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Samstag, 3. Januar 2015

Angela Merkel zerstöre mit ihren „falschen protestantischen Prinzipien“ Europa, schimpft Tsipras. Doch ob er sich mit der linksorthodoxen Ethik des Schuldenmachens vier Jahre an der Macht halten kann?


Vor Wahlen in GriechenlandDie Entzauberung des Alexis Tsipras

Ein Sieg der Linkspartei Syriza bei der griechischen Parlamentswahl gilt als sicher. Dass sie ihre nicht finanzierbaren Versprechungen wahr macht, ist ausgeschlossen. So könnte die Partei schon bald vor einer Zerreißprobe stehen.

© REUTERSVergrößernSchreckgespenst: Alexis Tsipras verlässt nach dem Scheitern der Präsidentenwahl am 29. Dezember das Parlament in Athen.
Je höher die Umfragewerte für Alexis Tsipras steigen, desto tiefer fallen die Kurse an der Athener Börse. „Die Märkte“, neben Angela Merkel der Lieblingsfeind des griechischen Oppositionsführers, scheinen ihr Urteil bereits gefällt zu haben: Demnach geht Griechenland, sollten Tsipras und seine Partei Syriza die griechische Parlamentswahl am 25. Januar gewinnen, schweren Zeiten entgegen.
Da Syriza seit Monaten in allen Umfragen stärkste politische Kraft des Landes ist – wenn auch seit einiger Zeit mit schrumpfendem Vorsprung –, gilt ihr Sieg als ebenso alternativlos wie die Rettung Griechenlands vor dem Staatsbankrott durch die europäischen Steuerzahler.
Einige von Tsipras’ Parteigängern unterstellen dem amtierenden Ministerpräsidenten Antonis Samaras bereits, er arbeite mit schmutzigen und gefährlichen Tricks, um den Griechen einzureden, eine Stimme für Syriza sei eine Stimme für Griechenlands Ausschluss aus der Eurozone. Das hatte Samaras vor den beiden Parlamentswahlen von 2012 tatsächlich getan, damals aus guten Gründen und mit Erfolg.

Alexis Tsipras – Gift für Investoren

Die Tsipras freundlich gesinnte Zeitung „Efimerida ton Syntakton“ bezichtigt ausländische Medien zudem, sie unterstützten Samaras’ Panikmache, indem sie behaupteten, ein Wahlsieg von Syriza werde Investoren verjagen. Das klingt angesichts der äußerst mageren Privatisierungserfolge der vergangenen Jahre zwar etwas übertrieben, denn Investoren, die gar nicht erst gekommen sind, kann selbst die arglistigste „Lügenpresse“ nicht in die Flucht schlagen.
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In der konservativen Tageszeitung „Kathimerini“ hieß es dazu unlängst spitz, Investoren seien erst dann zu erwarten, wenn Griechenland „endlich entweder ein ernsthaftes und verantwortungsvolles europäisches Land oder eine Investitionsmöglichkeit im Stile der Dritten Welt wird“.
Selbst Syriza-Politiker bestreiten allerdings nicht, dass nach einer relativ ruhigen Phase wieder schwierige Wochen und Monate auf das Land zukommen, auch wenn Tsipras vor wenigen Tagen, als der Termin für die vorgezogene Parlamentswahl endgültig feststand, noch ungebrochene Zuversicht verbreitete: „Die Zukunft hat schon begonnen, seid optimistisch und glücklich darüber“, rief der womöglich nächste Ministerpräsident Griechenlands seinen Landsleuten zu.

