Das Ende des Schwarzgeldkontos als Statussymbol
Reiche Italiener sollen rund 200 Milliarden Euro in der Schweiz versteckt haben. Für viele Betuchte war das illegale Konto quasi ein Must-have. Ein neues Abkommen läutet das Ende dieser Ära ein.
Von Tobias Bayer,Mailand
Für einen reichen Italiener ist es fast schon ein Statussymbol gewesen. Ein verstecktes Konto bei einer Schweizer Privatbank in Genf, Lugano oder Zürich kam, zynisch ausgedrückt, einem Sportwagen, einer Yacht oder einem Ferienhaus gleich. Ein Must-have.
In der Zukunft wird es für die Italiener deutlich schwieriger, das Schatzkästchen in der Eidgenossenschaft vor dem heimischen Fiskus zu verstecken. Am Montag unterzeichneten die Schweiz mit Italien ein Protokoll, das das Doppelbesteuerungsabkommen ergänzt.
Die Eidgenossenschaft verpflichtet sich darin zu einem Informationsaustausch nach internationalen Standards. Soll heißen: Wenn die italienischen Behörden einen konkreten Verdacht haben, dass jemand Steuern hinterzieht, dann hilft ihnen die Schweizer Justiz künftig weiter. Ab 2017 greift dann in der ganzen EU voraussichtlich der automatische Informationsaustausch.
Schwarzgeld in der Schweiz ist in Italien zur Zeit wieder ein großes Thema. Das ist den "Swissleaks"-Enthüllungen geschuldet. Hervé Falciani, ein ehemaliger Mitarbeiter der Genfer Privatbankfiliale der britischen Bank HSBC, ließ Dokumente mitgehen. Er gab sie an die Justiz und die Presse weiter. Deren Veröffentlichungenlösten einen weltweiten Sturm der Entrüstung aus.
Briatore will sich juristisch wehren
Auf der Falciani-Liste stehen geschätzt 10.000 Italiener. Darunter befinden sich Stars aus dem Showbusiness, Politiker und Unternehmer. Dem Wirtschaftsmagazin "Espresso" zufolge sind unter anderem der frühere Formel-1-Zampano Flavio Briatore, der Motorradfahrer Valentino Rossi und der Stilist Valentino Garavani verzeichnet.
Ganz wichtig dabei: Die Falciani-Liste ist kein Beweis dafür, dass die genannten Prominenten Steuern hinterzogen haben. Briatore kündigte an, gegen die Berichte des "Espresso" juristisch vorzugehen.
In der Präfektur Mailand setzten die Schweizer Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf und ihr italienischer Amtskollege Pier Carlo Padoan am Montag die Unterschriften unter das Vertragswerk. "Das ist ein großer Schritt nach vorn", sagte Padoan. Vor der Finanzkrise sei solch ein Resultat undenkbar gewesen. "Die Krise hat also auch etwas Gutes bewirkt", fügte er an.
Der Zorn in Italien nach "Swissleaks" ist groß. Kein Wunder: Das Land weist nach Griechenland die höchste Staatsverschuldung in der Euro-Zone auf. Die Verbindlichkeiten belaufen sich auf rund 135 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
200 Milliarden Euro im Ausland
Die Preisentwicklung in der Euro-Zone verschärft das Problem. Aufgrund der extrem niedrigen Teuerungsrate erhöht sich die reale Schuldenlast. Das erschwert es Italien, den riesigen Berg an Verbindlichkeiten abzutragen.
Ein entschlossener Kampf gegen Steuerhinterziehung könnte helfen, die Staatsfinanzen zumindest teilweise zu sanieren. Die Schattenwirtschaft machte im Jahr 2008 laut der Statistikbehörde Istat bis zu 275 Milliarden Euro aus. Nach inoffiziellen - und mit Vorsicht zu genießenden - Schätzungen sollen die Italiener rund 200 Milliarden Euro jenseits der Grenze gebunkert haben.
Falciani ist in Italien zu einem Medienstar avanciert. Er tingelt durch die Talkshows. Gemeinsam mit dem Journalisten Angelo Mincuzzi veröffentlichte er das Buch "La Cassaforte degli Evasori", der "Tresor der Steuerhinterzieher". Darin heißt es, dass die Italiener insgesamt rund 8 Milliarden Euro bei HSBC gebunkert haben.
