2. Kollektive Bindung durch das Schuldverschreibungsgesetz
a) Treuebindung der Anleihegläubiger
Diese Treuepflicht des einzelnen Anleihegläubigers wird durch die Regelungen
des Schuldverschreibungsgesetzes in § 4 und § 5 SchVG geregelt und
entspricht jedoch seit jeher einem anerkannten Grundsatz des Schuldverschreibungsrechts.
Dieser Grundsatz der "kollektiven Bindung" (vgl. § 4
SchVG 2009) bzw. der "gemeinsamen Rechte" (SchVG 1899) verbietet es
dem individuellen Anleihegläubiger, entgegen den Interessen der Gläubigergemeinschaft
Rechte aus den Anleihen herzuleiten, die auf eine individuelle
Bevorzugung einzelner Gläubiger hinausläuft.
Auf eine solche Bevorzugung liefe jedoch die vorzeitige Kündigung von Anleihen
- über die nicht einschlägigen Kündigungsgründe nach § 9 Abs. 1 der
Anleihebedingungen - aus wichtigem Grund hinaus.
Dabei kann es offen bleiben, ob der Kreis jeweiliger Anleihegläubiger als eine
BGB-Gesellschaft nach § 705 ff. BGB, eine Bruchteilsgemeinschaft nach §§
741 ff. bzw. eine Gemeinschaft sui generis anzusehen ist
vgl. die Nachweise bei Verannemann, SchVG, § 4 Rn. 11.
Entscheidend ist: Jeder Anleihegläubiger weiß bei Erwerb der Anleihen, dass
er die emittierten Anleihen nicht alleine bezogen hat, sondern dass andere
Gläubiger ebenfalls Anleihen bezogen haben. Dieses Wissen um die zwingende
Gläubigermehrheit im Recht der Schuldverschreibungen führt jedoch
dazu, dass der individuelle Anleihegläubiger nicht nach freiem Belieben kündigen
kann, wenn sich die finanzielle Situation des Anleiheschuldners verschlechtert
bzw. dieser - aufgrund zwingender rechtlicher Vorgaben - eine
solche Verschlechterung ankündigt.
Dieser Grundsatz gilt umso mehr, wenn die Anleihebedingungen - wie hier -
enumerativo Gründe erhalten, in denen dieser Grundsatz kollektiver Bindung
ausnahmsweise durch Kündigungsmöglichkeiten eingeschränkt werden.
Seite 32 von 38
b) Sperrwirkung der Restrukturierung nach dem SchVG
Erst recht darf der Anleihegläubiger eine Restrukturierung der Anleihen nach
dem SchVG nicht zum Anlass nehmen, die Anleihen zu kündigen.
Das SchVG verfolgt das Ziel, gerade im Fall der Sanierungsbedürftigkeit des
Schuldners diesem die Möglichkeit zu geben, im Einvernehmen mit den
Gläubigern eine Insolvenz zu vermeiden und die Anleihen zu restrukturieren.
Das SchVG entfaltet seine Funktion aber gerade dann, wenn der Anleiheschuldner
sanierungsbedürftig ist und dies - im Rahmen der rechtlich gebotenen
Ad-hoc-Mitteilungen - auch den Anleihegläubigern mitteilt bzw. mitteilen
muss.
Insofern würde ein Individualkündigungsrecht Folgendes bedeuten:
Wenn eine Restrukturierung von Schuldverschreibungen notwendig wird,
muss der Anleiheschuldner zunächst pflichtgemäß seine wirtschaftliche Situation
offenlegen. Anschließend soll in einer Gläubigerversammlung eine Beschlussfassung
der Gläubiger erfolgen, die für alle Anleihegläubiger verbindlich
ist. Dieser Rechtsfolge könnte sich aber jeder Anleihegläubiger durch eine
Kündigung entziehen. Im Ergebnis wäre das SchVG letztlich überflüssig,
weil es seine Funktion nicht erfüllen kann.
Dies kann nicht richtig sein.
3, Unzulässiger Sondervorteil
Ein KUndigungsrecht scheidet weiterhin deshalb aus, da die Klägerin als kündigende
Anleihegläubigerin für sich einen ungerechtfertigten Sondervorteil beansprucht.
Denn typischerweise liegt es so, dass der Emittent gerade nicht in der Lage ist,
die Anleiheforderung vollständig zu bedienen, erst recht nicht vorzeitig. Dies bedeutet,
dass der kündigende Anleihegläubiger nur dann sein Ziel erreichen kann,
wenn zwar er die Kündigung erklärt, die übrigen Anleihegläubiger aber zu Sanierungsschritten
bereit sind. So liegt es auch bei der Beklagten.
Seite 33 von 38
Letztlich bezweckt der kündigende Anleihegläubiger für sich einen Sondervortei!
auf Kosten der übrigen Anleihegläubiger. Andere Anleihegläubiger, die einer -
von Gesetzes wegen - gewünschten Restrukturierung zustimmen würden, müssten
sehenden Auges akzeptieren, wie andere Gläubiger ihr Kapital abziehen
bzw. zumindest Rückzahlungsansprüche begründen. Im Extremfall könnten Anleihegläubiger
den Anleiheschuldner auf diesem Wege so sehr "schröpfen", dass
andere Anleihegläubiger einen Totalausfall erleiden.
Mit dem gesetzlichen Gleichbehandlungsgrundsalz ist dies nicht vereinbar.
Daher ist die Kündigung auch deshalb unwirksam, weil bei der stets vorzunehmenden
Interessenabwägung die Interessen der Beklagten (und der übrigen Anleihegläubiger)
an dem Fortbestand des Schuldverhältnisses schwerer wiegen
als das Interesse des Anleihegläubigers an der Kündigung.
Was soll daran innovativ sein ?
AntwortenLöschenDen gleichen Müll nur in etwas anderer Formulierung kennt jeder Argentinienkläger seit Jahren.