Milliardenschweres Sozialprogramm aus leeren Kassen

Doch Alexis Tsipras wird womöglich schon sehr bald von seiner Zukunft eingeholt werden, und am Ende könnten die griechischen Wähler ihn und Syriza schneller auf Ramschniveau herabstufen, als man „Staatsbankrott“ sagen kann.
John Milios© APVergrößernJohn Milios, Chef-Ökonom der linken Syriza-Partei: „Ich bin ein Marxist“
Denn Tsipras kann entweder seine Wahlversprechen halten oder das Land aus der Krise führen – aber schwerlich beides zugleich. Genährt von seiner seit vier Jahren betriebenen großspurigen Rhetorik, sind die Erwartungen vieler Wähler an den Mann, der in seiner bisherigen Karriere immer nur Oppositionspolitiker war, unerfüllbar groß, und im derzeitigen Wahlkampf werden sie noch angefacht.
Nicht allein die sofortige Kündigung der griechischen Vereinbarung mit der Troika (EU, Europäische Zentralbank und Internationaler Währungsfonds) ist Teil des Syriza-Wahlprogramms. Wenn Syriza regiere, werde umgehend ein „nichtverhandelbares“ Sozialprogramm von etwa 11,6 Milliarden Euro Umfang aufgelegt, wurde unlängst John Milios zitiert. Milios („Ich bin ein Marxist“) ist in der Syriza für Wirtschaftsfragen zuständig.

Kommt die Besteuerung der Reeder?

Das Finanzministerium bezifferte die zusätzlichen Kosten der Wahlversprechen von Syriza unlängst gar auf 17,2 Milliarden Euro und warnte, so werde das mühsam reduzierte Haushaltsdefizit auf einen Schlag wieder auf neun Prozent der Wirtschaftsleistung steigen. Syriza-Politiker widersprechen: Man wolle die Wohltaten keineswegs durch neue Schulden finanzieren, sondern durch eine Verbesserung der Steuereinnahmen.
Das Versprechen, die Steuereintreibung effektiver zu gestalten und dadurch mehr Geld für den Sozialhaushalt zu gewinnen, ist freilich seit vielen Legislaturperioden ein fahler Dauerbrenner griechischer Oppositionsrhetorik. Auch Giorgos Andrea Papandreou hatte damit 2009 erfolgreich Wahlkampf betrieben, bevor er Athen als Ministerpräsident in die tiefste Krise seit dem Ende der Militärdiktatur 1974 führte.
Sollte Tsipras tatsächlich eine hohe Besteuerung der Superreichen des Landes durchsetzen (Reeder werden immer wieder als Ziel der Steuerpläne von Syriza genannt), hätte er immerhin eine Aufgabe gelöst, an dem andere Athener Ministerpräsidenten stets scheiterten, wenn sie sich ihr überhaupt stellten.

Der „Grexit“ steht wieder zur Debatte

Wahrscheinlicher ist aber, dass sich bald zeigen wird: Der griechische Staat kann die schönen Versprechen von Tsipras und den Seinen schlicht nicht finanzieren, ob mit oder ohne Reichensteuer. Hoch wäre dagegen das Risiko. Der frühere griechische Regierungschef Konstantinos Mitsotakis (er ist derselbe Jahrgang wie Helmut Schmidt und ebenfalls ein Weltkriegsveteran, genießt allerdings, anders als sein deutscher Gegenpart, in seiner Heimat nicht den Status eines ,Elder Popstar‘) warnte unlängst, Neuwahlen (also ein Sieg von Syriza) könnten einen Euroaustritt Griechenlands nach sich ziehen.
Ein „Grexit“ sei nicht ausgeschlossen, soll Mitsotakis laut dem Blatt „Eleftheros Typos“ gesagt haben. „Wir haben Blut gespuckt, damit das Wort ,Grexit‘ verschwindet. Und Syriza bringt das Wort zurück“, stieß Samaras unlängst auf einer Fraktionssitzung seiner „Nea Dimokratia“ ins gleiche Horn. Doch nicht allein durch die Gefahr einer neuerlichen Grexit-Diskussion dürfte eine Syriza-Regierung schnell in ein Fahrwasser geraten, in dem an die Verteilung wohlfahrtsstaatlicher Gaben nicht zu denken ist.

