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Sonntag, 25. November 2012

Argentinien bekommt Singers harte Hand seit langem zu spüren. Diplomatische Missionen, Auslandskonten, Patente, selbst Reserven in der US-Notenbank - nichts war sicher. Die Krise um die "Libertad" ist nur der jüngste Höhepunkt:


 

US-HedgefondsAasgeier über Argentinien

Hedgefondskönig Paul Singer: Argentinien ist nicht das einzige Land, das er ausweidetZur Großansicht
REUTERS
Hedgefondskönig Paul Singer: Argentinien ist nicht das einzige Land, das er ausweidet
Der Hedgefondskönig Paul Singer ist ein alter Gläubiger Argentiniens. Seit Jahren fordert er 1,3 Milliarden Dollar Staatsschulden zurück und schreckt dabei auch vor rabiaten Mitteln nicht zurück. Jetzt hat er sich vor einem US-Gericht durchgesetzt - ein Urteil mit Folgen.
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Selbst Paul Singer setzt mal auf Verlierer. Zum Beispiel Mitt Romney und die US-Republikaner: Mehr als zwei Millionen Dollar steuerte Singer, einer der Top-Fondsmanager der Wall Street, in deren Kampfkasse, direkt oder über Umwege. Auch finanzierte er ihren Parteitag in Tampa mit und antichambrierte, auf dass sein Polit-Protegé Paul Ryan Vizekandidat wurde.
All das ging bekanntlich daneben. Doch keiner muss sich grämen: Romney und sein "Königsmacher", wie sie Singer auch nannten, bleiben privat verbandelt - über die lukrativen Investments des Ex-Kandidaten in Elliott Associates, Singers Hedgefondsgruppe, unter anderem in der Steueroase Cayman Islands. Die dürften über die Wahlpleite hinwegtrösten.
Für Singer ist das alles sowieso nur Kleingeld. Längst beäugt er mit seinem "Geierfond", der Schulden gern billig aufkauft und später eiskalt zum vollen Wert einklagt, viel höherkarätige Pleitiers als Romney. Namentlich Argentinien, von dem Singer 1,3 Milliarden Dollar einfordert - Rückstände aus dessen längst abgehaktem Staatsbankrott vor mehr als zehn Jahren.
Und anders als das Projekt Romney zahlt sich diese alte Investition für Singer nun aus - dank ebenso schlagzeilenträchtiger wie rabiater, doch ganz legaler Druckmittel. In letzterem Punkt jedenfalls bestätigte ihn diese Woche ein US-Bundesgericht in New York, das Argentinien dazu verdonnerte, besagte 1,3 Milliarden Dollar jetzt tatsächlich lockerzumachen. Das Urteil erging ironischerweise am Mittwochabend - dem Vorabend der Völlerei zum Erntedankfest.
Ein Wall-Street-Hai erpresst eine ausländische Regierung?
Über die Jahre hatte Singer nichts gescheut, um seinen Anspruch gegen Argentinien geltend zu machen. So ließ er Botschaftsgebäude, Museumsbestände und einen Regierungsjet vorübergehend pfänden, Staatskonten sperren und, im bisher spektakulärsten Akt, das stolze Segelschulschiff der argentinischen Marine in Ghana festsetzen, den Dreimaster "Libertad".

