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Sonntag, 2. Dezember 2012

ein Haftungsrisiko für Deutschland in Höhe von 509 Milliarden Euro. Pro Einwohner wären das 6200 Euro - für eine vierköpfige Familie 24.800 Euro


Europas SchuldenWer zahlt für die Krise?

 ·  Wie teuer es am Ende wirklich wird für Deutschland, ist zwar noch nicht auf Euro und Cent geklärt. Doch wer zahlt, das ist bekannt und erschreckend: Wir alle. Sparer, Steuerzahler und Banken kämpfen nur noch um die Aufteilung der Lasten.
© ILLUSTRATION BENGT FOSSHAGNoch glauben wir, dass wir unser Geld sicher haben ...
Es ist amtlich: Die Staatsschuldenkrise kostet Deutschland richtig Geld. Bislang hatten die Politiker sich gern damit herausgeredet, Deutschland übernehme nur Garantien, die nie in Anspruch genommen würden, und vergebe Hilfskredite, die am Ende mit Zins und Zinseszins zurückgezahlt würden. Seit der Bundestag am vergangenen Freitag aber das neue Griechen-Hilfspaket abgesegnet hat, bleibt Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble nichts anderes übrig, als Mindereinnahmen und Mehrausgaben in Höhe von 730 Millionen Euro in den Bundeshaushalt allein für 2013 einzuplanen.
Damit wird eine Frage dringlich, um die Politiker sich bislang gern herumgedrückt haben: Wer soll am Ende die Lasten der Staatsschuldenkrise tragen? Wie teuer es am Ende wirklich wird für Deutschland, ist zwar noch nicht auf Euro und Cent geklärt. Doch die Frage, wer dafür aufkommen muss, wird schon jetzt entschieden: Schließlich sind viele aktuelle Konflikte um die Euro-Rettung - oft Nord gegen Süd - nichts anderes als Verteilungskonflikte um die künftigen Krisenlasten.

Die Arbeitslosen in Spanien und Griechenland leiden schon jetzt

Der Kreis der Leute, die für die Krise zahlen könnten, ist schnell eingegrenzt. Im Augenblick tragen die meisten Lasten die Länder in Südeuropa: die Arbeitslosen in Spanien und die Menschen in Griechenland, deren Löhne und Sozialleistungen gekürzt werden. „Das sind im Moment die Leidtragenden“, sagt Peter Bofinger, einer der deutschen Wirtschaftsweisen. Doch auch die Deutschen werden voraussichtlich Lasten tragen müssen. Und zwar in unterschiedlichen Rollen: als Steuerzahler, Gläubiger der Krisenstaaten und - nicht zuletzt - als Sparer und Besitzer von Geldvermögen. Die Lastenverteilung innerhalb dieser Zahler-Trias ist derzeit noch heiß umkämpft.

Die Gläubiger der Staaten kommen mit blauem Auge davon

Zumindest die Banken und Versicherungen haben ihre Lobbyarbeit offenbar gut erledigt. Schon in der Bankenkrise gab es die unbefriedigende Erfahrung, dass die Gläubiger der Banken weitgehend geschont wurden, während die Steuerzahler für die Verluste der Banken aufkommen mussten. Nicht viel anders ist das jetzt, in der Staatsschuldenkrise. Eigentlich sollte es im System der Kreditvergabe so sein, dass derjenige, der einem anderen Geld leiht und dafür Zinsen nimmt, die Last tragen muss, wenn sein Kreditnehmer pleitegeht.
Sowohl in der Bankenkrise als auch in der Staatsschuldenkrise aber haben die Gläubiger - das waren vor allem Banken, Versicherungen und Fonds - die Politiker davon überzeugen können, dass das Risiko, sie pleitegehen zu lassen, zu hoch sei. Sie argumentierten vor allem mit der Gefahr, dass es zu Ansteckungeffekten und Kettenreaktionen kommt - und eine Finanzkrise „schlimmer als nach Lehman“ Europa heimsucht. Das wollte keiner riskieren.
Die Folge: Nur einmal, beim ersten Schuldenschnitt für Griechenland, wurden den privaten Gläubigern größere Lasten auferlegt. Wie viel dabei herausgekommen ist, ist umstritten. Der Bankenverband spricht offiziell von 107 Milliarden Euro, das Ifo-Institut in München von 66 Milliarden Euro, und die Allianz sogar nur von 25,5 Milliarden Euro.
„Eine Gläubigerbeteiligung ist auch nach den Regeln des ESM nicht vorgesehen“, sagt Oliver Holtemöller, Wirtschaftsprofessor vom Institut für Wirtschaftsforschung in Halle. „Man kann also insgesamt sagen, dass die Kosten der Krise überwiegend dem Steuerzahler aufgebürdet werden.“

