Fragen und AntwortenWas wird jetzt aus Griechenland?
Stellt der Linkspopulist Alexis Tsipras nach der griechischen Parlamentswahl die Eurozone auf den Kopf? Drohen Grexit, Schuldenschnitt und politisches Chaos? Wir beantworten die wichtigsten Fragen zur Griechenland-Wahl.
23.01.2015, von WERNER MUSSLER, BRÜSSEL
Bis vor einigen Wochen schien in Griechenland das Schlimmste ausgestanden zu sein. Beginnt jetzt alles wieder von vorn?
Tatsächlich sah es im Herbst noch so aus, als könne das laufende internationale Hilfsprogramm für Athen zum Jahreswechsel halbwegs manierlich abgeschlossen werden: Griechenland hat einen Primärüberschuss erzielt, die ursprünglichen Probleme der Schuldentragfähigkeit wurden auf die lange Bank geschoben, weil das Land auf die gewährten Kredite nur ganz geringe Zinsen zahlen muss und sich mit der Rückzahlung sehr viel Zeit lassen kann. Eine vorsorgliche Kreditlinie schien als Anschlussprogramm auszureichen. Die Regierung des amtierenden Ministerpräsidenten Antonis Samaras hat es im Herbst aber versäumt, die noch offenen Reformauflagen des Programms zu verwirklichen. Danach hat Samaras vorgezogene Parlamentswahlen heraufbeschworen, die ihm nun wahrscheinlich eine Niederlage bescheren.
Die linkspopulistische Oppositionspartei vermittelt nun den Eindruck, sie könne bei einem Wahlsieg die Auflagen der Gläubiger-Troika beiseite wischen und wirtschaftspolitisch alles anders machen. Syriza-Chef Alexis Tsipras will ein Ausgabenprogramm auflegen, die von der jetzigen Regierung durchgesetzten Reformen zurückdrehen, den öffentlichen Dienst wieder aufblähen und überhaupt den Sparkurs aufgeben. Was er gegenüber den Kreditgebern vorhat, wird indes immer undeutlicher, je länger der Wahlkampf dauert. Davon, die Vereinbarungen mit der Troika einseitig aufzukündigen, redet Tsipras jedenfalls nicht mehr, und auch seine Forderungen nach einem Schuldenschnitt sind nicht mehr so eindeutig zu hören.
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Nach der Wahl wird insofern nicht alles von vorne beginnen. Die Auflagen des bis Ende Februar laufenden Programms lösen sich nicht in Luft auf, und die Troika wird sie nicht einfach aufgeben. Allerdings wird jeder Wahlsieger von der Troika fordern, nicht mehr so genau hinzuschauen – und auf alle Fälle wird die griechische Regierung mit den Kreditgebern über das Anschlussprogramm verhandeln müssen – sonst droht dem Land mindestens mittelfristig abermals die Zahlungsunfähigkeit.
Wie wahrscheinlich ist ein „Grexit“?
Er ist kurz- bis mittelfristig so gut wie ausgeschlossen – aus dem simplen Grund, dass niemand, der etwas zu sagen hätte, einen solchen Austritt aus der Währungsunion für sinnvoll hält. In Griechenland fordert ihn auch Tsipras nicht. Und dass ihn die Bundesregierung akzeptieren könnte, war nie mehr als ein unglaubwürdiges Gerücht. Mag sein, dass ein Grexit ökonomisch nicht mehr so riskant ist wie vor ein paar Jahren, weil die Ansteckungsgefahren geringer geworden sind. Erhebliche ökonomische Kosten für Deutschland hätte der Austritt dennoch. Die bisher an Athen vergebenen Kredite wären definitiv verloren; hinzu kämen die nicht mehr einbringbaren Target-Forderungen der Bundesbank an die griechische Notenbank. Schon allein diese beiden Posten schlügen mit einem ziemlich hohen zweistelligen Milliardenbetrag zu Buche, der einen Grexit für alle Geberstaaten – und für Deutschland besonders – politisch hochriskant und unverantwortlich machte.
Hinzu kämen genuin politische Kosten: Ein Euro-Austritt Griechenlands gäbe Parteien wie dem französischen Front National Auftrieb, die im Abschied von der Einheitswährung (und letztlich der EU) die Lösung für die ökonomischen Schwierigkeiten ihres Landes sähen.
