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Donnerstag, 29. Januar 2015

S.P.O.N. - Der Schwarze Kanal: Und schuld sind die Deutschen Eine Kolumne von Jan Fleischhauer

S.P.O.N. - Der Schwarze Kanal: Und schuld sind die Deutschen

Eine Kolumne von 
Wahlsieger Tsipras: Reinfantilisierung der griechischen GesellschaftZur Großansicht
DPA
Wahlsieger Tsipras: Reinfantilisierung der griechischen Gesellschaft
Der Sieg der Linken in Athen wird als Akt der Emanzipation gefeiert. Tatsächlich zeigt er die Re-Infantilisierung eines großen Teils der Wählerschaft: Sie zieht sich in eine imaginäre Welt zurück und reagiert auf Zumutungen mit Trotz und Abwehr.
Griechenland sei die Wiege der Demokratie, heißt es. Spätestens nach der Wahl am Sonntag muss man sagen: Es mutet eher an wie ein Kindergarten.
Der politische Reifegrad eines Wahlvolks zeigt sich nicht zuletzt in den Repräsentanten, die es auswählt. Was soll man von Leuten halten, die einen Mann zum Ministerpräsidenten bestimmen, der seinen Wählern nicht nur das Blaue vom Himmel verspricht - sondern ihnen auch noch ausmalt, dass für alles, was sie sich wünschen, andere aufkommen werden, die reicher und mächtiger sind, also vorzugsweise die Deutschen?
Das Wahlergebnis wird uns in dem Teil der Presse, die mit der linken Weltsicht sympathisiert, wahlweise als Akt der Emanzipation oder Wiedergeburt eines erniedrigten Landes verkauft. Tatsächlich ist es der Beleg, dass ganze Teile von Gesellschaften auf eine frühere, kindliche Entwicklungsstufe regredieren können.
Der Vorgang ist aus der Psychoanalyse gut bekannt: Wenn sich Menschen der Wirklichkeit nicht mehr gewachsen fühlen, reagieren sie auf die Zumutungen der Gegenwart mit Trotz und Abwehr. Sie ziehen sich in eine imaginäre Welt zurück, in der ein Wutanfall genügt, um die Autoritäten zum Einlenken zu bewegen.
Man muss nur zusammenrechnen, was Alexis Tsipras seinen Landsleutenfür die nächsten Wochen in Aussicht gestellt hat, um eine Vorstellung davon zu bekommen, wie weit die Reinfantilisierung der griechischen Gesellschaft gediehen ist: zwei Milliarden für ein soziales Sofortprogramm, vier Milliarden für neue Investitionen, fünf Milliarden für einen "Beschäftigungsplan", der 300.000 neue Arbeitsplätze bringen soll. Dazu höhere Renten und Beamtengehälter, und der Mindestlohn soll selbstredend auch wieder steigen.
Die Finanzierung ist dabei, so ist es versprochen, das geringste Problem, da die europäischen Steuerzahler den Griechen 190 Milliarden Euro an Schulden erlassen werden. Der Rest wird auf mehrere Jahrzehnte gestreckt, bis am Ende niemand mehr lebt, dem man etwas zurückzahlen muss.
Ein "nationales Erwachen", das vom Ausland bezahlt wird
Man würde den Griechen gern dabei zusehen, wie sie ihr Land mit einer Regierung flott bekommen wollen, die mehrheitlich aus Trotzkisten, orthodoxen Stalinisten und versprengten Anarchisten besteht. Wir Deutschen haben unsere Erfahrungen mit dem Kommunismus als Staatsform gemacht, an den Folgen kauen wir noch heute.
Good luck, möchte man den Griechen also zurufen. Leider fällt uns bei dem Experiment in Athen eine große, um nicht zu sagen überragende Rolle zu, wie die Vorstellungen zur Umschuldung zeigen. Ein "nationales Erwachen", das komplett vom Ausland bezahlt wird: Auch das ist ein Novum in der Geschichte europäischer Staaten.
Die politische Linke in Europa hatte immer schon einen Hang zum Infantilen. Wenn es in der Realität nicht so läuft, wie man sich das vorgestellt hat, liegt das nie an einem selbst oder der Unausgereiftheit des eigenen Programms, sondern stets an anderen, die sich gegen einen verschworen haben: an der internationalen Finanzelite, den Mächtigen in Washington und Jerusalem oder, wie jetzt, in Berlin.
Tsipras ist der typische Vertreter eines akademischen Mittelschichtsmilieus, das nahtlos aus den Seminarräumen, in denen es seinen Weltverbesserungsideen frönte, in die Welt der Politik wechselte, wo es dann mit seinen großen Plänen weitermachte. Die Avantgarde des Sozialismus, die sich so weltläufig glaubt, ist dabei von einer erschreckenden Provinzialität. Über Athen ist Tsipras nie wirklich hinausgekommen, darin gleicht er den Rechtspopulisten von der griechischen Front National, mit denen er sich nun zusammengefunden hat.
Die griechische Variante der ÖTV-Wirtschaft
Die Linkspartei in Berlin feiert den Wahlsieg von Syriza, als habe man selber gewonnen. So ganz falsch ist das ja nicht. In Griechenland sehen wir das Modell einer Gesellschaft, wie es die Funktionäre bei Ver.di und der Linken immer erträumt haben: Das größte Glück ist eine Anstellung beim Staat; nichts bewegt sich ohne das Einverständnis der Gewerkschaften, und wenn es finanziell mal irgendwo klemmt, werden eben neue Schulden gemacht.
Dass die Rechnung für diese griechische Variante der ÖTV-Wirtschaft jetzt bei den deutschen Sparern und Steuerzahlern hängen bleiben soll, bei denen die Griechen mit bis zu 65 Milliarden Euro in der Kreide stehen, scheint bei der Linkspartei niemanden zu bekümmern. Aber auch das ist nur folgerichtig: Wer zu seiner Kernklientel vor allem Leute zählt, die sich schon vor Langem aus dem Erwerbsleben zurückgezogen haben, muss sich keine Gedanken um Zahlungsausfälle machen.
"Die Deutschen sind an allem schuld", hat der Philosoph Nikos Dimou seine Überlegungen zum griechischen Nationalcharakter überschrieben. Die Griechen verdanken den Deutschen demnach nicht nur ihren ersten König, die neoklassizistische Architektur und viele Ausgrabungen, sondern auch das Leiden an ihrer Identität, seit der Altertumsforscher Winckelmann die alten Hellenen erfand und damit den Mythos einer idealen Staatswelt in der griechischen Antike ansiedelte.
Am Sonntag sei Frau Merkel abgewählt worden, lautete einer der Überschriften, die den Wahlausgang als Befreiung deuteten. Auch die Fixierung auf imaginäre Freunde und Gegner gehört zur kindlichen Vorstellungswelt.

http://www.spiegel.de/politik/ausland/griechenland-die-deutschen-sind-an-allem-schuld-fleischhauer-kolumne-a-1015230.html
Diesen Ar


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