Mitten in MoskauRussischer Oppositionspolitiker Boris Nemzow erschossen
Der russische Oppositionspolitiker und frühere stellvertretende Ministerpräsident Boris Nemzow ist am Freitagabend in Moskau in der Nähe des Kremls erschossen worden. Nemzow war einer der schärfsten Kritiker von Präsident Putin und Mit-Organisator einer für Sonntag geplanten Demonstration.
27.02.2015, von FRIEDRICH SCHMIDT, MOSKAU
Boris Nemzow, einer der wichtigsten Führer der russischen Opposition, ist am Freitagabend in Moskau ermordet worden. Er wurde erschossen – auf einer Brücke über den Moskau-Fluss, in Sichtweite des Kreml und der Kuppeln der Basilius-Kathedrale. Es hieß, ein weißes Auto sei an Nemzow herangefahren.
Ein Sprecher des Ermittlungskomitees sagte, auf das Opfer sei „mindestens sieben Mal“ geschossen worden. Die Behörden bestätigten zunächst nur, dass ein Mann mit den Papieren eines Boris Jefimowitsch Nemzow gestorben sei. Der 55 Jahre alte Nemzow, Vater dreier Kinder, führte die Partei RNR-Parnass. Eines ihrer Führungsmitglieder, Ilja Jaschin, bestätigte aber sofort, dass das Opfer tatsächlich Nemzow sei. Er sagte der Agentur Ria Nowosti, er stehe auf der Brücke und „leider sehe ich Boris’ Leiche. Ich sehe die Leiche und darum herum viel Polizei.“
Alle Anzeichen eines Auftragsmordes
Alexej Wenediktow, der Chefredakteur des Radiosenders Echo Moskwy, twitterte: „Getötet einige Meter vom Kreml, in einer bewachten und von allen Seiten gefilmten Zone.“ Noch am Abend hatte Nemzow auf Echo Moskwy Bürger aufgerufen, zu dem für Sonntag geplanten „Antikrisenmarsch“ unter dem Motto „Frühling“ zu kommen. Die Opposition will am 1. März in Moskau 100.000 Menschen versammeln. Der Marsch ist nicht wie beantragt für das Zentrum, sondern den Südosten der Hauptstadt genehmigt worden. Er soll sich gegen die Wirtschaftskrise Russlands, aber auch gegen den unerklärten Krieg des Landes gegen die Ukraine wenden.
Interfax zitierte eine Quelle in den Sicherheitskräften mit der Aussage, die Ermordung Nemzows könne vor dem Marsch am 1. März „provokativen Charakter“ haben. Kurz darauf sagte auch der Sprecher von Präsident Wladimir Putin, Dmitrj Peskow, der „brutale Mord“ trage „provokativen Charakter“. Der Präsident nehme die Ermittlungen unter seine persönliche Kontrolle und spreche den Hinterbliebenen sein Beileid aus. Die Tat habe alle Anzeichen eines Auftragsmordes.
Am 10. Februar hatte Nemzow in einem Interview gesagt, er habe nicht so große Angst wie seine Mutter, dass ihn Putin umbringen lasse. „Wenn ich sehr große Angst davor hätte, würde ich keine politische Partei führen, würde ich nicht das tun, was ich tue.“
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Jewgenija Arbaz, die Chefredakteurin der oppositionsnahen „New Times“, sagte, Nemzow habe ihr gesagt, er sei wohl bisher, anders als der Oppositionspolitiker Alexej Nawalnyj, weitgehend von Haft verschont worden, weil er stellvertretender Ministerpräsident gewesen sei. 1997 und 1998 war das, noch unter Präsident Boris Jelzin. Arbaz sagte weiter, sie fühlte sich von dem Mord an die sowjetische Zeit erinnert. Nemzow habe viele Drohungen bekommen. Arbaz erinnerte auch an die vielen Bewaffneten im Donbass, die Fanatiker, die Stimmung im Land, in dem gegen vermeintliche Verräter Stimmung gemacht wird. „Alles hängt zusammen“, sagte sie. „Er hat die Kugeln bekommen, weil er einer der wichtigsten Führer der Opposition ist, daran zweifle ich nicht.“
Nemzow hatte noch vor kurzem versucht, ein Bündnis für eine „Europäische Wahl“ Russlands zu schmieden. Es sollte für wirtschaftliche und kulturelle Orientierung Russlands nach Westen, in Richtung der EU stehen. Nicht für die unter Putin forcierte Hinwendung nach China. Dmitrij Gudkow, der einzige verbliebene Oppositionspolitiker in der Duma, twitterte, er habe noch am Abend mit Nemzow telefoniert, er sei „positiv, lustig“ gewesen, „er erzählte von der Vorbereitung des Marsches“.
Nemzow, so wurde auch berichtet, wollte bald einen Bericht über „Putins Krieg“ veröffentlichen, über die Belege für russische Truppen und russisches Militärgerät in der Ostukraine. Nemzow hatte auch schon Berichte über die Korruption im Umfeld von Putin veröffentlicht, über die mehr als 20 Residenzen, die dem Präsidenten zugeschrieben werden. Und über die Milliarden, die im Rahmen der Olympischen Spiele von Sotschi - Nemzows Heimatstadt - in die Taschen von Putins Freunden flossen.
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