ArgentinienAmnestie gegen Erdöl?
Schützte die argentinische Präsidentin die Drahtzieher eines blutigen Bombenanschlags, um mit Iran ins Geschäft zu kommen? So liest sich die Anklage von Staatsanwalt Alberto Nisman, dessen Tod viele Fragen aufwirft.
21.01.2015, von MATTHIAS RÜB, SÃO PAULO
© AFP„Danke Nisman: Gerechtigkeit“: vor dem Büro des tot aufgefundenen Sonderermittlers Alberto Nisman
Richter Ariel Lijo, heißt es aus dessen Umgebung, findet die Vorwürfe und Indizien in dem 289 Seiten umfassenden Schriftstück plausibel. Seit seiner Rückkehr aus dem verkürzten Urlaub hat Lijo die Anklageschrift, die Sonderermittler Alberto Nisman am 14. Januar unterbreitet hatte, zweimal vollständig gelesen. Lijos Mitarbeiter werten derzeit die von Nisman selbst beigefügten Tonträger mit den Mitschnitten von geheimen Telefongesprächen aus – und auch jene Dokumente, die in der Wohnung von Nisman beschlagnahmt wurden. Dort, in seinem Badezimmer, war der 51 Jahre alte Staatsanwalt am Sonntagabend tot aufgefunden worden.
Ob die Vorwürfe in der Anklageschrift plausibel sind, darüber können sich die von dem mysteriösen Tod Nismans betroffenen Argentinier nun selbst ein Bild machen: In der Nacht zum Mittwoch wurde das Schriftstück auf Geheiß des Obersten Gerichts überraschendvollständig veröffentlicht. Nismans Vorwurf lautet, dass Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner und ihr Außenminister Héctor Timerman in einer „kriminellen Verschwörung“ den Plan verfolgten, die als mutmaßliche Drahtzieher des Selbstmordanschlags auf den Sitz der jüdischen Gemeinde in Argentinien 1994 mit internationalem Haftbefehl gesuchten Funktionäre des iranischen Regimes straflos davonkommen zu lassen. Im Gegenzug für die Amnestierung der für den Tod von 85 Menschen verantwortlichen Iraner sollte Teheran dringend benötigtes Erdöl zu Vorzugspreisen an Buenos Aires liefern. Argentinien sollte Getreide und Rindfleisch nach Iran ausführen.
Nisman war vor gut zehn Jahren vom damaligen Präsidenten Néstor Kirchner als Sonderermittler zur Aufklärung des Selbstmordanschlags eingesetzt worden. Kurz zuvor, im September 2004, waren nach einem von Skandalen wie Zeugenbestechung gezeichneten Prozess 22 argentinische Angeklagte freigesprochen worden. Noch immer ist wegen des Anschlags niemand verurteilt worden. Immerhin erreichte Nisman, dass 2006 Haftbefehl gegen sieben ranghohe Funktionäre Irans erlassen wurde und die Verdächtigen von Interpol auf die Liste der international meistgesuchten Verdächtigen gesetzt wurden. Unter ihnen sind der frühere Präsident Akbar Haschemi Rafsandschani und der einstige Außenminister Ahmad Wahidi. Als maßgeblichen Drahtzieher des Anschlags nannte Nisman Mohsen Rabbani, den damaligen Kulturattaché an der iranischen Botschaft in Buenos Aires. Rabbani habe 1994 den damals 21 Jahre alten libanesischen Selbstmordattentäter von der schiitischen Terrororganisation Hizbullah gesteuert und kurz vor dem Attentat aus Paraguay nach Argentinien eingeschleust.
