Schweizer Banken lehnen Russlands Reiche ab
Geldanlage
Russische Millionäre waren bis vor kurzem ein höchst umworbenes Klientel am Schweizer Finanzmarkt. In der Krise suchen viele von ihnen nach sicheren Konten. Doch jetzt schrecken die Geldhäuser zurück.
01.01.2015
DISKUSSION
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Welbeck Way, Hausnummer acht bis zwölf. Ein unscheinbares Backsteingebäude in einer schmalen Strasse, nahe der Oxford Street. Sie macht nicht viel her, die Firmenzentrale der Oracle Capital Group in London. Sie kommt ohne glitzernde Glasfassaden aus, braucht keine vergoldeten Türknäufe, keinen Protz.
Denn: Wer hierher kommt, der will gar nicht auffallen. Im Gegenteil, die Kunden suchen die Diskretion. Im Bankenjargon tarnt man sie «HNWI». Das Kürzel steht für High Net Worth Individuals und bedeutet zu Deutsch schlicht: Superreiche. Leute, die so viel Geld haben, dass ihre einzige Sorge darin besteht, es sicher verwahrt zu wissen.
Ihr Vermögen haben sie meist anderswo in der Welt erwirtschaftet, in China, in Osteuropa, in einem Ölstaat am Persischen Gold. Doch zuletzt hörte man im Welbeck Way vor allem eine Sprache: Russisch.
Beziehungen zum Westen vergiftet
Mag das eurasische Riesenreich auch in weiten Teilen noch so ärmlich sein, unter den Milliardären und Multimillionären dieser Welt spielen die Russen ganz vorne mit. Sie sind reich geworden mit Öl, Gas, Erzen oder auch nur mit guten Beziehungen zum Moskauer Establishment. Doch neben ihrem Reichtum eint sie derzeit auch etwas anderes: die Angst.
Die Ukraine-Krise hat die politischen Beziehungen zum Westen vergiftet, die Wirtschaft des Landes trudelt, weil sie vor allem von Energie-Exporten abhängt, die immer weniger abwerfen. Da sagen sich mehr Oligarchen denn je: Bloss raus hier. «Die Nachfragen von russischen Kunden haben deutlich zugenommen», sagt Martin Graham, der Vorstandschef der Oracle Capital Group.
Russische Millionäre bringen viel Risiko mit
Nicht nur in London, sondern vor allem auch in Genf waren reiche Russen jahrelang eine gern gesehen, weil grosszügige Klientel. Doch in den letzten Monaten hat sich das Blatt gewendet. Russische Millionäre mögen immer noch ein gutes Geschäft versprechen – doch sie bringen auch viel Risiko mit sich.
Nicht jeder von ihnen ist auf ehrenwerte Weise an sein Geld gekommen. Manch einer steht vielleicht auch jenen 160 Personen und Organisationen nahe, die die USA und die Europäische Union im Zuge des Ukraine-Konflikts auf ihre Verbotsliste gesetzt haben. Und weil die Aufsichtsbehörden genauer hinschauen denn je, dürfen sich gerade Grossbanken hier keine Fehler mehr erlauben.
So müssen die Kreditinstitute bei russischen Kunden in diesen Tagen besonders gut abwägen: Bei welchen Personen wird das Risiko zu gross?
Schweiz wichtigste Drehscheibe für Öl, Gas, Kohle
Bisher ist es so: Eidgenössische Bankiers im mondänen Genf sorgen gut für die russische Klientel. Die Verbindungen beider Länder sind eng. Vermögende Russen sind fleissige Abnehmer für hochwertige Exporte aus der Schweiz.
Vor allem aber ist die Schweiz die wichtigste Drehscheibe für Russlands Wohlstandsbringer schlechthin – die Exporte von Öl, Gas, Kohle und verschiedenen Metallen. Rund 80 Prozent des Handels damit wickeln laut Schweizer Statistiken Händler in Genf, Zürich und Lugano ab.
Schweizer Banken suchen Ersatz für Steuerflüchtlinge
Eine gewachsene Beziehung, von der auch der Rest des Schweizer Finanzsektors profitiert: Für die Vermögensverwalter und Privatbankiers sind vermögende Russen eine höchst interessante Zielgruppe.
Das gilt umso mehr, seit das bei den Russen lange besonders beliebte Zypern durch seine schwere Finanz- und Bankenkrise an Attraktivität verloren hat. Umgekehrt sucht so manche Schweizer Bank wohl Ersatz für eine andere traditionelle Klientel: Für Steuerflüchtlinge aus den benachbarten EU-Ländern ist die Schweiz nicht mehr sonderlich verlockend, seit das Bankgeheimnis des Landes auf internationalen Druck hin an entscheidenden Stellen aufgeweicht wurde.