570 Millionen Euro an Einkommen seien nicht deklariert worden. 76 Personen hätten sogar nie eine Steuererklärung vorgelegt. Das zumindest habe eine Überprüfung der italienischen Finanzpolizei Guardia di Finanza ergeben, schreiben Falciani und Mincuzzi.
Renzi lockt mit der Selbstanzeige
Das revidierte Abkommen mit der Schweiz könnte den Italienern nun dabei helfen, zumindest an einen Teil des Geldes zu kommen. Ministerpräsident Matteo Renzi lockt Steuerhinterzieher mit der Möglichkeit einer Selbstanzeige.
Die Steuerschuld muss voll beglichen werden, der Name der Person wird gegenüber den Steuerbehörden offengelegt. Im Gegenzug werden die Strafen erlassen, die administrativen Bußen verringert.
Da sich die Schweiz immer noch auf der schwarzen Liste Italiens befindet, fielen die Folgen einer Selbstanzeige für Italiener, die Gelder in der Eidgenossenschaft versteckt haben, bislang härter aus. Das revidierte Steuerabkommen sorgt nun dafür, dass die Schweiz unter der "Voluntary Disclosure" mit Ländern auf der weißen Liste gleichgestellt wird. Für Italiener mit Schwarzgeld in der Schweiz hat das beispielsweise den Vorteil, dass sie nicht mehr die Erträge der vergangenen zehn, sondern nur der vergangenen fünf Jahre offenlegen müssen.
Taten passen nicht zu den Worten
Italien kann sich nun Hoffnung auf einen Milliardenbetrag aus Schweizer Banktresoren machen. Finanzminister Padoan ist allerdings extrem vorsichtig. Bislang hat er im Haushalt als Einnahme nur 1 Euro verbucht. "Es wäre ein Wagnis, da mehr als 1 Euro zu erwarten", sagte Padoan.
Natürlich hoffe er auf Zusatzerträge in der Zukunft. Man müsse langfristig denken. "Es geht ja um eine freundlichere, effizientere Zusammenarbeit in Steuerfragen zwischen beiden Ländern."
Die italienische Politik gelobt seit Jahren, gegen Steuerhinterzieher vorzugehen. Doch die Taten passen nicht zu den Worten. Die Regierung von Ex-Premier Silvio Berlusconi baute den Steuerhinterziehern eine großzügige Brücke.
Ex-Finanzminister Giulio Tremonti gewährte ihnen in den Jahren 2001/2002, 2003 und 2009 eine Steueramnestie. Die Hinterzieher hatten die Gelegenheit, ihr nicht deklariertes Geld anonym und ungestraft nach Italien zu überweisen.
Milde mit Steuerhinterziehern im Inland
Die Steueramnestie Tremontis ließ die Enthüllungen Falcianis ins Leere laufen. Bereits am Anfang 2010 hätten die Finanzpolizei und die Staatsanwaltschaft Turin das Material von Falciani erhalten, heißt es in dem Buch "La Cassaforte degli Evasori". Mehr als 40 Staatsanwaltschaften hätten danach Ermittlungen aufgenommen.
Der "Condono" Tremontis sei der Justiz zuvorgekommen. Die Staatsanwaltschaften hätten die "weiße Fahne" gehisst, schreiben Falciani und Mincuzzi. "Die Steueramnestie hat ihre Ziel erreicht." Zu früh, wie viele Experten meinen. Fachleute schätzen, dass nach den Amnestien erst etwa ein Drittel bis die Hälfte der Schwarzgelder legalisiert ist.
Nächste Baustelle für Italien sind die Steuerhinterzieher in der Heimat. Auch hier setzt Renzi auf geringere Strafen. Wem ein Fehler bei der Steuerklärung unterläuft, der soll künftig nicht mehr so hart belangt werden. Die Idee ist, eine Art Schwelle einzuführen, ab der eine Hinterziehung geahndet wird. Renzis Kabinett arbeitet an einem entsprechenden Gesetzesvorschlag.
Bereits am Heilig Abend 2014 wurde eine Version verabschiedet. Doch weil darin einen Passus enthalten war, der Ex-Premier Berlusconi mit seinen Problemen mit dem Fiskus geholfen hätte, war das Geschrei nach Weihnachten groß. Renzi sagte "Mea Culpa" und zog den Entwurf zurück. Bald soll ein neuer präsentiert werden – wahrscheinlich ohne Rettungsklausel für Berlusconi.
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