Nichteinlösen der Wahlversprechen zerreißt Syriza

Versprochen wurden bei verschiedenen Gelegenheiten unter anderem subventionierte Strompreise für 300.000 griechische Haushalte, eine Preissenkung im öffentlichen Nahverkehr, eine Bonuszahlung für Pensionäre mit Bezügen von weniger als 700 Euro im Monat, ein staatliches Investitionsprogramm, die Rücknahme der im Zuge der Krise auf Druck der Troika eingeführten Mindestlohn- und Rentenkürzungen, ein Ende von Entlassungen im Staatssektor sowie die Beendigung der Privatisierung von defizitären staatlichen Unternehmen. Auch von Wiederverstaatlichungen bereits privatisierter Unternehmen ist die Rede.
Lassen sich diese Ankündigungen nicht verwirklichen, wird Tsipras die Enttäuschung seiner Anhänger entgegenschlagen und es könnten einige der bisher kaum sichtbaren Risse innerhalb der sehr heterogenen Syriza aufbrechen. Eine halbwegs einheitliche Partei mit zentralen Führungsgremien ist Syriza erst seit dem Sommer 2013. Vorher war es ein Bündnis von gut einem Dutzend linker Splittergruppen und Plattformen, die weiterhin den Kern der Partei ausmachen.

„Wir werden das Land nicht verkaufen“

Das stete, Anfang 2010 noch jede Vorstellungskraft übersteigende Wachstum der Popularität von Syriza hat die Gräben zwischen den einzelnen Fraktionen bisher zugedeckt. Das muss aber nicht so bleiben, wenn im Zuge einer Regierungsübernahme oder angesichts sinkender Umfragewerte Fundis und Realos der Partei über den wahren Kurs zu streiten beginnen. Dann könnte Europa auf einen Mann aufmerksam werden, der derzeit außerhalb Griechenlands noch so unbekannt ist, wie es vor vier Jahren Tsipras war: Panagiotis Lafazanis, Parlamentsabgeordneter, Chef der „Linken Plattform“ innerhalb der Syriza, Eurogegner und Befürworter einer Wiedereinführung der Drachme.
Lafazanis verlangt die Verstaatlichung aller Banken und eine Schließung der Privatisierungsagentur Taiped („Wir werden das Land nicht verkaufen“). Er spricht sich stattdessen für eine Kooperation mit der quasistalinistischen griechischen Kommunistischen Partei aus. Im Oktober kündigte er an, wenn Syriza an der Macht sei, werde das Abkommen mit den Geldgebern des Landes „über Nacht“ gekündigt. Das Syriza-Programm werde ohne vorherige Rücksprache mit der Troika verwirklicht.

Tsipras wird der neue Samaras

Lafazanis spricht 2014 so, wie Tsipras, der seine Rhetorik zumindest partiell gemäßigt hat, 2011 sprach – mit einem großen Unterschied: Tsipras hat selbst in der hitzigsten Debatte nie direkt einer griechischen Rückkehr zur Drachme das Wort geredet. Er und seine Anhänger konnten über ihre Mehrheit im Zentralkomitee bisher auch stets verhindern, dass eine Abwendung vom Euro als Ziel in das Parteiprogramm von Syriza aufgenommen wurde.
Dem Vernehmen nach ist es bei Sitzungen der Parteiführung mehrfach zu hitzigen Wortwechseln zwischen Tsipras und Lafazanis gekommen. Etwa 60 der 200 Mitglieder des Syriza-Zentralkomitees werden Lafazanis und der „Linken Plattform“ zugerechnet. Das Lafazanis-Drittel in Partei und Fraktion wurde bisher stets überstimmt, könnte sich aber in weniger erfolgreichen Zeiten, wenn es nicht mehr um Oppositionsdeklarationen, sondern um die Bildung parlamentarischer Mehrheiten für Regierungsentscheidungen geht, lautstark bemerkbar machen. In Athen sehen manche bereits Tsipras zum neuen Samaras und Lafazanis zum neuen Tsipras werden.

