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Donnerstag, 1. Januar 2015

In einem Kommentar im „Spiegel“ (Onlineausgabe) heißt es, SYRIZA habe zwar „in weiten Teilen“ ein „wirtschaftliches Selbstmordprogramm“, Griechenland brauche aber „tatsächlich einen weiteren Schuldenschnitt“. 2012 hätte man dem Land alle Verbindlichkeiten erlassen müssen, den Fehler müsse man nun korrigieren.

Lehren aus der Griechenland-Krise?

Griechenlands Regierungschef Antonis Samaras hat am Montag die Debatte voll entzündet: Bei der Parlamentswahl am 25. Jänner gehe es um den „Verbleib Griechenlands in Europa“. Es ist dieselbe Rhetorik, die er schon bei der Wahl 2012 benutzte: Nur die Sparpolitik könne größeren Schaden für das Land und den gesamten Kontinent vermeiden. Doch mittlerweile hat sich die Wirtschaftslage geändert - und nicht nur in Griechenland wird überhartes Sparen infrage gestellt.
Von Samaras, aber auch in Deutschland, Brüssel und im Tenor der Pressestimmen wird das Schreckgespenst einer Pleite Griechenlands wieder strapaziert - und das Gespenst hat einen Namen: Alexis Tsipras, Chef des Linksbündnisses SYRIZA, dessen Vorsprung in Umfragen zwar zuletzt leicht schmolz, das aber immer noch die besten Karten für die Wahl hat. Die Forderung nach einem Ende der Austeritätspolitik und einem Schuldenschnitt löst nun eine neue Debatte zur Krisenbewältigung aus. Dabei stellt sich die Frage eines ökonomischen Schulenstreits, also ob eine keynesianische Politik, die im Wesentlichen Investitionen auf Pump zulässt, dem nun jahrelang herrschenden Primat des Sparens etwas entgegenzusetzen hat.

Griechenland in Trümmern

Denn einerseits zeitigt der von der Troika aus EU, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) auferlegte Sparzwang langsam Erfolge bei einigen Wirtschaftsdaten, andererseits sieht die Bilanz gesamt gesehen verheerend aus: Die Wirtschaftsleistung des Landes fiel um ein Viertel, die Arbeitslosigkeit liegt bei rund 27 Prozent, die Reallöhne schrumpften um 30 Prozent, genauso die Industrieproduktion. Die sozialen Folgen sind unübersehbar: Das Gesundheitssystem kollabiert, extreme Armut und Obdachlosigkeit nehmen zu. Genau das treibt viele Wähler in die Arme von SYRIZA.

Sozialprogramme sollen Nachfrage ankurbeln

Im Herbst beschloss die Partei ihr Programm. Steuersenkungen und höhere Mindestlöhne stehen dabei auf der Agenda, genauso wie allen Griechen gratis medizinische Versorgung zu ermöglichen. SYRIZA will einen Krediterlass für überschuldete Haushalte und Lebensmittelmarken für 300.000 der ärmsten Familien. Zudem sollen 300.000 neue Stellen im öffentlichen und privaten Sektor geschaffen werden.
Gegenfinanzieren will man das vor allem mit Reichensteuern und der Verfolgung von Steuersündern. Zudem sollen die Hilfen an die Bürger den Konsum und damit die Inlandsnachfrage ankurbeln. Das reiche aber sicher nicht aus und sei illusorisch, meinen Kritiker. Mehr Geld in der Börse würde eher die Importe nach Griechenland beflügeln, dabei müsse das Land eher auf Exporte setzen, sagte der Wirtschaftsprofessor Giorgos Pagoulatos in der BBC.
Vor allem aber die wirtschaftspolitischen Maßnahmen lassen in der EU die Alarmglocken klingelt: SYRIZA plant die meisten Gesetze der Sparpolitik inklusive der Privatisierungen rückgängig zu machen. Herzstück der neuen Politik soll ein Schuldenschnitt sein: Griechenland soll seine Schulden nicht mehr zahlen.

