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Dienstag, 8. April 2014

Der deutsche Anwalts-Adel in der Defensive: Ex-Ministerpräsident Mappus verklagt die Kanzlei Gleiss Lutz wegen angeblicher Falschberatung beim Rückkauf des Energieversorgers EnBW. Gegen den Platzhirschen Hengeler Mueller ermittelt sogar die Staatsanwaltschaft. Von JOACHIM JAHN, BERLIN


EnBW-RückkaufTop-Wirtschaftskanzleien unter Beschuss

  ·  Der deutsche Anwalts-Adel in der Defensive: Ex-Ministerpräsident Mappus verklagt die Kanzlei Gleiss Lutz wegen angeblicher Falschberatung beim Rückkauf des Energieversorgers EnBW. Gegen den Platzhirschen Hengeler Mueller ermittelt sogar die Staatsanwaltschaft.
© DAPDVergrößernRechtsanwälte Luidger Röckrath, Markus Meier und Peter Heckel (v.l.) im Prozess der Kirch-Erben gegen die Deutsche Bank
Für die erste Garde der deutschen Wirtschaftskanzleien ist das eine ganz neue Erfahrung. Sonst sind Hengeler Mueller und Gleiss Lutz ganz vorn dabei, wenn es gilt, Fusionen einzufädeln oder Konzerne gegen Kartellvorwürfe zu verteidigen. Ihre Berater rufen einen Stundensatz von ein paar hundert Euro auf; sie gehen in den Vorstandsetagen ein und aus. Doch nun kommt es Schlag auf Schlag. Baden-Württembergs Ex-Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) hat am Landgericht Stuttgart eine Klage gegen Gleiss Lutz eingereicht, die der F.A.Z. vorliegt.
Die Münchner Kanzlei Bub, Gauweiler & Partner wirft den Anwälten darin schwere Beratungsfehler beim Rückkauf des Energieversorgers EnBW vor. Den Deal hat der Staatsgerichtshof des Südweststaates mittlerweile als verfassungswidrig eingestuft, weil die schwarz-gelbe Landesregierung damals das Parlament übergangen hatte. Ein Untersuchungsausschuss sowie Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Untreue sind die Folge.
Mappus sei zum „Sündenbock“ für alle Versäumnisse beim Erwerb von EnBW geworden, schreiben seine Anwälte. Sie gelten nicht nur wegen ihrer zwölfjährigen Fehde im Namen des verstorbenen Medienmoguls Leo Kirch als Kanzlei fürs Grobe. Den Kirch-Erben hat das immerhin fast eine Milliarde Euro beschert, die ihnen die Deutsche Bank jüngst überwiesen hat. Nun kämpfen Bub Gauweiler für den CDU-Politiker, den selbst seine eigenen Parteifreunde in die Schmuddelecke gestellt haben. „Alle – tatsächlichen oder vermeintlichen – Fehler, die der Staatsgerichtshof, der Rechnungshof, der Untersuchungsausschuss und die Staatsanwaltschaft Stuttgart dem Kläger vorwerfen, sind direkte Folge der mangelhaften Beratung durch die Beklagten“, schreibt sein Prozessvertreter Franz Enderle.

In der Zwickmühle

Gleiss Lutz, denen das Gericht die 61-seitige Klageschrift noch nicht zugestellt hat, hält sich bedeckt. Anwaltskanzleien stecken in solchen Fällen in der Zwickmühle. Ihr Berufsgeheimnis verbietet ihnen, sich öffentlich im Detail gegen die Vorwürfe zur Wehr zu setzen. „Es gibt keine Grundlage für Ansprüche gegen die Kanzlei“, sagt eine Sprecherin lediglich. Bekannt ist aber: Martin Schockenhoff, der als Gesellschaftsrechtler die Transaktion federführend begleitet hat, bestreitet die Anschuldigungen. Nach seiner Lesart hat die Kanzlei dem Land keineswegs empfohlen, den Kauf über das „Notbewilligungsrecht“ des Finanzministers zu bewerkstelligen und den Landtag erst nachträglich um Erlaubnis zu fragen. Vielmehr wollen die Advokaten Mappus die Hürden dieses Weges aufgezeigt und vorrangig Alternativen dazu entwickelt haben.
In der Streitschrift aus München liest sich das anders. Minutiös listen Bub Gauweiler zahlreiche Treffen auf, bei denen Schockenhoff den Landespolitikern sogar ursprüngliche Bedenken ausgeredet haben soll. Die Mappus-Anwälte verweisen auf die Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft, denen zufolge auch zwei Spezialisten von Gleiss Lutz für Verfassungsrecht – Rupert Scholz und Clemens Weidemann – das Verfahren gebilligt haben sollen. Allerdings stellen sie noch keine konkreten Forderungen in den Raum. Am Ende kann es allenfalls um Verluste gehen, die der Ex-Regierungschef durch verbaute Karrierechancen und bezahlte Anwaltsrechnungen erlitten hat. Milliardenbeträge, die die jetzige grün-rote Landesregierung durch die Wiederverstaatlichung von EnBW zunächst vergeudet sah, stehen also nicht auf dem Spiel.
Aufträge von Landesregierung und landeseigenen Unternehmen fließen seither in Stuttgart nur noch spärlich an Gleiss Lutz. Bei Kunden aus der Privatwirtschaft verzeichnen die Berater hingegen keine Einbußen. Eine Nebenrolle kommt der Sozietät in einem weiteren Fall zu: Ihr „Counsel“ Luidger Röckrath, der also keinen vollen Partnerstatus hat, sieht sich sogar dem Anfangsverdacht ausgesetzt, einen „mittäterschaftlichen versuchten Betrug im besonders schweren Fall“ begangen zu haben. Die Münchner Anklagebehörde gibt sich überzeugt, dass die Riege der Anwälte, die die Deutsche Bank gegen die Milliardenklagen von Kirch vertreten hat, die Ziviljustiz angelogen hat.