Aufsichtsbehörden schauen genau hin
Da kommen neue Kundengruppen gerade recht. Vor allem Genf, wo man sich bereits beste Drähte zur arabischen Geldelite aufgebaut hat, gilt auch im Geschäft mit Russen als sehr aktiv. Belastbare Statistiken gibt es dazu nicht, aber umso mehr Indizien. So fällt seit Längerem auf, dass Schweizer Headhunter auffällig oft nach Privatbankern suchen, die auf Kunden aus Russland und anderen ehemaligen Sowjetrepubliken spezialisiert sind.
Das schöne Geschäft mit den reichen Russen könnte freilich noch viel schöner sein, wenn da nicht der strenge Blick der Aufsichtsbehörden wäre. So mancher Oligarch hat seinen Reichtum nun einmal auf eher zwielichtige Weise erworben – womit ihre Finanztransaktionen unter Geldwäsche fallen könnten, was die Banken wiederum melden müssen. Die Sanktionen gegen Russland machen die Sache nun noch komplizierter.
Pingelige Grossbanken
Grossbanken gelten in dieser Hinsicht inzwischen als äusserst pingelig. Sie haben verstanden, dass gerade amerikanische Aufseher bei solchen Themen keinen Spass verstehen.
So musste die französische Bank BNP Paribas im Sommer neun Milliarden Dollar Strafe zahlen, weil sie gegen Sudan- und Iran-Sanktionen verstossen hatte – obwohl die fraglichen Geschäfte gar nicht auf amerikanischem Boden abgewickelt wurden. Und zumindest in Steuerfragen haben auch Schweizer Banken den langen Arm der US-Justiz schon zu spüren bekommen.
In London sind die Folgen der Sanktionspolitik ebenfalls unübersehbar. Viele britische Banken gelten inzwischen als sehr restriktiv, wenn ein Russe ein Konto eröffnen oder einen Hauskauf finanzieren will. «Wir hören immer wieder, dass russische Bürger aufgrund ihrer Nationalität kein Konto mehr eröffnen können und keine Kredite bekommen», sagt Oracle-Capital-Chef Graham.
Viel Aufwand für die Banken
Die Schweiz ist zwar formell nicht an die EU-Sanktionen gebunden. Doch weil man nicht als Bypass für Finanzgeschäfte dienen wollte, die bei den wichtigsten Handelspartnern nun geächtet sind, hat sich die Regierung in Bern den Sanktionen im Finanzbereich de facto angeschlossen. Neugeschäfte mit Personen und Organisationen, die auf der EU-Verbotsliste stehen, sind nicht mehr erlaubt.
Das bedeutet viel zusätzliche Arbeit für die Abteilungen der Banken, die in den vergangenen Jahren trotz sonstigem Sparzwang in der Branche rapide gewachsen sind: Die sogenannten Compliance-Experten kümmern sich um die Einhaltung von Recht und Gesetz. Dazu gehört es zu klären, ob man einen neuen Kunden tatsächlich in die Bank lassen kann.
Normalerweise geht es dabei vor allem um Geldwäsche-Fragen – nun eben zusätzlich um Sanktionen. Die Zeiten, in denen ein Schweizer Bankier nicht einmal den Namen seines Kunden in den Kontoeröffnungsantrag schreiben musste und einfach per Unterschrift bestätigte, dass es sich um einen Ehrenmann handle, sind jedenfalls lange vorbei, erklärt der Compliance-Chef einer der Banken, die zu den grossen Spielern im Geschäft mit vermögenden Kunden gehört.
Umfassende Prüfung bei jedem Neukunden
«Jeder Neukunde durchläuft bei uns eine sehr umfassende Prüfung.» Das beginnt mit einer Ausweiskontrolle. Bei Unternehmen werden Handelsregister-Auszüge durchgesehen, und wenn sich dort an Schlüsselpositionen wiederum Briefkasten-Firmen finden, muss die Bank klären, wer wirklich als Eigentümer dahinter steht.
Anschliessend gilt es zu prüfen, wie der Kunde an seinen Reichtum gekommen ist. Dabei stufen die Banken ihr Gegenüber in Risikoklassen ein – wer aus einem Land kommt, das als korruptionsanfällig gilt, oder aber in einschlägigen Branchen wie dem Bergbau, der Bauwirtschaft oder dem Diamantenhandel arbeitet, kann sich sicher sein, besonders genau unter die Lupe genommen zu werden.
Gefälschte Pässe und Strohmänner
«Und dabei muss man teilweise durchaus weit zurückschauen», sagt der Banker. «Ein vermögender Interessent hat seine letzte Milliarde vielleicht völlig legal verdient, die ersten 50 Millionen aber auf hochkriminelle Weise.»
Das Problem dabei: Auch die Halunken innerhalb dieser Zielgruppe wissen natürlich um die Kontrollen. Deshalb lassen sie gleich die Finger von hoch regulierten Banken – oder aber sie geben sich einige Mühe, die Prüfer auszutricksen. Gefälschte Pässe und Strohmänner sind dabei nur der Anfang. Erfahrene Banker wissen von aufwendig konstruierten Kunstidentitäten zu berichten.