Rabbani spielt auch in Nismans Anklageschrift gegen Kirchner und Timerman eine zentrale Rolle. Immer wieder sollen die von der Präsidentin und dem Außenminister direkt beauftragten argentinischen Unterhändler – vor allem der regierungstreue Gewerkschaftsfunktionär Luis D’Elia – geheime Telefongespräche mit Rabbani geführt haben. Im Jahr 2011 sollen sie sich in Syrien mit ihm getroffen haben, um die Einzelheiten eines argentinisch-iranischen Abkommens zur Einsetzung einer „Wahrheitskommission“ zur Aufklärung des Attentats auszuhandeln. Das umstrittene Abkommen – nach Nismans Überzeugung versehen mit einer Art „geheimem Zusatzprotokoll“ zur Amnestierung der angeklagten Iraner – wurde Anfang 2013 geschlossen. Bald darauf jedoch verwarf es das Oberste Gericht in Buenos Aires als verfassungswidrig.
Die Veröffentlichung der Anklageschrift von Nisman wird die Debatte über die Umstände seines Todes weiter befeuern. Kirchner hat die Vorwürfe Nismans, der am Montag im Kongress zu seiner Anklage gegen die Präsidentin und Timerman hätte aussagen sollen, kategorisch zurückgewiesen. Ebenso energisch vertritt sie die These vom Selbstmord des Staatsanwalts. Nisman sei wohl von ehemaligen Geheimdienstmitarbeitern in den Tod getrieben worden, schrieb die Präsidentin – von jenen Männern, die sie wegen Illoyalität im Dezember habe entlassen müssen. In einer hanebüchenen Volte machte die Präsidentin auch noch Publikationen der regierungskritischen Clarín-Gruppe für Nismans angeblichen Selbstmord verantwortlich.
Doch den bezweifeln immer mehr. Allen voran Nismans ehemalige Ehefrau Sandra Arroyo: Sie hält eine Selbsttötung ihres geschiedenen Ehemannes für ausgeschlossen. An der Hand Nismans, mit der er den Revolver gegen sich selbst gerichtet haben soll, wurden bislang keine Schmauchspuren gefunden. Mysteriös ist zudem, warum der Staatssekretär im Sicherheitsministerium Sergio Berni noch vor der zuständigen Staatsanwältin und der Polizei am Tatort war. Berni, ein Vertrauter von Präsidentin Kirchner, hatte am Sonntagabend als erster die Selbstmordthese verbreitet. Später versicherte Berni, er habe das Badezimmer, in dem Nisman gefunden wurde, nicht betreten, sondern die Spurensicherung „selbstverständlich“ der Polizei überlassen.
Inzwischen weiß man, dass die Pistole, aus welcher der Schuss in Nismans Schläfe abgefeuert wurde, nicht diesem selbst gehörte. Erst am Samstag war sie ihm auf dessen Bitte hin von seinem Kollegen Diego Lagomarsino ausgeliehen worden. Lagomarsino war beim argentinischen Geheimdienst tätig, ehe er zu Nismans Team bei der Staatsanwaltschaft stieß. In Nismans Wohnung fand sich kein Abschiedsbrief, dafür aber ein Zettel, auf dem der Staatsanwalt für die Hausangestellte notiert hatte, was diese am Montag einkaufen möge. Noch kurz vor dem mutmaßlichen Zeitpunkt des Todes hatte Nisman in aufgeräumter Stimmung mit seinem Mobiltelefon Kurznachrichten sowie ein Foto verschickt, auf dem die Akten zu sehen waren, die er zur Vorbereitung auf die Anhörung bearbeitet hatte.
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Wenn nicht Selbstmord, sondern Mord, wer könnte dahinter stecken? Wurde Nisman Opfer eines Kampfes verfeindeter Fraktionen des argentinischen Geheimdienstes? Oder haben ihn die Iraner und die Hizbullah zum Schweigen gebracht, weil Nisman seit Jahr und Tag vor einem wachsenden Netz schiitischer Terrorzellen in ganz Lateinamerika gewarnt hatte? Bishlang weiß man nicht einmal, wann und wo Nisman begraben wird. Nisman war Jude, hat seinen Glauben dem Vernehmen nach aber nicht praktiziert. Sollte er auf dem jüdischen Friedhof in Buenos Aires zur Ruhe gesetzt werden, müsste entschieden werden, ob er im Sonderbereich für Selbstmörder begraben wird. Darüber hat die jüdische Gemeinde zu befinden, die damals Ziel des Anschlages war.
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