Entscheidungsanmerkung
Rückwirkungsverbot und Handlungsspielraum des Gesetzgebers
1. Den Inhalt geltenden Rechts kann der Gesetzgeber mit
Wirkung für die Vergangenheit nur in den verfassungsrechtlichen
Grenzen für eine rückwirkende Rechtsetzung
feststellen oder klarstellend präzisieren.
2. Eine nachträgliche, klärende Feststellung des geltenden
Rechts durch den Gesetzgeber ist grundsätzlich als konstitutiv
rückwirkende Regelung anzusehen, wenn dadurch
eine in der Fachgerichtsbarkeit offene Auslegungsfrage
entschieden oder eine davon abweichende Auslegung ausgeschlossen
werden soll
(Amtliche Leitsätze).
GG Art. 20 Abs. 2 und 3, Art. 100 Abs. 1
KAAG §§ 43 Abs. 18, 40a Abs. 1
KStG § 8b Abs. 3 a.F.
BVerfG, Beschl. v. 17.12.2013 – 1 BvL 5/081
I. Problemstellung
1. Zum Fall
Das Bundesverfassungsgericht hat mit der vorliegenden Entscheidung
die Dogmatik des Rückwirkungsverbots um eine
neue Konstellation erweitert. Auf eine Vorlage des Finanzgerichts
Münster nach Art. 100 GG (konkrete Normenkontrolle)
erklärt der Erste Senat eine steuerrechtliche Vorschrift für
verfassungswidrig und nichtig. Mit der nun verworfenen
Bestimmung hatte der Bundesgesetzgeber die Anwendung
allgemeiner Regelungen des Körperschaftssteuerrechts für
Kapitalanlagegesellschaften sicherstellen wollen. Steuerrechtlich
ging es dabei um den Ausschluss von Abschreibungen
als Abzugsposten im Rahmen der Ermittlung des steuerpflichtigen
Einkommens, verfassungsrechtlich um die Frage,
ob eine als „Klarstellung“ ausgewiesene gesetzliche Regelung
auch auf vergangene Sachverhalte angewendet werden
kann.
Der Senat bestimmt mit seinem Beschluss, der mit 5:3
Stimmen ergangen ist, das Verhältnis zwischen Gesetzgeber
und (Fach-)Rechtsprechung neu: Die Veränderung einer gesetzlichen
Regelung gilt nun auch für den Fall einer „Klarstellung“
grundsätzlich als konstitutiv. Wenn sie auf vergangene
Sachverhalte Anwendung finden soll, unterliegt sie damit
den hohen Anforderungen, die das Rückwirkungsverbot
stellt; ein konkreter Vertrauenstatbestand des betroffenen
Bürgers ist dafür nicht erforderlich. Im Ergebnis wird die
Deutung geltenden Rechts in einer Art zeitlich-räumlichen
Trennung alleine der Gerichtsbarkeit vorbehalten.
Gegen diese formale Zuordnung der Aufgaben von Judikative
und Legislative wendet sich das Sondervotum des
RiBVerfG Masing. Er weist auf die subjektiv-rechtliche
1
Entscheidung abrufbar unter:
http://www.bverfg.de/entscheidungen/ls20131217_1bvl0005
08.html.
http://www.zjs-online.com/dat/artikel/2014_3_812.pdf
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Dienstag, 21. Juli 2015
Rückwirkungsverbot und Handlungsspielraum des Gesetzgebers 1. Den Inhalt geltenden Rechts kann der Gesetzgeber mit Wirkung für die Vergangenheit nur in den verfassungsrechtlichen Grenzen für eine rückwirkende Rechtsetzung feststellen oder klarstellend präzisieren. 2. Eine nachträgliche, klärende Feststellung des geltenden Rechts durch den Gesetzgeber ist grundsätzlich als konstitutiv rückwirkende Regelung anzusehen, wenn dadurch eine in der Fachgerichtsbarkeit offene Auslegungsfrage entschieden oder eine davon abweichende Auslegung ausgeschlossen werden soll
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