UkraineMilitär nur zu Nadelstichen fähig
02.03.2014 · Eine Million Reservisten ruft Kiew zu den Waffen. Ebenbürtig sind die ukrainischen Streitkräfte den russischen damit nicht. Aber sie könnten den Zugang zur Krim blockieren.
Von LORENZ HEMICKER
Die Ukraine macht mobil. Nachdem am Freitag bereits die Führung in Kiew die Streitkräfte in Alarmbereitschaft versetzt hatte, ordnete Sicherheitschef Andrij Parublij am Sonntag an, alle Reservisten des Landes einzuberufen. Das sind eine Million Männer, die zu den 130.000 aktiven Soldaten und rund 85.000 paramilitärischen Kräften stoßen, die das Londoner Internationale Institute of Strategic Studies in seinem Jahrbuch 2013 für das Land verzeichnet. Eine gewaltige Zahl sicher, aber was dieses Millionenheer im Kriegsfall zu leisten im Stande wäre, steht auf einem anderen Blatt geschrieben.
Denn eigentlich sollten die ukrainischen Streitkräfte heute eine moderne Armee sein. Doch schon im Weißbuch des Landes aus dem Jahr 2010 musste das Verteidigungsministerium eingestehen, dass die ambitionierten Pläne durch Unterfinanzierung behindert werden. Dabei müssten zahlreiche vor sich hin alternde Systeme aus der Sowjetzeit modernisiert werden.
Das Rückgrat der ukrainischen Streitkräfte bildet das Heer. Große Teile sind veraltet. Der Bestand an Kampfpanzern, einem Schlüssel-Waffensystem der Teilstreitkraft im Falle eines symmetrischen Konflikts, besteht zu überwiegenden Teilen aus dem fünfzig Jahre alten Sowjetpanzer T-64. 1.100 von ihnen zählte das Londoner International Institute for Strategic Studies 2013 in den Beständen der ukrainischen Armee. Hinzu kommt ein knappes Dutzend moderner T-84-Panzer. In gelagerten Beständen finden sich noch einmal knapp Tausend weitere Panzer der Modelle T-55, T-64, T-72 und T-80. Eine Vielzahl der Soldaten sind Kriegsveteranen. Im Irakkrieg 2003 stellte die Ukraine an der Seite der von Amerika geführten Koalition der Willigen die viertstärkste Fraktion und entsandte ein 1650 Mann starkes Kontingent ins Zweistromland, inklusive Schützenpanzern und weiterem militärischen Gerät.
Das Rückgrat der Luftwaffe bilden 126 MiG-29 Kampfflugzeuge, die nach wie vor als ein sehr gutes Kampfflugzeug gilt. Hinzu kommen eine Reihe weiterer vormals sowjetischer Modelle (Su-24, Su-27 und Mi24). Insgesamt wird die Zahl einsatzbereiter Kampfflugzeuge von International Institute of Strategic Studies auf 211 geschätzt. Ihren Piloten ist es prinzipiell zuzutrauen, für einen gewissen Zeitraum örtlich begrenzt Luftüberlegenheit zu erlangen. Die Marine dürfte indes gelähmt sein. Das Gros ihrer rund 40 Schiffe umfassenden und nicht sehr nennenswerten Seestreitkräfte liegt mutmaßlich auf der Halbinsel Krim, direkt neben der russischen Schwarzmeerflotte. Ihr Einsatz wäre wohl ein Opfergang.
Auf dem Papier ist die numerische und auch qualitative Überlegenheit der russischen Streitkräfte unverkennbar. Einer Invasion Russlands könnten die ukrainischen Streitkräfte auf sich allein gestellt vermutlich nicht lange widerstehen, zumal nicht davon auszugehen ist, dass sämtliche Soldaten sich loyal zur proeuropäischen Regierung in Kiew verhalten. Sollte Russland indes nur stillhalten oder begrenzte Operationen vollziehen wollen, könnten die Ukrainer durchaus in der Lage dazu sein, taktische Erfolge zu erzielen.
Hierzu könnte etwa die Sperrung der Krim im Norden zählen. Das Terrain ist von zahlreichen Buchten durchzogen. Die Möglichkeiten, sie zu verlassen oder zu betreten, sind für größere militärische Verbände eng begrenzt. Russland wäre darauf angewiesen, seine Truppen auf der Halbinsel Krim kostspielig durch die Luft und über die im Osten der Halbinsel gelegene Seestraße von Kertsch sicherzustellen. Umgekehrt gilt indes dasselbe. Ein Eindringen, geschweige denn eine Rückeroberung der Krim, ist für Kiew wohl unmöglich.
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