dafür, dass das Programm erfolgreich verläuft und dass das Vertrauen der Finanzmärkte zurückkehrt", sagte eine Sprecherin des Finanzministeriums.
Doch woher kommt die neue Euphorie für ein Land, das bis vor wenigen Monaten noch als verloren galt?
An den fundamentalen Wirtschaftsdaten kann es jedenfalls nicht liegen. Denn die haben sich seit dem Frühjahr 2010 eher verschlechtert als verbessert:
- Die Wirtschaftsleistung, also das Bruttoinlandsprodukt, ist von rund 230 Milliarden Euro auf etwa 180 Milliarden Euro geschrumpft (siehe Grafik). Seit 2009 geht es jedes Jahr mehrere Prozentpunkte abwärts. Für das laufende Jahr ist zwar Besserung angekündigt. Doch viel mehr als eine Stagnation auf niedrigem Niveau dürfte nicht drin sein. Deshalb wird wohl auch die Arbeitslosigkeit auf dem dramatisch hohen Niveau von rund 27 Prozent verharren - mehr als doppelt so hoch wie zu Krisenbeginn.
- Die Staatsverschuldung ist von 120 auf zuletzt 177 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nach oben geschnellt (siehe Grafik). Ein Grund für die desaströsen Zahlen ist zwar das sinkende Bruttoinlandsprodukt, zu dem die Verschuldung in Relation gesetzt wird. Doch auch in absoluten Zahlen ist die Staatsschuld seit dem Frühjahr 2010 nicht gesunken, sondern gestiegen: Von rund 300 auf 320 Milliarden Euro. Und das trotz eines Schuldenschnitts, bei dem private Gläubiger des Landes im Jahr 2012 auf rund 100 Milliarden Euro verzichtet haben.
- Auch das jährliche Haushaltsdefizit hat sich seit 2009 kaum verbessert. Im Jahr 2013 lag es immer noch bei rund 13 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung (siehe Grafik). 2014 soll es zwar besser werden. Doch das hieß es im Voraus so ziemlich von jedem Jahr.
Das alles heißt nicht, das die Griechen nichts getan hätten. Im Gegenteil: Das Land hat unter dem Druck der internationalen Geldgeber ein gigantisches Sparprogramm durchgezogen und die verkrusteten Strukturen in Wirtschaft und Verwaltung gelockert. Ob das allein aber reicht, um von den gigantischen Schulten runterzukommen, darf bezweifelt werden.
Die Regierung in Athen sieht das naturgemäß anders - und verweist auf eine Kennzahl, die die großen Fortschritte des Landes deutlich machen soll: So habe man 2013 erstmals einen Primärüberschuss erzielt. Darunter versteht man einen Haushaltsüberschuss unter Herausrechnung der Zinsen, die das Land für seine Staatsschulden zahlen muss. Sollte die Jubelmeldung aus Griechenland stimmen, kann die Regierung Athen auf neue Erleichterung bei den laufenden Hilfskrediten rechnen.
Am 23. April will das EU-Statistikamt Eurostat die endgültigen Zahlen veröffentlichen. Doch schon jetzt kommen Zweifel auf, ob beim griechischen Wunder alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Denn nach bereits vorliegenden Eurostat-Zahlen für die ersten neun Monate des Jahres schlug im ersten und zweiten Quartal 2013 noch ein gewaltiges Defizit von insgesamt 17,6 Milliarden Euro zu Buche, das auch im dritten Quartal nur minimal gelindert werden konnte. Es müsste im letzten Quartal also sensationell gut gelaufen sein, um für das Gesamtjahr einen Überschuss ausweisen zu können.
Schon machen Gerüchte die Runde, die griechische Regierung habe Ende 2013 einen Zahlungsstopp verhängt und fällige Ausgaben einfach auf 2014 verschoben. "Diese Zweifel müssen ernst genommen werden", sagt Jörg Rocholl, Präsident der ESMT-Hochschule in Berlin. "Wir brauchen da dringend Transparenz."
Bluten müssen die Steuerzahler
ANZEIGE
Keineswegs. Es kann durchaus rational sein für private Investoren, sich auf Griechenland-Anleihen zu stürzen. Die Papiere sind im Vergleich zu Bundesanleihen immer noch sehr gut verzinst und genießen trotzdem eine Art deutscher Staatsgarantie. Schließlich hat Bundeskanzlerin Merkel nach dem Schuldenschnitt 2012 versprochen, dass private Investoren nicht noch einmal für Griechenland zur Kasse gebeten würden.
Im Umkehrschluss heißt das: Bluten müssen künftig allenfalls noch die öffentlichen Gläubiger, allen voran die Euro-Staaten, die über den Rettungsfonds ESM einen Großteil der griechischen Schuldtitel besitzen. Entweder werden auch sie irgendwann auf einen Teil ihres Geldes verzichten müssen, oder aber die Rückzahlung wird so weit nach hinten verschoben, dass die nächste Generation das Problem erbt. "Am Ende", sagt Ökonom Rocholl, "sind für die europäischen Steuerzahler weitere Verluste zu erwarten."
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen