Schuldenschnitt ist unausweichlich
Von Claude Chatelain. Aktualisiert am 26.02.2015 4 Kommentare
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Griechenland und Deutschland haben sich vordergründig geeinigt. Es fliesst weiter Geld nach Athen. Und die ungestümen neuen Minister Griechenlands haben versprochen, diese und jene Reform durchzuziehen. Damit konnten aber die Probleme höchstens hinausgeschoben, keinesfalls aber gelöst werden.
Denn von einem weiteren Schuldenerlass will Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble nichts wissen. Nun brachte gestern Griechenlands Finanzminister Giannis Varoufakis den Schuldenschnitt erneut aufs Tapet. In einem Radiointerview erklärte er, eine Umschuldung mit einer deutlichen Senkung der Schuldenlast sei eine Voraussetzung, um eines Tages an die Kapitalmärkte zurückkehren zu können. Die meisten Ökonomen teilen diese Auffassung.
Halbherziger Schuldenschnitt
Anfang Jahr schrieb die Vermögensverwaltungsfirma Flossbach von Storch im Jahresbericht: «Es ist inzwischen unstrittig, dass Griechenland ohne eine Reduzierung der Schulden- beziehungsweise Zinsenlast nicht überlebensfähig ist.» Der Schuldenschnitt vor zwei Jahren sei zu halbherzig gewesen, da er nur die privaten Gläubiger betraf. Der Blick auf die Grafik zeigt, dass der Schuldenberg nicht wesentlich abgenommen hat.
Flossbach von Storch ist nur eine von vielen. Laut Harvard-Professor Kenneth Rogoff ist auch nach zwei Rettungspaketen die Erwartung unrealistisch, «dass die griechischen Steuerzahler bald mit grossen Rückzahlungen beginnen werden – nicht bei 25 Prozent Arbeitslosenquote», erklärt der frühere Chefökonom in der «Finanz und Wirtschaft».
Rogoff wurde vor zwei Jahren einer breiten Öffentlichkeit bekannt, weil er in einer Langzeitanalyse nachzuweisen vermochte, dass das Wirtschaftswachstum stark abnimmt, wenn die Verschuldung eines Landes auf über 90 Prozent des Bruttosozialprodukts steigt. In Griechenland beträgt die Verschuldung auch nach den Schuldenerlassen satte 170 Prozent.
Erlass von zwei Dritteln
Ein beharrlicher Verfechter eines rigorosen Schuldenerlasses ist Willem Buiter, Chefökonom von Citigroup. Der Niederländer hat wiederholt bekräftigt, dass Griechenland angesichts der hohen Verpflichtungen an einem Schuldenschnitt nicht vorbeikommen wird. Heute spricht er von einem Erlass von zwei Dritteln, um die Staatsschuld von 170 auf 60 Prozent des BIP zu senken. Flossbach von Storch plädiert für eine Halbierung der Zinslast von derzeit gut vier auf zwei Prozent des griechischen BIP, was einem Schuldenschnitt von 50 Prozent gleichkäme.
Buiter kann gut reden. Sein Arbeitgeber, die Citigroup, wäre kaum betroffen. Die grössten Gläubiger Griechenlands sitzen in Deutschland, Frankreich und Italien. Dass sich insbesondere Deutschland als grösster Gläubiger gegen einen Schuldenschnitt sträubt, ist verständlich, aber auch zynisch. «Ein Grossteil der Finanzierung der griechischen Schulden stammte von deutschen und französischen Banken», sagt Rogoff. Sie hätten Kredite gewährt und damit enormen Profit gemacht. «Dieses Geld gossen sie in einen fragilen Staat, dessen Haushalt schliesslich von anderen Eurostaaten gerettet werden musste.»
Eine Rettung für die Banken
Doch gerettet wurden damals die deutschen und französischen Banken, die immer noch unter den Nachwehen der Finanzkrise litten und schwach kapitalisiert waren. Einen Verzicht auf die Rückzahlung der Schulden hätten sie nur schlecht verkraftet.
Den europäischen Banken ist vorzuwerfen, dass sie seit dem Beitritt Griechenlands in die Eurozone nie und nimmer so günstige Kredite hätten gewähren dürfen. Ohne vorteilhafte Konditionen hätte sich Griechenland gar nie so stark verschulden können.
Schliesslich müssen sich Deutschland und Frankreich den Vorwurf gefallen lassen, Griechenland in die Eurozone aufgenommen zu haben. «An ihrer Zwickmühle sind die Griechen nicht allein schuld», sagt Rogoff. Die Entscheidung der Euroländer, Griechenland 2002 in die Währungsunion aufzunehmen, sei «völlig unverantwortlich» gewesen. «Damals erfüllte Griechenland aufgrund seiner massiven Schulden und seiner relativen wirtschaftlichen und politischen Rückständigkeit viele grundlegende Konvergenzkriterien nicht.»
«Vergiss deine Hieroglyphen»
Diese Einsicht kommt spät. Wenn der ehemalige deutsche Finanzminister Theo Waigel auf seiner Vortragstournee sein Loblieb auf die Einheitswährung anstimmt, so legt er Wert auf die Feststellung, dass Griechenland erst nach seinem Ausscheiden aus der Regierung im Kreis der Euroländer Gnade fand. Waigel, der als Vater des Euro gilt, erzählte kürzlich an einem Vortrag in Zürich folgende Anekdote: 1998 soll der griechische Finanzminister verlangt haben, dass die Euronoten auch mit griechischen Buchstaben beschriftet werden müssten. Waigel wörtlich: «Vergiss deine Hieroglyphen – Griechenland wird nie in den Euroverbund aufgenommen.»
Hätte Waigel recht behalten, ginge es den Griechen heute vermutlich besser. Auch der griechische Ökonom Theodoros Paraskevopoulos war gegen den Beitritt Griechenlands in die Eurozone. Doch heute kämpft der ökonomische Berater des griechischen Linksbündnisses für den Verbleib im Währungsverbund. Im Tagesgespräch auf Radio SRF sagte er kürzlich: «Es sind zwei verschiedene Sachen, nicht einer Währungsunion beizutreten oder die Währungsunion nach zwölf Jahren zu verlassen.» Griechenland sei zu sehr mit den anderen Euroländern verwoben. «In einer Krise kann man keine Währungsänderung machen.»
Grexit wie Lehman Brothers?
Was ein Ausstieg Griechenlands für konkrete Folgen zeitigte, ist umstritten. Ein Bankensturm und ein Kollaps der griechischen Wirtschaft wären wohl kaum zu vermeiden. Von noch grösserer Bedeutung ist die Frage der Gefahr der Ansteckung anderer Krisenländer. Heute sind mehr und mehr Stimmen zu hören, wonach ein Grexit für die anderen südeuropäischen Länder keine Bedrohung mehr darstelle. Doch Kenneth Rogoff erinnert in der «Finanz und Wirtschaft» daran, dass in den USA die Politiker 2008 davon ausgegangen waren, dass der Zusammenbruch der Investmentbank Bear Stearns die Märkte auf den Bankrott eines anderen Instituts, Lehman Brothers, vorbereiten würde. «Wie das ausging, wissen wir.»(Berner Zeitung)
Erstellt: 26.02.2015, 10:04 Uhr
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