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Freitag, 30. Januar 2015

Target-System, Pleitestaaten und Zombies Eine gefährliche Melange / Von Stefan Homburg // sollte man unbedingt lesesn // den Artikel mit Target-Salden-Grafik gegen email: rolfjkoch@web.de

Target-System,
Pleitestaaten und Zombies
Eine gefährliche Melange / Von Stefan Homburg

FAZ Print 30.1.2015

H ans-Werner Sinn hat im Jahr 2011
als Erster die in den Bilanzen der
Zentralbanken des Eurosystems
schlummernden Target2-Salden ausfindig
gemacht. Er hat damit auf ein Problem hingewiesen,
das zuvor nicht nur der Öffentlichkeit,
sondern auch Fachwissenschaftlern
unbekannt war. Während die Bedeutung
seiner Thesen zunächst relativiert
wurde, auch von der Bundesbank, hat
Sinn inzwischen weltweit Anerkennung
für seine Entdeckung erhalten. Niemand
stellt mehr in Frage, dass die Target2-Salden
ein volkswirtschaftliches Haftungsrisiko
darstellen; allein für Deutschland stehen
derzeit 461 Milliarden Euro im Feuer
- ein unvorstellbarer Betrag.
Auch Marcel Fratzscher, der DIW-Chef,
bestreitet nicht, dass die Target2-Salden
ein Risiko darstellen. Er fügt aber hinzu,
dass Verluste „nur“ entstehen, wenn Staaten
die Eurozone verlassen. Diese Formulierung
erscheint eigenwillig, weil die Möglichkeit
eines Auseinanderbrechens der
Eurozone keineswegs marginal ist. Immerhin
hatte die EZB ihre Ankündigung, unbegrenzt
Staatsanleihen zu kaufen, mit
der akuten Gefahr eines Zusammenbruchs
der Eurozone begründet. Und in einem
zentralen Punkt stimmen Gegner
und Befürworter des Euro doch überein:
Entweder gelingt der Aufbau eines europäischen
Nationalstaats, in dem die heutigen
Mitgliedstaaten die Rolle von Distrikten
ohne wesentliche Haushalts- und Steuerautonomie
spielen. Oder das Euroexperiment
scheitert in gleicher Weise wie alle
früheren zwischenstaatlichen Währungsunionen.
Mit der Lateinischen Münzunion,
der Skandinavischen Münzunion, der
Rubelzone und der Kronenzone bietet die
Geschichte genug Anschauungsmaterial.
Zur Frage, welche europapolitischen
Entwicklungen wahrscheinlich oder wünschenswert
sind, gibt es bekanntlich sehr
unterschiedliche Ansichten. Diese berühren
aber nicht die Substanz der These,
dass Target2-Forderungen riskant sind.
Es ist absolut ehrenwert und redlich, die
Öffentlichkeit auf derartige Gefahren hinzuweisen,
statt sie kleinzureden oder zu
verschweigen. Nicht zuletzt unter dem
Eindruck der Finanzkrise haben die Bürger
ein Recht zu erfahren, dass die Melange
aus Target2-Forderungen, überschuldeten
Staaten und Zombiebanken ihren
Wohlstand gefährdet.
Der zweite Kritikpunkt Fratzschers betrifft
Sinns Forderung, die Target2-Salden
turnusmäßig auszugleichen, statt sie
unbegrenzt wachsen zu lassen. Er bezeichnet
diesen Vorschlag als „nicht praktikabel“.
Diese Einschätzung verwundert,
weil das amerikanische Zentralbankensystem,
das neben dem Federal Reserve
Board zwölf regionale Notenbanken umfasst,
seit jeher einen solchen Ausgleichsmechanismus
kennt. Warum sollte in Europa
nicht praktikabel sein, was in den
Vereinigten Staaten praktiziert wird?
Abschließend meint Fratzscher, die Kritik
an Target2 habe Ängste „geschürt“;
die Sorgen, das System könne Kosten verursachen,
hätten sich als unbegründet erwiesen.
Dieser Logik ist entschieden zu
widersprechen: Zahlungen in ein Kettenbriefsystem
oder an bankrotte Schuldner
verursachen keine Kosten, solange die
Musik noch spielt. Erst im Moment des
Zusammenbruchs oder bei Insolvenzeröffnung
werden die Verluste sichtbar. Während
der letzten fünf Jahre konnte das
Ende des Euro nur durch w iederholte und
in ihrer Intensität gesteigerte Rechtsbrüche
abgewendet werden, was jedoch mitnichten
zu einer Gesundung beitrug: Die
Staatsschulden steigen in den Peripheriestaaten
weiter, die Banken machen weiter
wie bisher, und alle verlassen sich darauf,
dass der deutsche Steuerzahler am Ende
einspringt. Aufklärung ist der Ausgang
des Menschen aus seiner selbstverschuldeten
Unmündigkeit. Hans-Werner Sinns
Hinweise auf die Target2-Gefahren waren
im besten Sinne aufklärerisch.

Stefan Homburg ist Direktor des Institut für
Öffentliche Finanzen an der Universität Hannover

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