JÜRGEN HILLEBRAND
Kleinanleger
gegen Rating-Riesen
Ein 63-jähriger Rentner hat vor dem Bundesgerichtshof
durchgesetzt, dass auch in Deutschland künftig Klagen
gegen die Ratingagentur Standard & Poor’s möglich sind
► Der Ingenieur verlangt von
der Agentur Schadensersatz
für seine Lehman-Zertifikate.
► DasUrteil macht Zehntausenden Anlegern Hoffnung.
Massimo Bognanni
Düsseldorf
Die Kontrahenten könnten ungleicher kaum
sein: Auf der einen Seite Jürgen Hillebrand,
Frührentner aus dem
friesischen 25 000-EinwohnerStädtchenVarel, der sich um seine
Ersparnisse betrogen fühlt. Auf der
anderen Seite die Ratingagentur
Standard & Poor’s (S&P), Hauptsitz
NewYorkCity, neben der selbst Regierungschefs machtlos wirken.
In dem ungleichen Kampf hat
Rentner Hillebrand, für den das die
erste Klage war, jetzt einen ersten
Erfolg erfochten. Mit einemVerfahrenvor dem Bundesgerichtshof erreichte er, dass erstmals eine Klage
gegen S&P in Deutschland höchstinstanzlich zugelassen wurde. Ein
Beschluss, der auch für Zehntausende weitere Anleger eine Signalwirkung haben könnte.
Als erster deutscher Anleger
überhaupt hatte der Ingenieur vor
fünf Jahren gegen die Agentur auf
Schadensersatz geklagt.Grundwar
das S&P-Rating der „Alpha Express“-Zertifikate der inzwischen
insolventen Investmentbank Lehman Brothers. Als Kleinanleger hatte Hillebrand im Mai 2008 LehmanZertifikate imWert von 30 000 Euro erworben, vor allem wegen der
guten Ratings, wie er sagt.
Tatsächlich stufte S&P die Lehman-Papiere zum Kaufzeitpunkt
mit einem sehr guten „A+“ ein,
selbstwenigeTagevor der Insolvenz
betrug das Rating die noch gute Stufe „A“. Damals hätten der Agentur
die Risiken längst bekannt gewesen
sein müssen, sagt Kläger-Anwalt
Jens-PeterGieschen. Er fordert nun
30 000 Euro Schadensersatz für die
Lehman-Papiere seines Mandanten. Hillebrand selbst sagt: „Ich hoffe, dass ich mein Geld wiedersehe
und weiteren Lehman-Anlegern
denWeg für selbiges bereite.“
S&Pweist dieVorwürfe indesvon
sich: „Wir sind der Auffassung, dass
diese Art Beschuldigungen völlig
haltlos sind. Wir kommentieren
Rechtsangelegenheiten generell
nicht“, sagte die Deutschland-Sprecherin der Agentur.
Das Urteil könnte deutsche
Rechtsgeschichte schreiben. Die
BGH-Richter beriefen sich in ihrem
Beschluss vom 13. Dezember 2012,
das dem Handelsblatt exklusiv vorliegt und nun veröffentlicht wird,
auf einGesetz von 1877, das für klagende „Inländer“ die Zuständigkeit
deutscher Gerichte vorsieht. „Entscheidendwar, dass der Kläger seinen Wohnsitz in Deutschland hat.
Das Gericht wertete das als hinreichenden Inlandsbezug“, sagt BGHSprecherin DietlindWeinland.
Klägeranwalt Gieschen von der
Kanzlei KWAGwertet das Urteil als
einen Durchbruch für Klagen gegen
Ratingagenturen in Deutschland.
„Allen Anlegern, die sich aufgrund
von Ratings für eine Kapitalanlage
in Deutschland entschlossen haben, ist nun der Weg zu den deutschen Gerichten geebnet“, sagt er.
Anlegerschützer rechnen mit
weiteren Klagen gegen die Agentur.
Allein in Deutschland verloren
50 000 Menschen ihr Geld durch
die Zertifikate der Pleitebank.
Von seinem Sieg vor Gericht erfuhr Hillebrandwährend seines Urlaubs in Florida. Per E-Mail erreichte den 63-Jährigen das wegweisende Urteil. „Ich hoffe, damit wurde
ein Stein ins Rollen gebracht. Eswä-
re großartig, wenn durch meinen
Prozess die Rolle der Ratingagenturen weiter durchleuchtet würde“,
sagte der ehemalige Tüv-Sachverständige und zweifache Vater.
Hillebrands Klage fällt in eine
Zeit, in der S&P zunehmend unter
Druck gerät. Das Europaparlament
hat gestern strengere Regeln für Ratingagenturen beschlossen – demnach sollen die Agenturen für grobe
Fehler haftbar gemacht werden.
Erst im November vergangenen
Jahres verurteilte ein australisches
Bundesgericht S&P zu Schadensersatzzahlungen in Höhe von 30 Millionen Australischen Dollar.Geklagt
hatten Gemeinden, die Millionenbeträge in komplizierte Finanzprodukte mit dem S&P-Rating „AAA“
investiert hatten. Während der Finanzkriseverloren sie ihrGeld. Die
Ratingagentur musste für die falsche Einschätzung haften.
Ob Hillebrands Klage in Deutschland Erfolg hat, kommt vor allem
darauf an, ob in dem Prozess deutsches oder amerikanische Recht angewandtwird, sagtWolfgang Däubler, Professor für Wirtschaftsrecht
der Uni Bremen. „Nach deutschem
Recht ist die Sache relativ klar: Es
liegt ein schuldhaftesVerhaltenvon
S&P vor.“ Denn in dem Ratingvertrag zwischen S&P und Lehman
Brothers liege ein Vertrag mit
Schutzwirkung für Dritte vor. „Alle
haben sich auf das S&P-Rating verlassen. Da schon Monate vor der
Pleite über die Probleme bei Lehman öffentlich gesprochen wurde,
hätte S&P die Bank zumindest auf
eine Watchlist setzen müssen“, so
Däubler.WenigerChancen habe die
Klage nach Ansicht des Experten,
wenn dasVerfahren nach US-Recht
verhandelt werde.
Unabhängig davon, welches
Recht zum Einsatz kommt: Es
wird noch dauern, bis der Schadensersatzprozess eröffnet werden kann. Denn laut Bundesgerichtshof ist zu prüfen, ob die Klage S&P formal richtig zugestellt
worden ist. Das Landgericht
Frankfurt hatte die Klage 2008 an
eine Adresse verschickt, die auf
der S&P-Homepage unter „Office“
angeführt wurde. Das Unternehmen bestritt den Eingang der Klage. Jetzt muss erneut ein Gericht
klären, ob formal alles richtig gelaufen ist.
Falls nicht, muss Hillebrand seine Klage erneut einreichen. Doch
das macht ihm nichts aus. Er hat
Geduld. Den Kampf gegen den Rating-Riesen will er gewinnen.
Handelsblatt Print 17.1.2013 S 46
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