Getürkte Biografien
So sind bei einer Schweizer Grossbank schon mehrere Möchtegern-Kunden aufgeflogen, die ganze Internet-Seiten allein zu dem Zweck konstruiert hatten, die getürkte Biografie ihres Alter Egos zu belegen.
Legendär ist auf den Fluren des Geldhauses auch die Geschichte eines Osteuropäers, der sich als Honorarkonsul eines afrikanischen Landes ausgegeben hatte, inklusive Bildern, die ihn zusammen mit den wichtigsten Politikern des Staates zeigten – Fotomontagen, wie sich bei genauer Prüfung zeigte.
Mehrere Hundert Compliance-Wächter
Gerade grosse Banken haben ihre detektivischen Fähigkeiten in den vergangenen Jahren enorm ausgebaut. Wo einst eine kleine Geldwäsche-Abteilung ein Schattendasein fristete, sitzen heute mehrere Hundert Compliance-Wächter. Kunden, die nicht über jeden Zweifel erhaben sind, werden abgewiesen, behauptet der Sicherheits-Chef.
In manchen Fällen würden sogar eigens Privatdetektive eingesetzt, doch weil man nur den besten ihres Fachs vertraue, werde das schnell teuer. «Das lohnt sich nur bei sehr grossen Kunden – kleinere wird man im Zweifel einfach abweisen.»
Desaster für Kundenberater
Bei ihren Kollegen machen sich die Prüfer damit nicht beliebt. Der Compliance-Chef erinnert sich daran, dass er erst jüngst einen schwer reichen Anleger abgewiesen hat, der seiner Bank satte 100 Millionen Euro anvertrauen wollte – ein Desaster für den Kundenberater, dessen Karriere von der Akquise eines solchen Riesenkunden wohl erheblich profitiert hätte.
Die Bankführung wisse jedoch um die Bedeutung der Kontrollen, glaubt der Compliance-Mann: «Die Leute im Kundengeschäft geben Gas, wir sitzen an der Bremse – aber ein Formel-1-Rennen gewinnt man schliesslich auch nur, wenn man bremst, wo es nötig ist.»
Wende innert 18 Monaten
Und doch hält so mancher in der Branche die Vorsicht inzwischen für übertrieben. «Es ist eine paradoxe Situation: Viele Leute wollen nach London kommen, sie werden aber nicht mehr willkommen geheissen», sagt Oracle-Chef Graham. Vor 18 Monaten dagegen, vor Beginn der Ukraine-Krise, hätten Londoner Banken russischen Kunden den roten Teppich ausgerollt. «Mit denen will man nun keine Geschäfte mehr machen», sagt der Brite.
Betroffen seien nicht nur Kunden, denen gute Beziehungen zum Kreml nachgesagt werden. «Bei uns melden sich Leute, die sich selber ein Vermögen aufgebaut haben und die ihr Geld möglichst sicher anlegen wollen», erklärt Graham. «Auch die werden abgewiesen.»
Es profitieren die Chinesen
Der Millionärs-Berater glaubt, dass die Skandale der Vergangenheit – Kursmanipulationen, Steuervermeidung und Schwarzgeld-Konten – die Banken übervorsichtig gemacht haben. «Russische Kunden sind eine Zielgruppe, die die Banken zurzeit am liebsten nicht anfassen.» Offiziell wollen sich deutsche und internationale Banken erst gar nicht zu der Klientel äussern.
Und doch wäre es naiv zu glauben, dass ein reicher Russe, der sein Geld ausser Landes schaffen will, keinen Tresor dafür findet. Von der Scheu der Grossbanken profitieren unter anderem chinesische Geldhäuser, denen weniger Berührungsängste nachgesagt werden. Oder auch Firmen wie Oracle Capital, die für sich reklamieren, weniger bürokratisch zu sein als Grossbanken.
Über Nacht Hundert Millonen Dollar
Wobei auch hier Vorsicht herrsche, wie Martin Graham versichert. «Zwei oder drei unserer Mitarbeiter prüfen die Dokumente und Nachweise, dazu beauftragen wir Privatdetektive.» Man hole auch im Umfeld des potenziellen Kunden Informationen ein. Obwohl es nur selten vorkomme, dass jemand mit gefälschten Dokumenten arbeitet, lehnt Oracle Capital deutlich mehr Kunden ab, als es Kunden annimmt.
«Manchmal gibt es seltsame Anfragen», gibt der Vermögensexperte zu. «Wenn jemand über Nacht mehrere Hundert Millionen Dollar von einem Land ins andere überweisen will, werden wir schon stutzig.» Wie viele solcher Anfragen er in letzter Zeit erhalten hat und ob sie aus Städten wie Moskau oder St. Petersburg kamen, will Graham allerdings nicht verraten.
Dieser Artikel ist zuerst in unserer Schwester-Publikation «Die Welt» erschienen.
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