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Sonntag, 1. Februar 2015

Trotz Troika-Rauswurf Neues Geld für Griechen gesucht Jean-Claude Juncker bereitet Verhandlungen mit Athen vor. Der EU-Kommissionspräsident hat auch schon eine Idee, wo Geld herkommt.


Trotz Troika-RauswurfNeues Geld für Griechen gesucht

Jean-Claude Juncker bereitet Verhandlungen mit Athen vor. Der EU-Kommissionspräsident hat auch schon eine Idee, wo Geld herkommt.
© DPAVergrößernDie Fahnen der EU und Griechenlands flattern vor der Akropolis in Athen im Wind.
Die EU-Kommission unter ihrem Präsidenten Jean-Claude Juncker ist fest entschlossen, Griechenland in der Eurozone und in der Europäischen Union zu halten. Mit Juncker werde es keinen „Grexit“ geben, heißt es aus seiner Umgebung. Man sei zwar „beunruhigt“ über die Provokationen aus Athen. Doch verdecke die „grauenhafte“ Rhetorik, dass der neue Ministerpräsident Alexis Tsipras sehr wohl zu konstruktiven Verhandlungen über einen neuen Hilfspakt mit Strukturreformen bereit sei. Sie sollen am kommenden Mittwoch beginnen, wenn Juncker den neuen Ministerpräsidenten in Brüssel empfängt. Die Kommission hat sogar schon einen Notfallplan entwickelt, um Griechenland bis zum Sommer mit Geld zu versorgen.
Am Freitag hatte der griechische Finanzminister Giannis Varoufakis die Zusammenarbeit mit den internationalen Geldgebern des Landes, der sogenannten Troika aus Internationalem Währungsfonds, Europäischer Zentralbank und EU-Kommission, abrupt für beendet erklärt. Athen verzichte auf die letzte Tranche des laufenden Hilfsprogramms und werde nicht mehr mit der Troika zusammenarbeiten, kündigte Varoufakis nach einem Gespräch mit dem Niederländer Jeroen Dijsselbloem an, der die Gruppe der Eurostaaten vertritt.
© DPA, REUTERSVergrößernGriechische Regierung wirft die Troika raus
Im Umfeld Junckers wird dieser „Eklat“ heruntergespielt und darauf verwiesen, dass Varoufakis nur das verhasste Symbol der „Troika“ abgelehnt habe, nicht jedoch eine Zusammenarbeit mit den darin vertretenen Institutionen. Juncker habe Verständnis dafür. In einem Gespräch mit der französischen Zeitung „Le Figaro“ hatte er diese Woche gesagt, er sehe keine schnelle Rückkehr der Troika nach Athen, denn das könne wie eine Provokation wirken.
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In Brüssel wird die Troika schon seit längerem kritisch gesehen. Sie gilt als undemokratisch. Außerdem hatte kürzlich der Generalanwalt am Europäischen Gerichtshof verlangt, dass sich die EZB aus der Planung von Reformprogrammen heraushält, solange sie Staatsanleihen der betroffenen Länder kauft – das widerspricht dem Troika-Modell. Am IWF wird bisweilen bemängelt, seine Auflagen seien sozial unausgewogen. So hält Juncker es für richtig, dass Tsipras den Mindestlohn erhöhen will.
Offenbar war Tsipras am Freitag selbst daran gelegen, die Wogen zu glätten. Nach F.A.S.-Informationen rief er am späten Abend sowohl Juncker als auch EU-Parlamentspräsident Martin Schulz an, um die Äußerungen seines Finanzministers zu relativieren. „Vielleicht bringt Alexis Tsipras noch mal Ordnung in seine Regierung“, sagte Schulz der F.A.S. Und weiter: „Wenn die griechische Regierung wirklich nicht mehr mit den Geldgebern auf der bisherigen Grundlage zusammenarbeiten will, dann halte ich das für verantwortungslos.“ Die Zusammenarbeit laufe ohnehin Ende Februar aus. „Über neue Formen muss verhandelt werden, das geht nur im Wege des Konsenses und nicht der Provokation“, so Schulz.

Tsipras verzichtet auf 1,8 Milliarden Euro

Tsipras reist Anfang der neuen Woche nach Zypern, Rom und Paris, bevor er Juncker in Brüssel trifft. Offenbar bemüht er sich darum, dort Verbündete zu gewinnen. In der EU-Kommission wird jedoch erwartet, dass es ihm nicht gelingt, einen Keil in die EU zu treiben. Juncker hat sich eng mit den jeweiligen Regierungschefs abgestimmt, um sicherzustellen, dass Tsipras allerorten dieselbe Botschaft hört: dass er eine Lösung im Konsens mit allen EU-Staaten finden müsse und ein Schuldenschnitt nicht in Frage komme.
Griechenland hat nicht viel Zeit. Wenn Athen an seiner starren Haltung festhält, verzichtet es auf 1,8 Milliarden Euro aus dem laufenden Hilfsprogramm. Außerdem bringt es seinen Bankensektor in Gefahr. Die Europäische Zentralbank akzeptiert nämlich nur deshalb die schlecht bewerteten griechischen Staatsanleihen als Sicherheiten, weil das Land „Programmland“ ist.
Andernfalls darf sie Athen nicht mehr auf normalem Weg mit Geld versorgen. Das finnische EZB-Ratsmitglied Erkki Liikanen stellte am Samstag unmissverständlich klar: Wenn bis Ende Februar keine Lösung für eine Verlängerung der griechischen Hilfspakete gefunden sei, müsse die EZB die Kreditvergabe einstellen.

