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Donnerstag, 1. November 2012

Hilfen für Griechenland // Nach dem Schnitt ist vor dem Schnitt


Hilfen für GriechenlandNach dem Schnitt ist vor dem Schnitt

28.10.2012 ·  Es heißt, Griechenland stehe abermals vor einer wichtigen Woche - sicher ist das nicht. Denn die Wirklichkeit hält sich einfach nicht an die Modellrechnungen der Griechenlandretter.
Von MICHAEL MARTENS, ATHEN
© REUTERSUneinigkeit darüber, wie es weitergehen soll: Die Troika-Abgesandten Anfang Oktober in Athen
Griechenland steht - wieder einmal - vor einer wichtigen Woche. Wenn es kommt, wie von Finanzminister Stournaras Ende vergangener Woche angekündigt, soll dem Parlament in Athen in dieser Woche das zwischen der großen und der kleinen Troika ausgehandelte neue Sparpaket vorgelegt werden. Neuerliche Verzögerungen sind nach den Erfahrungen der vergangenen Monate allerdings nicht auszuschließen.
Die „große Troika“ besteht aus der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank (EZB) und dem Internationalen Währungsfonds (IWF), also den drei Institutionen, die Griechenland bisher vor dem Staatsbankrott bewahrt haben. Die „kleine Troika“ ist die von Ministerpräsident Antonis Samaras und seiner Nea Dimokratia dominierte Dreiparteienkoalition, die seit Juni regiert. Eines haben große und kleine Troika gemein: In ihren Reihen herrscht Uneinigkeit darüber, wie es weitergehen soll. In der Gebertroika verlangt der IWF einen weiteren Schuldenschnitt, da sich andernfalls die Schuldentragfähigkeit Griechenlands - also die realistische Aussicht darauf, dass Athen seine Schulden tilgen kann - nicht erreichen lasse. „Osi“ lautet das Zauberwort. Es ist das englische Akronym für „official sector involvement“. Dahinter verbirgt sich die Forderung des IWF, dass nach den privaten Gläubigern nun auch die nationalen Notenbanken der Eurozone sowie die EZB einem Schuldenschnitt auf die von ihnen massenhaft erworbenen griechischen Staatsanleihen zustimmen.

„Es geht um das System“

Politisch ist das schwierig, müssten doch die Regierungschefs der betroffenen Staaten ihren Steuerzahlern erklären, dass die Rettungspolitik (noch) teurer wird. Andererseits hält sich die Wirklichkeit einfach nicht an die Modellrechnungen der Griechenlandretter, weshalb es ohne einen weiteren Schuldenschnitt, letztlich also ein drittes Hilfspaket, nicht gelingen wird, Griechenland vor dem Staatsbankrott zu bewahren. Bei der Verabschiedung des zweiten Hilfspaketes lautete der Plan, dass Griechenland bis zum Jahr 2020 ein „tragfähiges“ Staatsschuldenniveau von 120 Prozent seiner Jahreswirtschaftsleistung erreicht haben solle. Eine mehrjährige, stärker als geplant ausgefallene und noch nicht überwundene Rezession, die Verschleppung von Reformen sowie der Zeitverlust von mehreren Monaten durch den mit zwei aufeinanderfolgenden Parlamentswahlen in diesem Jahr verbundenen Entscheidungsstau in den Ministerien haben dazu beigetragen, dass dieses Ziel als unrealistisch gilt. Bliebe es bei der derzeitigen Entwicklung, betrüge Griechenlands Staatsschuldenlast im Jahr 2020 angeblich um die 150 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung.
„Es gibt eine grundsätzliche Übereinkunft, dass ein Schuldenschnitt im offiziellen Sektor früher oder später unvermeidlich sein wird. Aber zum Wann und Wie fehlt jede Übereinkunft“, sagt Wolfango Piccoli, der für die „Eurasia Group“, eine gewinnorientierte Denkfabrik und Beratungsfirma mit Sitz und New York und London, die Verhandlungen zwischen Athen und seinen Geldgebern beobachtet. Piccoli weist darauf hin, dass es für den IWF leicht sei, einen Schuldenschnitt zu fordern, da er davon nicht betroffen wäre: „Der IWF hat einen privilegierten Gläubigerstatus, er bekommt sein Geld immer vollständig zurück. Die Verluste müssten also von der EZB und den Notenbanken der Eurozonenstaaten getragen werden.“ Sollten sich die in Athen hartnäckig umlaufenden Berichte bewahrheiten, der IWF werde sich nicht an der Auszahlung der geplanten nächsten Tranche von 31,5 Milliarden Euro beteiligen, müssten die europäischen Staaten ohnehin mehr Geld bereitstellen als geplant. „Ein Schuldenschnitt wird unumgänglich sein, um die griechischen Staatsschulden auf ein tragfähiges Niveau zu bringen“, so Piccoli.
Der ehemalige griechische Wirtschaftsminister Stefanos Manos, einer der wenigen entschiedenen Reformpolitiker seines Landes, unterstützt die Forderung, die nächste Tranche auf ein Sperrkonto einzuzahlen, auf das die griechische Regierung keinen Zugriff hat. Er sagt, es sei wichtig, dass die Verwendung der Zahlungen in jedem Einzelfall überprüft werde, „denn der Staat könnte das Geld für Anderes ausgeben. Ich habe keinerlei Vertrauen in den griechischen Staatsapparat. Nicht das geringste“, sagt Manos. Er wolle nichts gegen die jetzige Regierung oder einzelne Minister gesagt haben, hebt Manos hervor. „Es geht um das System.“ Er, Manos, „würde den Griechen nicht erlauben, das Geld anzurühren“. Es gehe darum, die Griechen „vor sich selbst“, also vor ihrem Staatsapparat, zu schützen, sagt Manos, der zu Beginn der neunziger Jahre als Wirtschaftsminister in der Regierung Mitsotakis gegen große Widerstände wichtige Reformen anstieß. Die Regierung Mitsotakis wurde dann jedoch von Antonis Samaras, damals Außenminister, gestürzt.

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