Machtwechsel in AthenAlexis Tsipras wirbelt in Italiens Politik
Der neue griechische Regierungschef sorgt auch unter Italiens Politikern für Diskussion. Extreme Linke wie Rechte ergreifen für ihn Partei. Auch vom „deutschen Spardiktat“ ist die Rede - wieder einmal.
29.01.2015, von TOBIAS PILLER, ROM
Wie sehr die Italiener vom Wahlsieg des Griechen Alexis Tsipras berührt sind, fasst am besten der italienische Komiker Maurizio Crozza: „Vor zwei Wochen waren wir alle Charlie, jetzt sind wir alle Tsipras.“ Der jugendlich wirkende Grieche beeindruckt mit seinem schwungvollen Wahlerfolg. Und weil er sich gegen die Sparpolitik (Austerität) wendet, die auch in den Köpfen vieler Italiener als deutsches Diktat angesehen wird, das Italien verarmt habe und überwunden werden müsse.
Während sich die italienischen Politiker derzeit in Positionskämpfen zermürben, während der ebenfalls noch junge italienische Regierungschef Matteo Renzi an Durchsetzungskraft verliert, hat Tsipras wieder die Sehnsucht nach Neuanfang geweckt. Genauer: Nach einfachen politischen Rezepten und einem grundlegendem Wandel.
„Merkel ist schuld“
Viele Parteien versuchen nun, politisches Kapital aus dem Wahlsieg von Tsipras zu schlagen. Als exklusive Verbündete des Syriza-Chefs sucht sich die weit links angesiedelte Partei „Linke, Ökologie, Freiheit“ zu präsentieren, die schließlich schon unter dem Namen „Das andere Europa - mit Tsipras“ in der Europawahl angetreten ist. Allerdings hat sie mit gut 4 Prozent der Stimmen nur knapp die italienische Sperrklausel für das Europaparlament überwunden und nur 3 von 73 italienischen Parlamentssitzen errungen.
Der Vorsitzende der italienischen Linkspartei, Nichi Vendola, sagt dennoch: „Der Sieg von Tsipras ist die Reaktion eines erniedrigten Volkes auf die vernichtende Politik der Austerität.“ Der neue griechische Regierungschef wolle „die Spielregeln ändern, die in Richtung eines sozialen Massakers führen“. Schuld an allem habe die rigorose deutsche Kanzlerin Angela Merkel.
In der Demokratischen Partei des Ministerpräsidenten Renzi suchen die linken Reformgegner den Wahlsieg des Alexis Tsipras für ihren Widerstand gegen Veränderungen zu nutzen. „Die vernünftigen Vorschläge, die Tsipras macht, müssen auch von Renzi aufgenommen werden“, sagte etwa der Abgeordnete und Ausschussvorsitzende Francesco Boccia. Der größte Widersacher des italienischen Ministerpräsidenten in der eigenen Partei, der frühere stellvertretende Schatzminister Stefano Fassina, ergreift Partei für Tsipras: „Syriza ist nicht extrem. Extremisten sind vielmehr diejenigen gewesen, die in diesen Jahren Europa und Griechenland ein unmögliches Programm aufgezwungen haben.“ Die sitzen für Fassina in Berlin. Deshalb folgert er: „Wenn Deutschland stur bleibt, wird es ernsthafte Probleme geben.“
40 Milliarden Euro Kredit an Hellas
Dagegen kontern die Anhänger des italienischen Ministerpräsidenten: „In Italien verkörpert nur einer den Wunsch nach Veränderung so wie Tsipras in Griechenland, und der heißt Renzi“, sagt der für Europafragen zuständige Staatssekretär Sandro Gozi.
Weil es in Italien auch im Lager der rechten Parteien anti-deutsche Meinungen und kritische Stimmung gegenüber dem Euro gibt, sorgt Tsipras auch dort für Inspiration: „Man kann auch leben, indem man gegen die verrückten Entscheidungen aus Europa vorgeht“, lobt der Chef der Lega Nord, Matteo Salvini, den neuen griechischen Regierungschef - obwohl er sich sonst die nationalistische Französin Marine Le Pen als Vorbild auserkoren hat. Auch Berlusconis Sprecherin Deborah Bergamini meint, der Wahlsieg von Tsipras müsse nachdenklich machen: „Wir mahnen seit langer Zeit, dass ohne eine Umkehr vom Weg der fiskalpolitischen Strenge ohne Gnade große Probleme drohen.“
Gerade im Lager der rechten Parteien gibt es allerdings doch etwas Bedenken darüber, dass im Falle eines Erfolges von Tsipras in den nun anstehenden Schuldenverhandlungen auch 40 Milliarden Euro an italienischen Krediten an Griechenland im Feuer stehen. Die will man eigentlich nicht abschreiben. Doch der stramm gegen den Euro eingestellte Mailänder Wirtschaftsprofessor Claudio Borghi, seit kurzem auch Wirtschaftssprecher der rechten Lega Nord, kann auch dieses Dilemma mit einer Verschwörungstheorie überbrücken: Deutschland sei an allem Schuld.
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Denn Italien hatte im Jahr 2011 keine Griechenland-Kredite im Feuer stehen, dagegen hätten Frankreichs und Deutschlands Banken wegen ihrer Griechenland-Engagements gefährlich gewackelt. Die Deutschen hätten aber gefordert, dass alle Länder den Griechen Geld leihen müssten, um aus Athen die Kreditsummen für die eigenen Banken zurückzuerhalten. Der arme Silvio Berlusconi, damals Ministerpräsident, wollte da nicht mitmachen und sei durch einen nächtlichen Telefonanruf von Angela Merkels beim italienischen Staatspräsidenten gestürzt worden. Von diesem Anruf berichtet schließlich das mit Erfolg verkaufte Buch „Das Vierte Reich“.
Kein Wunder also, dass die Meinungsforscher in Italien zu überraschenden Ergebnissen kommen: „Wer kommt in Italien dem Griechen Tsipras am nächsten“, lautete die Frage. 30 Prozent der Italiener antworteten mit „Niemand“. 11 Prozent fanden, der rechtsnationale Lega-Chef Matteo Salvini sei der beste Tsipras-Stellvertreter in Italien, 10 Prozent votierten für den Komiker Beppe Grillo.
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