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Mittwoch, 28. November 2012

Zu seinem Schrecken musste der Juraprofessor feststellen: Als dort eine Klage eingereicht wurde, terminierte sie das Gericht sogleich auf das Jahr 2019. „Das entspricht der griechischen Mentalität“, wehrte man seine Versuche zur Beschleunigung ab.


Zwei Klassen von Anwälten
Syndikusjuristen wollen mehr Rechte für sich selbst



BERLIN, 27. November. Der Kölner Anwaltsrechtler
Hanns Prütting fühlt sich
mitunter wie der altgriechische Held Sisyphos.
Kürzlich reiste er auf Bitten der Europäischen
Kommission nach Athen, um
bei der Modernisierung der hellenischen
Justiz zu helfen. Zu seinem Schrecken
musste der Juraprofessor feststellen: Als
dort eine Klage eingereicht wurde, terminierte
sie das Gericht sogleich auf das
Jahr 2019. „Das entspricht der griechischen
Mentalität“, wehrte man seine
Versuche zur Beschleunigung ab.
Ein „berufsrechtliches Beharrungsvermögen“
kreidet Prütting aber auch dem
deutschen Anwaltsstand und der Rechtsprechung
in Karlsruhe wie in Luxemburg
an. Auf einer Tagung des Instituts für Anwaltsrecht
der Berliner Humboldt-Universität
führte er jetzt einen etwas einsamen
Kampf dafür, die Rechte von Syndikusanwälten
auszuweiten - ein Bestreben, dem
sich anwesende Vertreter von Anwaltskammern
ebenso entgegenstellten wie der
Gastgeber, der Institutsdirektor Reinhard
Singer. „Zwei neuere Urteile des Bundesgerichtshofs
und des Europäischen Gerichtshofs
waren schwere Rückschläge im
Kampf gegen die Diskriminierung des Syndikus“,
bedauerte Prütting.
Was der Deutsche Anwaltverein (DAV)
zaghaft und der frischgebackene Bundesverband
der Unternehmensjuristen (BUJ)
radikal ändern wollen, hat sich auch der
Kölner Rechtswissenschaftler auf die Fahne
geschrieben. Sie alle sehen in der gegenwärtigen
Stellung jener Juristen, die als
Angestellte für ein Unternehmen oder einen
Verband arbeiten, eine Benachteiligung
gegenüber selbständigen Anwälten
(und auch gegenüber solchen Advokaten,
die in einer Kanzlei angestellt sind). Denn
ein Syndikus darf zwar wie jeder Anwalt
für seine Mandanten vor Gericht ziehen -
nicht aber für seinen eigenen Arbeitgeber.
Das Dogma, das dem entgegensteht,
heißt „Doppelberufstheorie“. Danach ist
der Firmen- oder Verbandsjurist nur in Bezug
auf außenstehende Auftraggeber ein
vollwertiger Advokat. Gegenüber seinem
eigenen Brötchengeber fehlt ihm dagegen
die nötige Unabhängigkeit. Das hat weitere
Nachteile: Seine Syndikus-Akten sind
nicht vor einer Beschlagnahmung durch
Strafverfolger geschützt, wie der Europäische
Gerichtshof im Fall „ Akzo-Nobel“ bestätigte.
Und häufig weigert sich die staatliche
Rentenkasse, ihn von der Zwangsversicherung
zu entbinden, um in die attraktiveren
Versorgungswerke der eigenen
Zunft wechseln zu können.
„Die Unabhängigkeit des selbständigen
Anwalts wird stark überschätzt und schöngeredet“,
argumentierte Prütting. Vom
Staat sei dieser - wie auch der Syndikus -
tatsächlich unabhängig. Doch was die finanzielle
Abhängigkeit angehe, seien die
niedergelassenen Rechtsvertreter (etwa
mit Blick auf Großkunden) vergleichbaren
Gefährdungen ausgesetzt wie die Firmen-
und Verbandsjuristen im Beschäftigungsverhältnis.
„Die Frage reduziert sich
auf die innere Haltung und die Charakterfestigkeit
des Menschen.“ Hinter all dem
wittert Prütting Scheingefechte, Glaubensfragen
und Mogelpackungen. In Wirklichkeit
gehe es nicht zuletzt um einen Schutz
vor unliebsamer Konkurrenz. „Dabei
scheint es mir unwahrscheinlich, dass die
Unternehmen und Verbände nur darauf
hoffen, sich künftig von ihren Hausjuristen
und nicht mehr durch externe Kanzleien
vertreten zu lassen.“ JOACHIM JAHN

FAZ Print 28.11.2012

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