Gastbeitrag von Thilo Sarrazin Griechen, Euro und die deutsche Schuld
17.06.2012 ·
Thilo Sarrazin wirft vor der Parlamentswahl der Mehrheit der
Griechen eine verzerrte Wahrnehmung der Wirklichkeit vor. Die Griechen
sähen sich „als quasi wirtschaftlich Verfolgte“ an, schreibt der frühere
Berliner Finanzsenator in einem Gastbeitrag für die Frankfurter
Allgemeine Sonntagszeitung.
© Pein, Andreas
Thilo Sarrazin: Der deutsche Sparer soll durch die Entwertung seiner Geldvermögen für die Konsolidierung der Südländer bezahlen.
An diesem Sonntag findet in Griechenland
eine Parlamentswahl statt, die darüber entscheidet, ob erstmals ein Land
aus dem Währungsverbund des Euro ausscheidet. 71 Prozent der Griechen
wollen nach einer aktuellen Umfrage den Euro als Währung behalten,
gegenüber 69 Prozent in Frankreich, 66 in Deutschland oder 60 in
Spanien. Die Mehrheit der Griechen sieht zudem keinen Zusammenhang
zwischen ihrem bankrotten Staatswesen und heillosen wirtschaftlichen
Verhältnissen einerseits und der gemeinsamen Währung andererseits.
Schon gar nicht will diese Mehrheit erkennen, dass
nur eine reale Kostenreduktion von 30 bis 50 Prozent dem Land die Chance
gibt, wieder auf eigenen Beinen zu stehen. Das Leistungsbilanzdefizit
Griechenlands von 10 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zeigt nämlich,
dass das Land trotz des Schuldenerlasses und der Umschuldung immer noch
weit mehr verbraucht als es produziert. Die Summe der Hilfsleistungen an
Griechenland und seine Gläubiger beläuft sich mittlerweile auf 150
Prozent des griechischen Sozialprodukts. Auf Deutschland übertragen
würde das bedeuten: Ein wirtschaftlich außer Kontrolle geratenes
Deutschland erführe eine vergleichbare Hilfe, wenn es vier Billionen
Euro erhielte. Das ist etwa das Doppelte der deutschen
Staatsverschuldung.Verzerrte Wahrnehmung
Nun ist es aber nicht so, dass die Griechen für diese Hilfen dankbar wären. Die Mehrheit von ihnen glaubt, dass Deutschland sich an den Griechen bereichert habe. Zunächst habe es durch einen Exportboom zu Lasten der griechischen Verschuldung sein Wachstum gefördert, jetzt verdiene es durch niedrige Zinsen für seine Kredite am Leiden der Griechen. Das mit Griechenland vereinbarte Konsolidierungsprogramm sehen die Griechen mehrheitlich als willkürliches deutsches Spardiktat.Aus dieser verzerrten Wahrnehmung ergibt sich, dass sich die Griechen als quasi wirtschaftlich Verfolgte ansehen und ernsthaft glauben, sie könnten den Euro behalten, auch wenn sie das Reformprogramm nicht umsetzen. Möglicherweise hat jene Mehrheit der Griechen sogar Recht. Es gibt starke Kräfte in der Europäischen Union, die einen Austritt der Griechen aus dem Euroraum um nahezu jeden Preis verhindern wollen. Eine erfolgreich bewältigte Rückkehr Griechenlands zur eigenen Währung würde nämlich zeigen, dass für ein Land die Welt auch nach dem Euro weitergeht, und könnte zu einem attraktiven Modell für Länder mit großen Wettbewerbsproblemen werden.
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