Spätestens hier ist eine kurze Erklärung erforderlich. Ein Wall-Street-Hai erpresst eine ausländische Regierung? Ein US-Gericht gibt ihm Flankenschutz? Wie ist es nur zu dieser Räuberpistole gekommen - und was bedeutet das für andere Pleiteländer wie Griechenland?
Die Saga begann Ende 2001, als Argentinien, nach langer Wirtschaftskrise und politischen Unruhen, Zahlungsunfähigkeit anmeldete. Doch nicht alle Gläubiger akzeptierten die Umschuldung. Unter diesen sogenannten Umschuldungsverweigerern ("Holdouts"), die auf ihren kompletten Ansprüchen bestanden, war auch NML Capital, einer der Elliott-Fonds.
Zwar hat Argentinien erst kürzlich die letzten Schulden aus dem Staatsbankrott mit großem Trara beglichen. Die Milliardenforderungen der "Holdouts" betraf das allerdings nicht - gegen die sperrt sich Buenos Aires seit vielen Jahren.
Profit dank Aasgeier-Strategie
Doch Argentinien hatte nicht mit Paul Singer gerechnet. Der 67-Jährige hat es schon mit ganz anderen Widersachern aufgenommen. Seit 1977 führt er seine Fonds - und seit den achtziger Jahren über die besagte "Aasgeier"-Strategie. Mega-Konzernpleiten wie TWA, MCI WorldCom und Enron waren für ihn Profitquellen. Zuletzt fuhr er damit fast 15 Prozent Rendite ein. Seine Fondsgruppe managt heute rund 17 Milliarden Dollar - genug, um keine neue Klienten zu brauchen.
Zugegeben: Singer nutzt sein Privatvermögen von rund 1,1 Milliarden Dollar nicht allein für politische, sondern oft auch für soziale Zwecke. Seine Singer Family Foundation stiftet Abermillionen für Bildung, Umwelt, humanitäre Anliegen und, in Abweichung von der gängigen Republikaner-Orthodoxie, für die Legalisierung der Homo-Ehe - Singers Sohn ist offen schwul.
Doch beim Geld selbst kennt Singer keinen Spaß. Argentinien ist nicht das einzige Land, das er ausweidet: Nach Informationen des US-Magazins "Nation" ließ Singer auch 90 Millionen Dollar Entwicklungshilfe für den Kongo sperren - eine Summe, mit der dort "die Cholera-Epidemie hätte beendet werden können".
Argentinien bekommt Singers harte Hand seit langem zu spüren. Diplomatische Missionen, Auslandskonten, Patente, selbst Reserven in der US-Notenbank - nichts war sicher. Die Krise um die "Libertad" ist nur der jüngste Höhepunkt: Im Oktober erwirkte NML einen Gerichtsbeschluss in Ghana, angeblich auch dank Singers finanziellen Beziehungen zu dem westafrikanischen Land; seitdem liegt das 104 Meter lange Schiff dort fest. Fast 300 Matrosen sind inzwischen heimgeflogen, nur der Kapitän und 43 Crewmitglieder blieben an Bord.
Steht das Urteil, hat es dramatischen Folgen
Argentinien gibt sich unbeeindruckt. Man lasse sich nicht "von Aasgeier-Fonds erpressen", trotzte Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner. Singer könne die Fregatte nehmen - "aber niemand wird die Freiheit, Souveränität und Würde dieses Landes nehmen".
Dabei geht es weniger um die 1,3 Milliarden Dollar, die Argentinien sicher zahlen könnte. Sondern ums Prinzip - und den politischen Gesichtsverlust, einige Fonds voll auszahlen zu müssen, während die anderen Gläubiger aus der Umschuldung nur 30 Prozent bekommen.
Dieser Meinung schloss sich US-Bundesrichter Thomas Griesa jetzt aber nicht an. Nach einem Jahrzehnt Hin und Her erteilte der altgediente Finanzexperte Argentinien den Zahlungsbefehl: Die "Holdouts" müssten ihr Geld erhalten.
Als Stichtag legte er den 15. Dezember fest - das Datum, zu dem auch die nächste Rate an die anderen Gläubiger fällig ist (vier Milliarden Dollar). Da ein US-Gericht aber natürlich keine direkte Jurisdiktion über eine andere Nation hat, machte Griesa dafür die Bank of New York haftbar, die Argentiniens Staatsanleihen hält.
 
Argentinien will nun zur Not bis vor den Supreme Court ziehen. "Wir vertrauen dem US-Justizsystem", sagte Finanzminister Hernán Lorenzino und warf Richter Griesa "juristischen Kolonialismus" vor: "Alles, was jetzt noch fehlt, ist, dass Griesa die 5. Flotte in Marsch setzt."
Steht das Präzedenzurteil, hat es womöglich dramatische Folgen auch für andere Länder, die in finanzielle Schieflage geraten, etwa in Europa. Umschuldungsprozesse verlaufen ja nie mit hundertprozentiger Zustimmung aller Gläubiger. Die Erfahrung Argentiniens dürfte dieses Verfahren nun zumindest komplizieren.
Sollte Singer seine Milliarden am Ende tatsächlich einstreichen, brauchen sich seine Investoren um die Versteuerung kaum Sorgen zu machen: NML Capital ist auf Mitt Romneys Lieblingsinsel registriert - den Cayman Islands.
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http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/us-hedgefonds-paul-singer-erpresst-argentinien-a-869062.html

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