Ungewöhnlicher Vorwurf

Für Wirtschaftsanwälte ist das besonders starker Tobak – und ein ganz und gar ungewöhnlicher Vorwurf. Dieselben Schreiben wie an Röckrath faxten die Strafverfolger auch an zwei Anwälte von Hengeler Mueller, nämlich Markus Meier und Peter Heckel – und damit an das ganze Prozess-Trio der Bank. Röckrath hatte einst selbst bei Hengeler Mueller gearbeitet, als die Kirch-Klagen anfingen. Die Betrugskeule traf zudem zwei Mitarbeiter der Rechtsabteilung der Bank – sowie deren früheren Chef Arne Wittig, mittlerweile Chefjurist bei Thyssen-Krupp.
Die Anschuldigung steht und fällt mit der These, die gesamte ehemalige Führungsspitze des Geldhauses habe das Oberlandesgericht belogen – wovon auch der dortige Zivilsenat ausging. Rolf-Ernst Breuer, Josef Ackermann, Clemens Börsig und Tessen von Heydebreck hatten hier ausgesagt, die Bank habe mit Kirch keine Geschäfte machen wollen, als Breuer in einem Fernsehinterview dessen Kreditwürdigkeit anzweifelte. Allerdings: Die Manager räumten durchaus ein, dass Breuer dem Filmunternehmer einen „Schutzschirm“ anbieten wollte, um ihn vor der Insolvenz zu bewahren. Auch „Gedankenspiele“ einzelner Investmentbanker – bis hin zum jetzigen Rechtsvorstand Stephan Leithner – gab das Geldhaus zu.
Dennoch werfen die Staatsanwälte den Beteiligten vor, die Unwahrheit gesagt zu haben; und dem heutigen Ko-Vorstandsvorsitzenden Jürgen Fitschen, das nicht verhindert zu haben. Denn in Wirklichkeit habe die Bank versucht, durch „aktives Herangehen“ an Kirchs Notlage zu verdienen und dessen Konzern zu zerschlagen. Dabei stützen sie sich auch auf Dokumente, die nach einer Razzia auf alten Magnetbändern aufgespürt wurden – in einem Berg von mehr als 5Millionen Schriftstücken. Diese waren zwar ebenfalls ergebnisoffen gehalten, aber selbst nach Einschätzung der Hausjuristen nicht hilfreich für den Rechtsstreit.
All dies soll die Anwaltsriege vertuscht und die Zeugen in einem Probeprozess („mock trial“) geschult haben – zunächst vielleicht ahnungslos. Spätestens im April 2012 müsse den Anwälten aber deutlich geworden sein, dass die Unterlagen die Darstellung der Manager widerlegten. „Eigentlich widerlegen“, schreiben die Strafverfolger – ein paar Zweifel haben sie offenbar doch an ihrer These. Heikel könnte es für die renommierte Kanzlei überdies werden, wenn die Bank versucht, sie in Regress zu nehmen. Dies wird dem Vernehmen nach geprüft; in einer Aktiengesellschaft ist das allerdings ohnehin die Pflicht eines jeden Vorstands.
Dann würde sich aber auch die Frage des Mitverschuldens stellen: Schließlich waren die Bankgremien an allen Entscheidungen beteiligt. Es gab sogar Überprüfungen durch weitere Kanzleien. Bemerkenswert ist, dass der Aufsichtsratsvorsitzende Paul Achleitner ein Gutachten des namhaften Aktienrechtlers und früheren Gerichtspräsidenten Eberhard Stilz unter Verschluss hält, das die frühere Prozessstrategie stützen soll. Für Hengeler Mueller ist das eine harte Belastungsprobe. Kürzlich erst hat ihr Litigation-Anwalt Meier auch noch eine Milliardenklage des Hörgeräteherstellers GN Store Nord vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf verloren – und musste sich sogar beim Vorsitzenden Richter entschuldigen.
Dieser hatte ihm vorgeworfen, er habe mit seinen Argumenten das Gericht und das Bundeskartellamt „mit Dreck beworfen“. Wirtschaftskanzleien geraten bei solchen Konflikten schnell in Panik: Der Werhahn-Konzern aus Neuss hatte 2004 die hochangesehene Kanzlei Haarmann Hemmelrath auf Schadensersatz in Höhe von 430Millionen Euro verklagt, weil deren Beratung zu Steuerforderungen in dieser Höhe geführt hatte. Bundesgerichtshof und Finanzgericht rehabilitierten die Sozietät zwar später – aber da war sie längst zerbrochen.

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