Luft für Argentinien
Über ein Jahrzehnt nach der Staatspleite einigt sich Regierung mit Gläubigerorganisation. Aussicht auf neue Investitionen. Nagelprobe steht noch aus
Fast 13 Jahre nach der Staatspleite hat Argentinien eine wichtige Hürde für die Lösung der Schuldenprobleme des Landes genommen. Die Regierung in Buenos Aires einigte sich mit der Gläubigerorganisation »Pariser Club« über die Rückzahlung eines Teils der verbleibenden Auslandsschulden. Umgerechnet 8,7 Milliarden Euro sollen an den informellen Zusammenschluß, dem unter anderem Deutschland, Frankreich, die USA und Japan angehören, überwiesen werden. Neben der davon erhofften Rückgewinnung der internationalen Kreditwürdigkeit wurde im Land vor allem als Erfolg gefeiert, daß die Zahlung der Schuld nicht unter Aufsicht des Internationalen Währungsfonds (IWF) stattfinden wird. »Gegen alle Prognosen und gegen alle Prophezeiungen haben wir den IWF draußen gehalten«, betonte Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner am vergangenen Donnerstag. Argentinien hat seit 2001 keine Verbindlichkeiten bei den Gläubigerländern des Clubs mehr bedient.
Die Einbeziehung der in Washington ansässigen Finanzorganisation war neben der Höhe etwaiger Straf- und Vollzugszinsen der große Streitpunkt bei den Gesprächen. Die Charta des Pariser Clubs sieht vor, daß jeder Umschuldung eine wirtschaftspolitische »Beratung« durch den Währungsfonds vorausgehen muß. Bei den bisher 59 vom Club durchgeführten Umschuldungen wurde es offenbar nur den von der Tsunami-Katastrophe im Jahr 2004 betroffenen Ländern gestattet, von diesem Prinzip abzurücken. Die letzte Verhandlungsrunde mit Argentinien war 2011 gescheitert, weil Deutschland und Japan, die zusammen 60 Prozent der Außenstände auf sich vereinen, auf der Einbeziehung des IWF bestanden hatten.
Die Einigung ist auch ein Signal für die hochverschuldeten Länder im Süden Europas. Sie zeigt, daß es keineswegs ein Naturgesetz ist, bei Umschuldungen jegliche nationale Souveränität über die Wirtschaftspolitik abzugeben. Das gilt auch für relative Leichtgewichte auf der internationalen Bühne – wenn sie nur hart genug verhandeln. Fernández de Kirchner würdigte das Zustandekommen des Abkommens, bei denen »weder unsere Autonomie noch unsere Souveränität« aufgegeben worden seien.
Damit blieb die argentinische Regierung ihrer Linie treu, sich nicht den internationalen Regeln der Finanzmärkte unterzuordnen, wie Wirtschaftsminister Axel Kicillof, der die Verhandlungen für sein Land führte, herausstellte. 2005 hatte Buenos Aires unter dem inzwischen verstorbenen Expräsidenten Néstor Kirchner seine Gesamtschuld beim IWF in Höhe von zehn Milliarden Euro abbezahlt. Seither schließt der wirtschaftlich zweitstärkste südamerikanische Staat jegliche Zusammenarbeit mit dem Währungsfonds kategorisch aus.
Auch bei den Zahlungsmodalitäten konnte sich Argentinien offenbar behaupten. Die Höhe der einzelnen Rückzahlungsquoten soll davon abhängen, in welchem Umfang die Investitionen aus den Gläubigerländern zunehmen, hieß es aus dem Wirtschaftsministerium. Sollten Investitionen nicht in ausreichendem Maße fließen, könne die Rückzahlung von fünf auf sieben Jahre gestreckt werden.
Unklarheit besteht über die Höhe der vereinbarten Strafzinsen. Die erste Teilzahlung von umgerechnet mindestens 1,15 Milliarden US-Dollar (846 Millionen Euro) soll laut einer Mitteilung aus Paris bis Mai 2015 geleistet werden. Eine weitere Tranche sei im Mai 2016 fällig. Das argentinische Wirtschaftsministerium erklärte, es werde im Juli eine Anfangszahlung von 650 Millionen US-Dollar überweisen, im Mai 2015 sollen weitere 500 Millionen folgen. Die endgültige Tilgung soll bis 2019 vollzogen werden. Während in der internationalen Presse von »erheblichen Straf- und Verzugszinsen« von bis zu zwölf Prozent die Rede war, sprach Wirtschaftsminister Kicillof davon, die Zinsen auf 3,8 Prozent gesenkt zu haben. Bei anderen Ländern in vergleichbarer Situation seien mindestens fünf Prozent üblich.
In Argentinien wurde die Einigung mit dem Pariser Club quer durch alle Parteien gelobt. Kritik kam lediglich aus dem linken Bündnis Proyecto Sur (Projekt des Südens) um den Filmregisseur Fernando »Pino« Solanas. Für ihn sind Argentiniens Auslandsschulden, die ihren Ursprung in der Militärdiktatur haben, ungültig. Solanas warf der Präsidentin »Verfassungsbruch« vor.
Die Regierung dürfte vor allem aus ganz pragmatischen Erwägungen an einer Einigung mit dem Club interessiert gewesen sein. Sie erhofft sich damit, den dringend benötigten Zugang zu internationalen Krediten zu beschleunigen. Seit der Staatspleite von 2001 ist Argentinien auf den Kapitalmärkten weitgehend isoliert. Alle Ausgaben – ob für Sozialpolitik oder Infrastrukturprojekte – müssen aus dem laufenden Haushalt oder den Devisenreserven gezahlt werden. Um den drastisch angestiegenen Verbrauch letzterer zu minimieren, hat das Land in den vergangenen drei Jahren mit einer strengen Rationierung von Importen und Devisenkäufen reagiert, die bei der Bevölkerung zunehmend auf Ablehnung stößt.
So wichtig die Einigung mit dem Pariser Club auch ist, der Schicksalstag für Argentiniens Schuldenprobleme steht noch bevor. Und diese Entscheidung wird nicht am Verhandlungstisch getroffen, sondern vor Gericht. Mitte Juni will der Oberste Gerichtshofes der Vereinigten Staaten über einen Antrag Argentiniens auf Revision eines Urteils zugunsten von Altgläubigern entscheiden. Dabei geht es um eine Gruppe von Hedgefonds, die bei der bisher größten Umschuldung des Landes im Jahr 2005 außen vor geblieben waren. Damals hatte die Regierung die Gläubiger vor die Wahl gestellt, zwei Drittel ihrer Forderungen abzutreten oder leer auszugehen. 80 Prozent hatten den Schuldentausch akzeptiert. Der Rest versucht seitdem, auf juristischem Wege an das Geld zu kommen. Ein Gericht in New York hatte 2012 in einem aufsehenerregenden Urteil der Klage der Hedgefonds auf Rückzahlung des vollen Nominalwert zuzüglich aufgelaufener Zinsen in einer Gesamthöhe von 1,33 Milliarden US-Dollar stattgegeben. Argentinien ging darauf in die Revision.
Dabei steht für das Land am Río de la Plata mehr auf dem Spiel als die 1,33 Milliarden. Sollte Buenos Aires die Spekulanten bedienen müssen, droht der gesamte Schuldenschnitt von 2005 ungültig zu werden: Auch die Gläubiger, die diesen bereits akzeptiert hatten, könnten wieder auf ihre entgangenen Milliarden pochen. Die Regierung warnt bereits vor einer erneuten Staatspleite.
* Aus: junge Welt, Dienstag, 3. Juni 2014
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