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Freitag, 13. Dezember 2013

"Es ist ungeklärt, ob Kreditinstitute nach den maßgeblichen französischen und italienischen Vorschriften verpflichtet sind, die jeweiligen Transaktionsteuern zu erheben, und Sanktionen unterliegen, wenn sie dies nicht tun"

Beschwerde bei der EU-Kommission: Deutschlands Banken torpedieren Transaktionsteuern

Führende Verbände der deutschen Finanzwirtschaft fordern in vertraulichen Beschwerdebriefen: Die EU-Kommission soll die neue Abgabe auf Aktienkäufe in Frankreich und Italien verbieten. Insider glauben, dass die Bankenlobby so die geplante EU-Transaktionsteuer verhindern will.
Banken-Skyline in Frankfurt: "Verstoß gegen europäisches Recht"Zur Großansicht
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Banken-Skyline in Frankfurt: "Verstoß gegen europäisches Recht"
Hamburg - Deutschlands Banken starten eine Kampagne gegen die neuen Finanztransaktionsteuern in Frankreich und Italien. Nach SPIEGEL-ONLINE-Informationen haben sechs führende Verbände der deutschen Finanzwirtschaft bei der EU-Kommission offiziell Beschwerde gegen die beiden europäischen Staaten erhoben. Die Abgaben seien ein "Verstoß gegen europäisches Recht", heißt es in zwei vertraulichen, teils fast wortgleichen Schreiben vom 23. September, die SPIEGEL ONLINE vorliegen. "Wir beantragen mit dieser Beschwerde bei der Europäischen Kommission dafür Sorge zu tragen, dass die Französische [im zweiten Brief "Italienische"] Republik diese Zuwiderhandlung gegen das Gemeinschaftsrecht abstellt".
Im Briefkopf stehen alle relevanten Verbände der deutschen Finanzbranche, von den Sparkassen über die Genossenschaftsbankenbis hin zur Investmentfondsbranche. Mit dabei ist auch der Bundesverband öffentlicher Banken, in dem unter anderem die landeseigenen Förderbanken und die von der Politik kontrolliertenLandesbanken vertreten sind. Unterzeichnet haben die Briefe zwei Vertreter des privaten Bankenverbands: der frühere NRW-Europaminister Andreas Krautscheid, der heute in der Hauptgeschäftsführung des Verbands sitzt, und Direktorin Sabine Weber.Seit Jahren kämpfen die Banken gegen die Einführung derFinanztransaktionsteuer (FTS). Mit ihr wollen sich einige europäische Regierungen einen Teil der Steuermilliarden zurückholen, die sie in der Krise für diverse Bankenrettungspakete ausgeben mussten. Besonders teuer könnte für die Banken die europäische FTS werden, die die Bundesregierung gemeinsam mit Frankreich, Italien und acht weiteren EU-Mitgliedstaaten einführen will.
Demnach soll in Zukunft bei jedem Kauf und Verkauf einer Aktie oder Anleihe eine zusätzliche Steuer von 0,1 Prozent anfallen, bei Derivaten 0,01 Prozent.
Zwei europäische Staaten sind schon vorgeprescht. Erst führte Frankreich im August 2012 eine FTS von 0,2 Prozent auf Aktien aller nationaler Unternehmen mit mehr als einer Milliarde Euro Börsenwert ein. Dann zog Italien im März 2013 mit einer ähnlichen Regelung nach. Beide Nationen erheben die Steuer unabhängig davon, ob die Papiere in ihren Ländern gehandelt werden. Nach demselben Prinzip soll auch die europäische Steuer funktionieren.
"Wenn es illegal wäre, hätten wir einen schweren Stand"
Die Verbände nennen das rechtswidrig. "Folglich wird damit auch der Kauf französischer Aktien, den ein deutscher Kunde eines deutschen Kreditinstituts tätigt, der französischen Steuer unterworfen, und zwar auch dann, wenn die Transaktion […] über einen deutschen Handelsplatz abgewickelt wird", beklagen die sechs Verbände in ihrem ersten Brief. Damit verstoße das "Gesetz gegen europäisches Recht, namentlich gegen die Kapitalverkehrsteuer-Richtlinie." Diese verbiete den Mitgliedstaaten, indirekte Steuern auf Wertpapier-Handel und Ausgabe zu erheben.