Hinzu kämen genuin politische Kosten: Ein Euro-Austritt Griechenlands gäbe Parteien wie dem französischen Front National Auftrieb, die im Abschied von der Einheitswährung (und letztlich der EU) die Lösung für die ökonomischen Schwierigkeiten ihres Landes sähen.
Ist ein Schuldenschnitt zu erwarten?
Nein, jedenfalls nicht im klassischen Sinne. Der griechische Staat steht heute vor allem bei öffentlichen Gläubigern in der Schuld, mehrheitlich bei den Eurostaaten. Für diese ginge ein Schuldenschnitt mit einem Anstieg des Staatsdefizits einher, das weder ökonomisch noch politisch zu verkraften wäre. Es ist deshalb undenkbar, dass sie ihre Forderungen von einem auf den anderen Moment abschreiben. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat das immer wieder ausgeschlossen. Der finnische Ministerpräsident Alexander Stubb, dem im März Wahlen bevorstehen, hält einen Forderungsverzicht für „politisch und ökonomisch schlicht unmöglich“.
Hinzu kommt: Tsipras‘ Behauptung, die hohe Staatsschuld von fast 180 Prozent der Wirtschaftsleistung „erdrücke“ die griechische Wirtschaft, stimmt zumindest kurzfristig gar nicht. Ökonomisch ist das Land auf einen Schuldenschnitt nicht angewiesen. Die Kredite des Euro-Krisenfonds EFSF haben mittlerweile eine durchschnittliche Laufzeit von 32 Jahren. Das bedeutet: Griechenland hat kurz- bis mittelfristig Zeit zum Atmen bekommen. In der ökonomischen Wirkung kommen die Laufzeitverlängerung und die Zinssenkungen schon einem Schuldenschnitt gleich. Gemessen an ihrem Nettokapitalwert sind 40 Prozent der EFSF-Forderungen schon abgeschrieben.
Auch politisch spricht alles gegen einen klassischen Schuldenschnitt. Die Eurogruppe will unbedingt einen Präzedenzfall vermeiden, der Nachlassforderungen aus anderen Ländern heraufbeschwören würde.
Tsipras vermittelt den Eindruck, er könne das „Troika-Diktat“ beenden. Zurecht?
Das hängt von der Erpressbarkeit der Eurogruppe ab. Diese lässt bisher keine Nachgiebigkeit erkennen. Sie verweist auf bestehende Vereinbarungen und gibt zu verstehen, dass Griechenland kein Geld mehr bekommt, wenn Athen einseitig Vereinbarungen aufkündigt. In Brüssel heißt es, zur Not werde das bis Ende Februar verlängerte Programm eben auslaufen – und Athen müsse dann sehen, wo es bleibe.
Freilich ist offen, ob diese Linie durchgehalten wird. Jede neue Regierung, egal wie sie aussieht, wird in Brüssel auf Entgegenkommen pochen – und wird dabei nicht so schnell einlenken. In der Eurogruppe wird befürchtet, dass es ziemlich lange dauern könnte, bis in Athen wieder handlungsfähige und rationale Verhandlungspartner zur Verfügung stehen.
Wie geht es in der EU nach der Wahl weiter?
Am Montag trifft sich die Eurogruppe zu ihrem turnusgemäßen ersten Treffen in diesem Jahr – dass der Termin einen Tag nach der griechischen Wahl stattfindet, ist Zufall. Mehr als einen Meinungsaustausch werden die Euro-Finanzminister nicht zu Stande bringen. Ein griechischer Minister wird voraussichtlich nicht anwesend sein. Solange in Athen keine Regierung gebildet ist, sind auch die Euro-Staaten zum Nichtstun verdammt. Brüsseler Beobachter erwarten, dass es auch danach nicht zu schnellen Entscheidungen kommen wird: Bis die griechische Seite sich auf eine Verhandlungsposition einigt, wird Zeit vergehen. Die größte Gefahr bestehe in der damit verknüpften Unsicherheit, meint ein hoher EU-Beamter: Vorerst behielten die Finanzmärkte wohl die Geduld mit beiden Seiten. Aber die sei irgendwann aufgebraucht.
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