Ab 35% beginnt die absolute Mehrheit

Womöglich findet die Entzauberung der auf den Trümmern von Griechenlands Finanz- und Staatskrise groß gewordenen Klientelpartei Syriza jedoch auch schon statt, bevor sich Tsipras überhaupt zum Ministerpräsidenten wählen lassen kann. Zwar gilt ein Wahlsieg von Syriza, sofern Ministerpräsident Samaras und seine Nea Dimokratia in den kommenden drei Wochen nicht noch wahlkämpferische Wundertaten vollbringen, als sicher.
Damit fielen auch die 50 Bonussitze, die in der griechischen Verfassung für den Wahlsieger vorgesehen sind, an Tsipras‘ Partei. Doch die Umfragen der vergangenen Monate lassen es ausgeschlossen erscheinen, dass Syriza mehr als 35 Prozent der Stimmen auf sich vereinen kann – das aber müsste sie, um ohne Koalitionspartner regieren zu können.
So jedoch, ohne die absolute Mehrheit der Parlamentsmandate, wird Tsipras als Wahlsieger Koalitionspartner suchen müssen – und nach Lage der Dinge könnte das eine äußerst schwierige, vielleicht sogar unmögliche Suche werden.

Syriza auf der Suche nach Koalitionspartnern

Die Zeitung „To Vima“ veröffentlichte am 28. Dezember die jüngste Umfrage des seriösen Athener Meinungsforschungsinstituts „Kapa Research“, laut dem außer Syriza (27,2 Prozent der Stimmen) auch die bisherigen Regierungsparteien Nea Dimokratia (24,7 Prozent) und Pasok (6,1 Prozent) wieder in das Parlament einziehen werden.
Als wichtigste Säulen der griechischen Kooperation mit der Troika und Erfüllungsgehilfinnen des zerstörerischen „Merkelismus“ (Tsipras) kommen sie aber nicht als Syriza-Partner in Frage. Das gilt ebenso für die griechischen Kommunisten (5,8 Prozent), die nicht mit Tsipras kooperieren wollen, und für die Rechtsradikalen der „Goldenen Morgenröte“ (5,5 Prozent), mit denen Tsipras nicht koalieren kann.
Die Partei „To Potami“ (Der Fluss, 5,8 Prozent) wird erstmals in das Parlament einziehen und ist ein unbeschriebenes Blatt, gilt aber als pragmatisch und würde viele der Syriza-Projekte nicht mittragen. Ob weitere Parteien die Dreiprozenthürde überwinden können, ist ungewiss. Die mit Syriza kokettierenden „Unabhängigen Griechen“ lagen in Umfragen zuletzt bei kaum mehr als 2,5 Prozent. Der ehemalige griechische Regierungschef Giorgos Papandreou hat nun angekündigt, eine eigene Partei zu gründen. Über deren Aussichten bei den kommenden Wahlen jedoch nichts gesagt werden kann.
Dieser „Neustart“ der „Bewegung“ solle das Land „aus der Krise führen“, hieß es in einer Erklärung Papandreous am Freitag. Mehr zu den Zielen seiner Partei will der 61 Jahre alte Politiker am Samstagabend bei einer Veranstaltung in Athen bekanntgeben. Papandreou verlässt damit die Panhellenische Sozialistische Bewegung (Pasok), die sein Vater Andreas Papandreou 1974 gegründet hatte.

„Merkel zerstört Europa“

Sollte Alexis Tsipras angesichts der zu erwartenden Konstellation im Parlament überhaupt eine Koalition zustande bringen, wäre das schon ein Achtungserfolg, den er sich freilich mit Kompromissen würde erkaufen müssen, die seine Anhänger nicht schätzen werden. Zu den ersten Amtshandlungen eines Ministerpräsidenten Tsipras gehörten in jedem Fall Verhandlungen mit der Troika – denn das um zwei Monate verlängerte Hilfsprogramm der Troika endet am 28. Februar, doch Griechenland wird auch danach Geld brauchen.
Möglich ist aber auch, dass nach dem 25. Januar keine Regierung gebildet werden kann und Griechenland, wie schon 2012, unter einer Übergangsregierung direkt auf die nächsten Wahlen zutaumelt. Doch selbst wenn es im zweiten Anlauf reichen sollte, könnte sich die Villa Maximos, der Amtssitz des griechischen Regierungschefs, für Tsipras als Kammer des Schreckens erweisen.
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