Die EU-Kommission hält sich bedeckt. "Wir haben Beschwerdeschreiben von Wirtschaftsverbänden zur französischen und italienischen FTS erhalten", sagte ein Sprecherin von Steuerkommissar Algirdas Semeta auf Anfrage. Da diese Fälle noch in Bearbeitung seien, könne sie sich nicht weiter äußern.
Brüsseler Insider sagen, die Beschwerde sei unbegründet. Die Kapitalverkehrsteuer-Richtlinie, die von den Verbänden ins Feld geführt werde, erfasse gar nicht den Handel mit Wertpapieren, sondern nur die Ansammlung von Kapital am Primärmarkt - etwa wenn ein Unternehmen Aktien oder Anleihen ausgibt, um Geld zu bekommen. Wahrscheinlich gehe es den deutschen Banken gar nicht so sehr um Frankreich oder Italien, sondern um die EU-Abgabe, heißt es aus Kommissionskreisen. "Die französische Steuer ist von unserem Modell inspiriert. Wenn sie illegal wäre, hätten wir in Europa auch einen schweren Stand mit unserem Vorhaben."
Somit fallen die staatlichen deutschen Banken, die den Brief mittragen, auch Finanzminister Wolfgang Schäuble in den Rücken. Der zählt zu den Verfechtern der FTS. Auch im Koalitionsvertrag von Union und SPD ist das Vorhaben angekündigt.
Entsprechend wenig Schützenhilfe können die Banken von der Bundesregierung erwarten. Bei ihr hatten sich die Verbände schon 2012 über die französische Steuer beschwert. Das Auswärtige Amt beschied ihnen aber, dass "der Erlass von gesetzlichen Regelungen - einschließlich steuerrechtlichen - mit einer beabsichtigten Auslandswirkung […] nicht per se unzulässig" sei. In einem weiteren Schreiben, das SPIEGEL ONLINE vorliegt, heißt es dann in schönstem Bürokratendeutsch: "Die Bundesregierung ist bei eingehender Prüfung […] zu dem Ergebnis gekommen, die Frage der Völkerrechtsmäßigkeit dieser Steuer nicht mit Frankreich aufzunehmen." Im Klartext: Wir werden uns deswegen nicht mit Paris streiten.
Für die Verbände geht es um die Klärung der Rechtslage
Dennoch wird sich die europäische Steuer verzögern. Der einst angepeilte Termin zum Jahresanfang 2014 ist längst abgeräumt. Zu groß sind die Sonderwünsche der einzelnen Staaten: Griechenland und Spanien etwa wollen verhindern, dass die FTS ihre Staatsanleihen weiter verteuert. Deutschland und Frankreich wollen die Rentenversicherer ausnehmen. Auch die Investmentfondsindustrie läuft Sturm gegen die Pläne. An diesem Donnerstag beraten die Staaten in Brüssel über Ausnahmeregelungen.
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Umso größer ist der Verdruss bei Europapolitikern über die neuen Brandbriefe. "Der deutsche Steuerzahler hat die zweitteuerste Bankenrettung in Europa gestemmt, und der Staat hat viel Mühe, sein Geldzurückzubekommen". sagt etwa Sven Giegold, finanzpolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament. "Die Bankenlobby will hier offenbar einen Präzedenzfall für Europa schaffen und jegliche Regulierung torpedieren."Die Verbände betonen, es gehe ihnen vor allem um eine Klärung der Rechtslage. "Es ist ungeklärt, ob Kreditinstitute nach den maßgeblichen französischen und italienischen Vorschriften verpflichtet sind, die jeweiligen Transaktionsteuern zu erheben, und Sanktionen unterliegen, wenn sie dies nicht tun", teilte auf Anfrage die Deutsche Kreditwirtschaft mit, in der die fünf Bankenverbände zusammengeschlossen sind.
Nach den Regeln der Europäischen Union könnten sich Bürger und Unternehmen bei Zweifeln an der Vereinbarkeit von Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten mit EU-Recht an die Europäische Kommission wenden, heißt es in der Stellungnahme. Dies hätten die Verbände "nicht zuletzt auch im Interesse einer Klarstellung für ihre Kunden getan, nachdem sich auf nationaler Ebene die zuständigen Behörden zu einer ausreichenden Klarstellung in dieser Sache außerstande gesehen haben".

 http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/deutsche-banken-torpedieren-finanztransaktionsteuern-a-938618.html

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