Die neue Weltmacht im Osten ist eine Illusion
Russland droht dem Westen damit, sich neue Partner zu suchen und mit ihnen ein eigenes Finanzsystem aufzubauen. Als neuer großer Verbündeter wird oft China genannt. Ein Irrtum, wie sich nun zeigt.
Von Holger Zschäpitz,Davos
Es war nur eine Frage der Zeit, bis Moskau sich neue Verbündete und Handelspartner suchen würde. Ein Jahr nach der Zuspitzung im Ukraine-Konflikt sind die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Russland und dem Westen auf dem Tiefpunkt.
Doch die Stimmung beim Weltwirtschaftsforum in Davos macht deutlich, dass es für den Kreml alles andere als leicht werden wird, ernst zu nehmende Bündnisse zu schmieden.
Vor allem die Drohungen Russlands, sich ganz von Europa abzuwenden und mit der aufsteigenden Wirtschaftsmacht China zusammenzugehen, sind kaum mehr als Rhetorik.
BRIC-Allianz wird bröckeln
Potenziell hätte ein solches Bündnis beachtliches Gewicht, vor allem wenn sich den beiden früheren kommunistischen Staaten auch noch die Schwellenländer Brasilien und Indien anschließen. Gemeinsam bringen es diese vier BRIC-Länder (die Abkürzung ergibt sich aus den Anfangsbuchstaben von Brasilien, Russland, Indien und China) auf eine Wirtschaftskraft, die fast so groß ist wie die der USA und deutlich größer als die der Euro-Zone.
Doch die Brüche und Differenzen zwischen den BRIC-Staaten sind groß. Die versammelte Management-Elite in Davos räumt insbesondere einer russisch-chinesischen Allianz keine großen Chancen ein. Aus Sicht der internationalen Manager ist das russische Riesenreich ein völlig eigener Kosmos, von außen kaum zu durchschauen.
Wegen der Risiken werden auch potenziell lukrative Geschäfte in Russland ausgeschlagen. "Der russische Staat befindet sich klar in einer besseren Situation als 1998, für die Unternehmen gilt das allerdings nicht", sagt der US-Investor und Russland-Kenner Bill Browder.
Von einem Staatsbankrott wie 1998 ist Russland heute zwar weit entfernt. Die jetzige Schuldenlast liegt offiziell bei rund 14 Prozent im Verhältnis zum BIP. Doch die Gefahr kommt vom privaten Sektor. Viele Konzerne haben aufgrund der wirtschaftlichen und finanziellen Sanktionen existenzielle Probleme.
Moskau aber kann es sich nicht leisten, große Unternehmen untergehen zu lassen. Die Jobverluste könnten die Unzufriedenheit in dem autoritär regierten Staat gefährlich anschwellen lassen. Deshalb sind milliardenschwere Subventionen unumgänglich, die sich der Staat wiederum nicht ewig leisten kann.
In der russischen Finanzkrise von 1998 hatte der Internationale Währungsfonds (IWF) dem Kernstaat der früheren Sowjetunion noch Hilfe angeboten. Heute sei damit nicht zu rechnen. Wegen des Konflikts mit dem Westen kann der Kreml darauf nicht bauen, sagen die Führungskräfte in Davos.
"Kein Chinese will privat in Russland investieren"
Sollte sich die Lage in Russland weiter verschlechtern, könnte sich die Hoffnung auf Finanzhilfen aus Peking für Moskau als trügerisch erweisen. "China wird Moskau nur zu sehr unvorteilhaften Konditionen Hilfe gewähren", sagt Browder. Und auch die Privatwirtschaft im Reich der Mitte ist seiner Meinung nach wenig geneigt, sich dort geschäftlich zu engagieren und Risiken einzugehen.
Handelsbeziehungen mit Russland
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Das Problem liegt darin, dass sich China und Russland seit dem Ende des Eisernen Vorhangs ökonomisch stark auseinanderentwickelt haben. Während das euroasiatische Riesenreich stark von Rohstoffen abhängig ist, hat sich die Volksrepublik zur Werkbank der Welt entwickelt, setzt aber mehr und mehr auch auf finanzielle Stärke und eine wachsende Finanzindustrie. Heute ist die chinesische Wirtschaft fünf Mal so groß wie die der früheren Supermacht.
"Unabhängig von staatlichen Energieunternehmen will kein Chinese privat in Russland investieren", ist Browder überzeugt. Das gelte auch umgekehrt: Die Russen wollten nicht Geld im großen Stil nach China bringen: "Ich habe in Davos keinen Geschäftsmann aus Asien getroffen, der in Russland investiert ist oder investieren würde." Allenfalls chinesische Staatskonzerne könnten sich im Ölsektor engagieren, um sich die Energie zu sichern.
Der russische Minister gibt sich arrogant
Auch von offizieller Seite gab es keinerlei partnerschaftliche Statements. Chinas Premier Li Keqiang hielt zwar die Eröffnungsrede des Weltwirtschaftsforums – dabei war es ihm aber wichtiger, über Reformen im eigenen Land zu sprechen als über Kooperationen beispielsweise mit Moskau.
Es ist schwierig, mit ihnen zu verhandeln, es braucht Zeit. Aber wir haben den festen Willen
Igor Schuwalow
Russischer Vize-Premier
Im Gegenzug ließ die russische Seite in Davos durchblicken, dass die Achse zwischen Moskau und Peking auf wirtschaftlicher Ebene nicht besonders solide ist. "Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, es wäre sehr einfach, nach China zu gehen oder sie zu Hause zu empfangen und sich mit ihnen zu einigen", sagte Igor Schuwalow, erster stellvertretender Premierminister Russlands. "Es ist schwierig, mit ihnen zu verhandeln, es braucht Zeit, Aber wir haben den festen Willen."
Überhaupt präsentierte Schuwalow das Verhältnis mit China bemerkenswert arrogant; für viele Beobachter ein Zeichen, dass es zwischen den beiden Ländern nicht wirklich passt. "Wir haben gelernt, dass es junge Milliardäre nicht nur in Moskau gibt, sondern auch in China", ließ der dritthöchste Repräsentant des Kreml die Elite in Davos wissen.
"Wir haben die nie zuvor gesehen, aber jetzt kommen diese jungen Typen, diese jungen Milliardäre, nach Moskau." Und er macht unmissverständlich klar, dass China den Westen nicht wirklich ersetzen kann. "Wir machen uns keine Illusionen."
Keine Avancen gen Westen
Doch deshalb dem Westen wieder Avancen zu machen, kommt für die Russen derzeit auch noch nicht in Frage. Denn gleichzeitig drohte Schuwalow dem Westen: "Sie müssen Putins Mentalität kennen. Er wird nie wegen Sanktionen zurückweichen."
Auch russische Wirtschaftslenker zeigten wenig Kompromissbereitschaft. Der Vorstand des Geldhauses VTB, Andrej Kostin, warnte davor, Russland vom internationalen SWIFT-Zahlungssystem abzuschneiden, das für globale Nachrichten und Transaktionen zwischen Brokern, Banken und Börsen genutzt wird.
"Wenn das passieren würde, würde sich die Situation auf einen Schlag zuspitzen. Schon am nächsten Tag hätten Russland und die USA keine Beziehungen mehr, die jeweiligen Botschafter in Washington und Moskau würden gegenseitig die Stadt verlassen. Das wäre der Beginn eines wirklich kalten Krieges."
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