Griechischer SchuldenschnittWie Deutschland nach dem Krieg?
Griechenlands neue Regierung will einen Schuldenschnitt nach dem historischen Vorbild der Londoner Schuldenkonferenz. Doch die Vergangenheit ist mit der heutigen Situation kaum zu vergleichen.
30.01.2015, von TOBIAS PILLER, ROM
Innerhalb von nur zwei Wochen will der neue griechische Finanzminister Yannis Varoufakis Vorschläge für einen Schuldenschnitt zugunsten von Griechenland unterbreiten. Vorbild soll die Londoner Schuldenkonferenz von Sommer 1952 bis Februar 1953 sein, bei der über die deutschen Nachkriegsschulden verhandelt wurde. Ministerpräsident Alexis Tsipras sagt, Griechenland müsse das Recht auf die gleiche Behandlung haben wie Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg.
Griechenland sucht dafür nun Verbündete in Italien. Obwohl das politische Italien vom Sieg des Griechen Tsipras über die „deutsche Austerität“ elektrisiert ist, zeigen sich dennoch die Wirtschaftsanalysten eher nüchtern: „Eine Schuldenkonferenz im gegenwärtigen Umfeld ist wenig wahrscheinlich“, sagt Tullia Bucco von der volkswirtschaftlichen Abteilung beim Bankenkonzern Unicredit. Schließlich habe gerade die Europäische Zentralbank den Kauf von Staatstiteln beschlossen, der die Zinsen drückt und auch Griechenland den Umgang mit den Schulden erleichtere. Zugleich gebe es das Risiko, in Europa eine populistische Spirale in anderen Ländern, etwa Spanien oder Portugal, in Gang zu setzen.
Historische Bedingungen nur schwer vergleichbar
Ganz grundsätzliche Bedenken äußert Italiens ehemaliger Schatz- und Finanzminister Fabrizio Saccomanni, bis 2012 Stellvertreter des italienischen Notenbankgouverneurs: „Als 1953 in London die Schuldenkonferenz abgehalten wurde, war das eine relativ ruhige Angelegenheit, denn die Gläubiger waren vor allem Staaten und Banken.“ Doch heute gebe es keine Chance mehr, hinter verschlossenen Türen Gläubiger und Schuldner zusammenzubringen. Aus der Sicht von Saccomanni würden daher während einer offiziellen Schuldenkonferenz die Finanzmärkte so viele Kapriolen schlagen, dass ein solches Projekt kaum durchführbar erscheine.
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Die historischen Umstände der Londoner Schuldenkonferenz sind schließlich nur schwer mit der Lage Griechenlands vergleichbar: Griechenland kommt aus einer selbstverschuldeten Krise. Das Land wurde mit Hilfskrediten von insgesamt rund 240 Milliarden Euro vor dem Konkurs gerettet. Die Troika der Geldgeber sieht die Reformbedingungen nicht als Bestrafung, sondern sie sollen eine Wachstumsperspektive für das Land eröffnen. Daher hatte die Troika die Öffnung von bislang geschlossenen Berufen, einen Abbau bürokratischer Hindernisse und eine Modernisierung der Staatsorganisation und der Steuerverwaltung gefordert, zu der Griechenland allein nicht fähig war.
Die neue Regierung in Athen begründet ihre Forderung nach einem Schuldenschnitt mit der hohen Schuldenlast – einer Schuldenquote von gut 175 Prozent –, doch die Zinsen der nächsten Jahre sind ohnehin schon auf eher symbolische Werte gesunken. Bei den Gläubigern entstehen daher Zweifel, ob die griechische Regierung nur an frischen Mitteln für weitere Ausgaben interessiert ist.
Allierte zogen die Lehre aus dem Versailler Vertrag
Ganz anders lagen die Dinge 1952/1953. Damals, nach dem Beginn des Kalten Krieges, sollte Deutschland ein stabiler Partner im westlichen Bündnis werden. Zudem wollten die Partner die deutsche Schuldenlast erst der Leistungsfähigkeit und den Exporterlösen des Landes anpassen. Ein Teil der Schulden wurde auf die Zeit nach einer zu erzielenden deutschen Einheit vertagt – und dann tatsächlich später von 1990 an beglichen.
Auf der Schuldenkonferenz von 1952 bis 1953 zeigten die Alliierten, dass sie aus Fehlentscheidungen des Friedensvertrages von Versailles von 1919 mit den Reparationsforderungen gelernt hatten, der nach Meinung vieler Historiker die Weimarer Republik schwer belastet und letztlich zu ihrem Ende und zum Aufstieg des Nationalsozialismus beigetragen hatte. Die Reparationsleistungen und die Zahlungsverpflichtungen für Kriegsschäden spielten dabei eine große Rolle.
© PICTURE-ALLIANCEAbschluss der Schuldenkonferenz am 27. Februar 1953: Der spätere Deutsche-Bank-Chef Hermann Hosef Abs (Mitte) unterschrieb im Auftrag von Bundeskanzler Konrad Adenauer.
Der britische Ökonom John Maynard Keynes hatte schon 1920 in einer Streitschrift über „die wirtschaftlichen Folgen des Friedens“ den Siegermächten des Ersten Weltkrieges vorgeworfen, sie hätten mit ihren Forderungen erst die Grundlagen für den nächsten Konflikt gesät. Aus der Sicht von Keynes sollten der Vertrag von Versailles und die Reparationsforderungen den Franzosen dazu dienen, die wirtschaftliche Entwicklung des Konkurrenten Deutschland auf Dauer niederzuhalten. Die Reparationsforderungen hätten aber nicht nur Deutschlands Leistungskraft überstiegen, sondern die wirtschaftliche Entwicklung des gesamten europäischen Festlandes behindert.
Für die Weimarer Republik war verheerend, dass die Reparationsforderungen über viele Jahre nicht konkret definiert waren und damit als unendlich erschienen. Nach der Forderung von 226 Milliarden Goldmark im Jahr 1921 – das Vierfache des deutschen Inlandsprodukts von 1913 – gelangte man 1932 zu einem Verzicht auf weitere Reparationen, der aber zu spät kam, um den Aufstieg Hitlers zu bremsen.
Deutsche Regierung verweigert sich griechischen Analogien
In London wurden dagegen 1953 klare Verhältnisse geschaffen und die internationale Kreditwürdigkeit Deutschlands wiederhergestellt. Die Anleihen Deutschlands für zurückliegende Reparationszahlungen zum „Dawes-Plan“ oder zum „Young-Plan“ und kommerzielle Schulden seien aber nach der Londoner Konferenz 1952/1953 zu großen Teilen bedient worden, sagt der Bielefelder Historiker Christopher Kopper. Der Verzicht der Gläubiger habe vor allem die aufgelaufenen Zinsen betroffen, zudem zwei Drittel der amerikanischen Marshall-Plan-Kredite.
Insgesamt habe das deutsche Schuldenvolumen aber nur 25 Prozent des damaligen Bruttoinlandsprodukts betragen und die Verpflichtungen seien der Leistungsfähigkeit von 1953 angepasst worden, sagt Kopper. „Niemand konnte damals vorhersehen, dass die Bundesrepublik so eine fulminante Entwicklung nehmen würde – sonst hätten die Gläubiger sicher auf höheren Zahlungen bestanden.“
Aus Sicht der Historiker ist die Situation nach dem Zweiten Weltkrieg sehr anders als die heutige Krise. Die deutsche Regierung will gar nicht erst eine Diskussion darüber aufkommen lassen.
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