Die Steuerzahler tragen den Großteil der Lasten der Zukunft

Die Last, die aus den Rettungspaketen für den deutschen Staat erwächst, dürfte also vom Steuerzahler übernommen werden. Wie viel auf jeden einzelnen zukommen könnte, hat der Bund der Steuerzahler einmal überschlagen. Die Rechnung ist allerdings vage, weil niemand weiß, wie viel Hilfskredite die Krisenländer in Zukunft in Anspruch nehmen - und ob und wie viel sie zurückzahlen werden.
Wenn die bestehenden Hilfsfonds ausgeschöpft würden, das Geld nicht zurückkommt, aber kein Land aus dem Euro austritt, kommt der Steuerzahlerbund auf ein Haftungsrisiko für Deutschland in Höhe von 509 Milliarden Euro. Pro Einwohner wären das 6200 Euro - für eine vierköpfige Familie 24.800 Euro, der Gegenwert eines Mittelklassewagens. Das Geld muss im Augenblick noch niemand zahlen. Aber es ist das, was der Staat auf die eine oder anderen Art vom Steuerzahler einsammeln könnte, wenn es ungünstig läuft.
Das Bundesfinanzministerium hält dem entgegen, es seien bei weitem noch nicht alle Mittel der Hilfsfonds bewilligt und ausgezahlt. Deutschland hafte bislang nur für 55,4 Milliarden Euro aus dem Rettungsfonds. Hinzu kämen 15,17 Milliarden Euro aus bilateralen Krediten. Hat der Minister recht, dann wäre es also deutlich weniger, was man als Steuerzahler schon mal vorsorglich beiseitelegen muss, um später die Lasten der Krise zu tragen.
Allerdings könnten die Beträge auch deutlich höher ausfallen, wenn man in Betracht zieht, dass nicht alle Deutschen in der Lage sein werden, eine solche Last zu stemmen - und man den Anteil etwa der Hartz-IV-Empfänger den Beziehern höherer Einkommen zuschlagen müsste.
Auf ein noch höheres Risiko für den Steuerzahler kommt Hans-Werner Sinn, der Chef des Münchener Ifo-Instituts. Er verweist auf das Target-System, ein Verrechnungssystem im Euroraum. Aus ihm können hohe Risiken für Deutschland für den Fall entstehen, dass ein Land aus dem Euro austreten oder der Euro insgesamt zerfallen sollte - was ja auch noch nicht ganz ausgeschlossen ist. „Deutschland wird einen erheblichen Teil seines Nettoauslandsvermögens verlieren“, meint Sinn. „Das Euro-Experiment ist für alle Beteiligten gründlich schiefgegangen. Die Lasten tragen viele.“