Durchwursteln bis Juli

Dann gäbe es noch die Möglichkeit, dass die griechische Notenbank die Banken des Landes über Notfallkredite mit Geld versorgt – so geschehen in Zypern 2013 und auch schon in Griechenland. Bei einer Staatspleite würden dann aber andere Notenbanken und die Gemeinschaft mithaften. Die EZB könnte mit zwei Dritteln ihrer Mitglieder ein Veto gegen Notkredite einlegen.
Eine Option ohne europäische Mitsprache wäre für den griechischen Staat, kurzfristige Anleihen aufzulegen, sogenannte T-Bills, und sie an griechische Banken zu verkaufen. Möglicherweise lässt sich auch Geld aus den Sozialversicherungen umlenken. Eine Zeitlang könnte die Regierung Rechnungen nicht bezahlen und Lieferanten, etwa aus der Bauwirtschaft oder dem Gesundheitswesen, auf ihr Geld warten lassen. Spätestens im Juli müsste aber Schluss sein mit Durchwursteln. Denn dann werden zwei große griechische Staatsanleihen fällig, mit einem Volumen von zusammen 3,5 Milliarden Euro.

Ein „Dirty Exit“

Aus diesem Grund erwägt die EU-Kommission einen anderen Ausweg, um Zeit für Verhandlungen mit Griechenland über einen neuen Hilfspakt zu gewinnen. Dazu könnte ein Fonds umgewidmet werden, der für die Stabilisierung der griechischen Banken aufgelegt wurde. Im sogenannten Hellenic Financial Stability Fonds stehen noch 7 Milliarden Euro zur Verfügung. Damit könnte Athen bis zum Sommer durchhalten. Allerdings müssten die Mitgliedstaaten zustimmen und in vier Fällen auch die Parlamente: Deutschland, Estland, Finnland und die Niederlande – allesamt Länder, die Wert legen auf solide Finanzpolitik.
Der haushaltspolitische Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, Norbert Barthle (CDU), ist skeptisch gegenüber dieser Idee. In der Regierungskoalition gebe es wenig Bereitschaft, den Griechen weiter entgegenzukommen, der Spielraum sei weitgehend ausgereizt. Der Bundestag werde nur Hilfskredite genehmigen, die konditioniert seien und kontrolliert würden.
Das einseitige Vorgehen Athens sei ein „Dirty Exit“, ein eklatanter Verstoß gegen die Vereinbarungen. „Ich sehe dann keine Basis für ein Anschlussprogramm“, so Barthle. Ähnlich äußert sich der stellvertretende Fraktionsvorsitzende Hans-Peter Friedrich von der CSU: „Die EU ist den Griechen schon weit genug entgegengekommen, die Griechen müssen sich daran gewöhnen, ihre Probleme in erster Linie selbst zu lösen.“
Die Bundesregierung hält sich weiter mit Ratschlägen zurück. Hervorgehoben wird, dass Griechenland, was immer es tue, Deutschland keine größeren Sorgen mehr verursachen könne. Am Ende benötige Griechenland Deutschland mehr als umgekehrt. Mit einer leichten Verwunderung wird registriert, dass europäische Politiker wie Schulz „Hals über Kopf“ nach Athen geflogen seien. Üblicherweise fahre ein neuer Regierungschef zum Antrittsbesuch nach Brüssel. Griechenland müsse sich an seine Verpflichtungen halten, heißt es. Verwundert zeigt man sich darüber, dass die neue griechische Regierung durch ihre Avancen gegenüber Moskau sogleich den Rest Europas gegen sich aufgebracht habe. Das sei unklug gewesen.

Börse reagiert empfindlich auf Tsipras

Außenminister Steinmeier hat sich nach Angaben aus dem Auswärtigen Amt zu einem baldigen Treffen mit seinem griechischen Kollegen Nikos Kotzias in Berlin verabredet. Das Finanzministerium wies einen Bericht des „Spiegel“ zurück, dem zufolge ein weiteres Hilfspaket für Griechenland mit einem Volumen von zwanzig Milliarden Euro in Vorbereitung sei. „Das trifft nicht zu“, sagte ein Sprecher des Ministeriums, die Frage stelle sich derzeit gar nicht. Auch die genannte Zahl sei „völlig spekulativ“.
Die EU-Staaten und die Regierung Tsipras müssen bei allen kommenden Schritten die Finanzmärkte im Blick behalten. Nachdem Griechenland am Freitag die Zusammenarbeit mit der Troika aufgekündigt hatte, schossen die Zinsen für Staatsanleihen wieder in die Höhe. Die Rendite von Anleihen mit dreijähriger Laufzeit stieg auf 18,8 Prozent – das war etwa doppelt so viel wie in der Vorwoche. Die Kurse griechischer Bankaktien stürzten ab. Mit weiteren Reaktionen der Anleger am Montag ist zu rechnen.

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