Mittwoch, 19. März 2014
Anleihe-Experten staunenKreml trickst Ukraine aus
Es lohnt sich in der Regel, das Kleingedruckte zu lesen. Diese Erfahrung macht derzeit die neue Regierung der Ukraine. Denn Moskau sichert die Milliardenhilfe an den gestürzten Präsidenten Janukowitsch äußerst clever ab.
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Rund drei Milliarden Dollar hat Russland der Ukraine im Dezember geliehen, um Präsident Viktor Janukowitsch zu helfen. Der ist mittlerweile allerdings gestürzt, und die Krim ist von Russland annektiert. Für die ukrainische Regierung dürften das ausreichend Gründe sein, den Kredit nicht zurückzuzahlen - doch das wäre mit einem immensen Risiko verbunden.
Denn der Kreml hat vorgebeugt. Bei dem Kredit handelt es sich um kein direktes Darlehen, sondern um von der Ukraine ausgegebene Staatsanleihen, die in Euro denominiert sind. Die kaufte Russland auf. Mehr noch: Der Kreml legte in einer Vertragsklausel eine ungewöhnliche Option fest: Sollte der Schuldenstand der Ukraine 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts überschreiten, darf Russland die Bonds sofort fällig stellen. "Für eine Staatsanleihe ist das eine ungewöhnliche Klausel", schreibt Bond-Experte und Jura-Professor Mitu Gulati in der "Financial Times". Er lese seit Jahren entsprechende Verträge und habe so eine Bestimmung noch nie gesehen. Warum auch immer Russland das tat, es stellt sich nun als außerordentlich nützlich heraus.
Schulden steigen
Als der Kreml die Milliarden in Richtung Kiew überwies, betrug die Schuldenquote der Ukraine noch rund 40 Prozent. Doch die derzeitige Krise macht es Ökonomen zufolge sehr wahrscheinlich, dass der Schuldenstand schnell massiv ansteigen wird. Dazu kommt, dass die Ukraine den Internationalen Währungsfonds um Hilfe gebeten hat - und der knüpft seine Kredite an drastische Sparauflagen, die erfahrungsgemäß die Konjunktur zunächst spürbar bremsen. Das heißt: Der Kreml kann sein Geld genau dann zurückverlangen, wenn die Probleme der Ukraine groß sind. Und er würde sie damit sogar noch verstärken.
Die Regierung Kiew kann dieses Druckmittel nicht loswerden, indem es entscheidet, die Schulden einfach nicht zu begleichen. Dabei ist es unerheblich, ob Russland die Klausel ziehen kann oder nicht. Denn zunächst müsste sich die Ukraine vor einem internationalen Gericht durchsetzen - und es ist durchaus möglich, dass der Kreml recht bekommt.
Außerdem steht Russland noch ein ganz anderer Weg offen: Es könnte die Anleihen einem aggressiven Hedgefonds verkaufen, der dann versucht, die Forderung einzutreiben. Welche Probleme diese selbst einem Staat bereiten können, zeigt das Beispiel Argentinien. Ein Investmentfonds ließ das Marine-Schulschiff "Libertad" in Ghana mehrere Wochen als Pfand festsetzen, weil Argentinien seine Forderungen nicht erfüllte.
Ansteckung droht
Schlimmer noch: Sollte die Ukraine die Anleihe nicht bedienen, könnte das weitere unerfreuliche Auswirkungen haben. Wahrscheinlich würde es für das Land noch teurer werden als bisher, sich Geld an den internationalen Finanzmärkten zu leihen. Hinzu kommt eine Gefahr, auf die der Finanzblogger Felix Salmon hinweist: die sogenannte Cross-Default-Klausel. Das ist ein Sonderkündigungsrecht, das die Ukraine wahrscheinlich den meisten Gläubigern eingeräumt hat.
Dahinter verbirgt sich eine Option, die die Gleichbehandlung aller Gläubiger garantieren soll, die vergleichbare Staatsanleihen halten. Sie erlaubt Gläubigern, ihre Forderungen sofort fällig zu stellen, wenn ein Land den Vertrag mit einem anderen Kreditgeber verletzt. Das bedeutet: Sollte die Ukraine ihre Schulden gegenüber Russland oder einem Hedgefonds nicht begleichen wollen, könnte das zu einem unkontrollierbaren Ansteckungseffekt führen.
Es ist aber durchaus möglich, dass die Ukraine heil aus dieser Sache herauskommt. Das könnte beispielsweise durch Garantien der USA und der Europäischen Union gelingen. Doch unabhängig davon, wie die Geschichte endet: Komplizierte Klauseln in Anleiheverträgen können große Wirkung entfalten.
http://www.n-tv.de/wirtschaft/Kreml-trickst-Ukraine-aus-article12490581.html
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