Schuldenschnitt als „Versäumnis“

In einem Kommentar im „Spiegel“ (Onlineausgabe) heißt es, SYRIZA habe zwar „in weiten Teilen“ ein „wirtschaftliches Selbstmordprogramm“, Griechenland brauche aber „tatsächlich einen weiteren Schuldenschnitt“. 2012 hätte man dem Land alle Verbindlichkeiten erlassen müssen, den Fehler müsse man nun korrigieren. Das hätte noch einen weiteren positiven Effekt: „Die Griechen könnten und müssten ihr wirtschaftspolitisches Schicksal endlich selbst in die Hand nehmen.“

Gar nicht so radikal?

Der Wirtschaftsprofessor Costas Lapavitsas geht im britischen „Guardian“ noch einen Schritt weiter: SYRIZA plane überhaupt nichts Radikales oder gar Revolutionäres, das Programm sei eigentlich gemäßigt und könne sogar für andere EU-Länder ein Vorbild sein. Auch habe SYRIZA sich sowohl zur EU als auch zum Euro bekannt, wird in dem Kommentar festgehalten.
Als Hauptgegner eines griechischen Richtungswechsels sieht Lapavitsas - und das ist wohl eine klassisch britische Sicht - die deutschen Wirtschaftsinteressen, insbesondere die der Banken. Auch die Kritik ist nicht neu: Immer wieder, zuletzt 2013, hieß es, dass mehr als drei Viertel der Hilfsgelder in den Kassen von Banken und reichen Kapitalanlegern gelandet seien und nicht in Investitionen, die die Wirtschaft ankurbeln.

Selbst IWF gestand Fehler ein

2013 zog auch der IWF eine kritische Zwischenbilanz zur Ersthilfe von 2010 und gestand eigene Fehler ein. „Das Vertrauen der Märkte wurde nicht wiederhergestellt (...), und die Wirtschaft war einer viel tieferen Rezession ausgesetzt als erwartet - mit einer entsprechend außerordentlich hohen Arbeitslosigkeit“, hieß es in einem IWF-Papier. Außerdem sei zu wenig getan worden, um Wachstum in der griechischen Wirtschaft anzukurbeln. Die EU wies die Selbstkritik damals erbost zurück.
Doch mittlerweile ist die Front des Sparzwanges gebröckelt. Die Angst vor einer „Ansteckung“ anderer Länder und einem Dominoeffekt scheint einigermaßen gebannt. Vor allem in Frankreich wehrte man sich zuletzt deutlich gegen die Vorgaben, was auch das Verhältnis zu Deutschland trübte.

Politische Radikalisierung als Nebeneffekt

Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman schrieb bereits Mitte Dezember in seiner Kolumne für die „New York Times“, dass Europa angesichts der heraufdämmernden neuen Griechenland-Krise seine Lektionen lernen müsse. Die Staatsausgaben radikal zu kappen sei in einer Rezession einfach eine schlechte Idee.
Krugman verwies aber vor allem auf die politischen Auswirkungen der Politik - und das in ganz Europa: In Frankreich sei die rechtsradikale Front National auf dem Vormarsch, in Großbritannien die EU-feindliche UKIP und in Italien die Lega Nord und Beppe Grillos populistische Fünf-Sterne-Bewegung. Im Vergleich zu diesen Parteien sei SYRIZA harmlos.

Falsche Moralisierung der Debatte?

Auch ein Kommentar der „Financial Times“ verweist auf den Aufstieg rechtspopulistischer Parteien als Folge der europäischen Sparpolitik - und sieht dabei eine „Moralisierung“ der Wirtschaftspolitik: Vor allem aus deutscher Sicht seien Schuldner quasi Sünder und Gläubiger damit Wohltäter. Diese moralische Sichtweise verneble die Euro-Krise-Überwindung und lasse ganz nebenbei vergessen, dass Deutschland unter anderem durch den Marshallplan einer der größten Finanzhilfeempfänger der Geschichte ist.
Die ORF-Korrespondentin Alkyone Karamanolis meinte im Ö1-Morgenjournal, dass Wirtschaftsexperten unisono zwei Dinge für Griechenland fordern: Umschuldung und Konjunkturhilfen. Zudem müsse man zwischen Sparmaßnahmen, die zweifellos notwendig seien und die auch SYRIZA vorsehe, und der Austeritätspolitik unterscheiden. Letzteres heiße schlicht Kürzung der Staatsaugaben und Erhöhung der Einnahmen, beides auf Kosten der Bürger - mehr dazu in oe1.ORF.at.
Christian Körber, ORF.at

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