Die Sparer werden später geschröpft

Nicht nur in ihrer Rolle als Steuerzahler könnten die Deutschen zur Kasse gebeten werden - auch als Besitzer von Anleihen, Sparguthaben und Bargeld. „Wenn die Anleihenkäufe der Europäischen Zentralbank mittelfristig den inflationären Druck erhöhen - dafür gibt es momentan allerdings noch keine Anzeichen -, könnten Lasten der Krise auch in höherer Inflation bestehen“, sagt Ferdinand Fichtner, Ökonom am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Inflation bedeute dabei „Umverteilung von Gläubigern zu Schuldnern“: Menschen mit Geldvermögen werden belastet, Menschen mit Schulden werden entlastet.
Davon kann auch der verschuldete Staat profitieren. „Financial Repression“ nennen Ökonomen diesen Weg der staatlichen Finanzsanierung. Und es wäre nicht das erste Mal, dass ein Staat sich auf diese Weise eines Teils seiner Staatsschulden entledigt. In kleinerem Stil gibt es das schon jetzt - weil die Sparzinsen durch die „geldpolitischen Maßnahmen gesenkt wurden“, wie Clemens Fuest es formuliert, Ökonom in Oxford. Sparer bekommen Zinsen, die unter der Inflationsrate liegen. Sie verlieren dadurch Geld. Alle Schuldner - auch der Staat - können sich so entlasten.
Je mehr von den Krisenlasten die Deutschen dabei in ihrer Rolle als Sparer tragen, desto weniger kommt auf sie als Steuerzahler zu. Schon jetzt hat deshalb ein regelrechter Verteilungskampf eingesetzt - auch zwischen Geldpolitik und Fiskalpolitik: Je mehr sich die Notenbank in der Krise an Rettungslasten aufnötigen lässt, desto größer ist die Gefahr, dass am Ende die Sparer über höhere Inflation dafür zahlen müssen. Je mehr es hingegen der Notenbank gelingt, die Staaten des Euroraums für die Rettungsaktionen zahlen zu lassen, desto mehr Last landet am Ende bei den Steuerzahlern der EU.

Die Politik hat’s in der Hand, wer wie viel zahlt

Schwer abzuschätzen ist, wie sich die Politiker verhalten, wenn Kredite ausfallen, für die Deutschland zahlen muss. Werden sie die Ausgaben kürzen? Und wenn ja, welche? Oder doch eher die Steuern erhöhen? Und wenn ja, für wen?
DIW-Ökonom Fichtner nennt zumindest einige Plausibilitäten, an denen man sich orientieren kann. „Kurzfristig dürfte die Politik die zusätzlichen Belastungen des Staatshaushalts über eine höhere Staatsverschuldung in Deutschland ausgleichen“, meint er. Wie weit das möglich ist, ohne dass Deutschland selbst in eine Schieflage gerät, darüber gibt es schon jetzt Diskussionen. Allzu schnell dürfte die Belastungsgrenze nicht erreicht sein, genießt Deutschland doch den Vorteil, dass Anleger dem Land in der Krise relativ gern Geld leihen, weil es ihnen sicherer erscheint als viele andere Länder.
Der amerikanische Ökonom Kenneth Rogoff erzählt dazu gern eine kleine Geschichte, um diesen Zusammenhang zu verdeutlichen: Zwei Männer werden nach einem Flugzeugabsturz von einem Löwen attackiert. Als der eine Mann beginnt, seine Turnschuhe anzuziehen, fragt der andere, warum er das tue. „Ich mach mich fertig, um wegzurennen.“ „Aber du kannst nicht schneller laufen als ein Löwe.“ Darauf der erste: „Ich muss nicht schneller laufen als der Löwe - nur schneller als du.“

„Langfristig wird die Politik eher die Steuern erhöhen“

Aber wie lange kann man sich auf diesen Effekt verlassen? Immerhin gab es am Freitag einen Warnschuss: Die Ratingagentur Moody’s senkte das Rating für die Euro-Rettungsschirme von „Aaa“ um eine Stufe auf „Aa1“, ein Zeichen, dass auch die Kreditwürdigkeit der Retter nicht sakrosankt ist und mittlerweile unter dem Retten leidet.
„Langfristig wird die Politik eher die Steuern erhöhen, als die Ausgaben zu kürzen“, meint Ökonom Fichtner. Das hängt mit dem Kalkül von Politikern zusammen. Wenn man Ausgaben kürzt, verärgert man immer eine bestimmte Klientel. Politiker, die versuchen sollten, die Renten zu kürzen, müssten das genauso erleben wie andere, die die Subventionen für bestimmte Branchen und Berufsgruppen abschaffen wollten. Ausgabenkürzen bedeutet für Politiker immer eine Einschränkung der Möglichkeit, Wohltaten zu vergeben - und das versuchen sie zu vermeiden.
Wie findig Politiker dabei sein können, neue Einnahmequellen zu erfinden, zeigen zur Zeit die klammen Kommunen. Der Steuerzahlerbund mokiert sich über Entdeckungen der Solariumsteuer (Essen) über die Handymasten-Steuer (Remscheid) bis hin zur Pferdesteuer im kleinen Örtchen Lauterbach in Nordhessen.
„Wenn es der Politik gelingt, die zusätzliche Belastung aus der Griechenland-Rettung als außerordentliches Phänomen darzustellen, wäre eine einmalige Abgabe denkbar“, meint Fichtner. Das Vorbild des Lastenausgleichs nach dem Zweiten Weltkrieg, bei dem Vermögen, insbesondere Immobilien, einmalig besteuert wurden, wird in diesem Zusammenhang öfter erwähnt.
Alternativ könnten Einkommen- oder Mehrwertsteuer erhöht werden: „Je nach Ausgestaltung könnte die Einkommensteuer die Reicheren stärker belasten, die Mehrwertsteuer würde die einkommensschwächeren Bevölkerungsteile überproportional belasten, da diese einen größeren Teil ihres Einkommens für den Konsum verwenden“, sagt Fichtner. Diese Abwägung wäre eine politische Entscheidung.

Auch die Mieter tragen einen Teil der Krisenlasten

Es gibt auch noch viele, die gleichsam durch Nebeneffekte betroffen sind. „Der Wert bestehender Aktiva wurde massiv in die Höhe getrieben“, sagt Clemens Fuest, Ökonom in Oxford.
Was er damit meint: Die Immobilienpreise sind vielerorts in Deutschland enorm gestiegen, weil die Menschen ihr Geld in Sicherheit bringen wollen. Lasten der Krise muss deshalb auch tragen, wer ein Haus kauft oder etwas in begehrter Lage zum Mieten sucht. Besonders stark merkt man das in Großstädten wie Hamburg, München oder Frankfurt, aber auch in Mittelstädten wie Fürth, Ulm, Siegen oder Ingolstadt, die aufholen.
Wer in diesen Städten eine Mietwohnung sucht, muss mehr Geld auf den Tisch legen und zahlt damit - indirekt - auch für die Krise. Und wenn Eigentumswohnungen in begehrten Städten und Stadtteilen verkauft werden, kommt es oft zu regelrechten Bietergefechten, wie Immobilienmakler berichten. An denen beteiligen sich auch vermögende Griechen, Spanier und Italiener, die ihr Geld sicherheitshalber außer Landes bringen wollen.

Die Reichen in den Krisenländern kommen ungeschoren davon

Eine Bevölkerungsgruppe, die im Prinzip auch stärker an den Lasten der Krise beteiligt werden könnte, kommt offenbar wie die Staaten-Gläubiger mit einem blauen Auge davon. Das sind die reichen Teile der Bevölkerung in den Krisenländern. Nach wie vor funktioniert beispielsweise in Griechenland die Besteuerung der Reichen nicht richtig, wie alle Untersuchungsberichte übereinstimmend attestieren. Zum Teil ist das Geld der Vermögenden auch längst im Ausland und steigert etwa in London die Preise für Wohnungen.
„Wir hatten in Deutschland unter Helmut Kohl einen Spitzensteuersatz von 56 Prozent“, sagt der Wirtschaftsweise Peter Bofinger. „Ich sehe noch keinen Krisenstaat, wo die Gutverdienenden vergleichbar besteuert werden.“

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