StaatsschuldenkriseArgentiniens Schuldenpoker geht in eine neue Runde
Von Januar an könnte die argentinische Regierung rebellische Gläubiger leichter auszahlen. Doch Präsidentin Kirchner steuert einen harten Kurs gegen die „Geierfonds“ – und macht sich damit beim Volk beliebt.
01.01.2015, von CARL MOSES, BUENOS AIRES
© AFPDie regierungsnahe Bewegung San Martin feiert Präsidentin Cristina Kirchner für ihren Widerstand gegen Hedgefonds.
In dem scheinbar endlosen Pokerspiel zwischen Argentinien und seinen Gläubigern werden die Karten im Januar wieder einmal neu gemischt. Zum Jahresende läuft eine Klausel der Umschuldungsverträge von 2005 und 2010 aus, die Argentinien verpflichtete, bei weiteren Umschuldungen allen Gläubigern gleiche Konditionen einzuräumen.
Damit wächst der Verhandlungsspielraum der Regierung gegenüber jenen Gläubigern, die frühere Umschuldungen abgelehnt hatten, weil sie den von Argentinien verlangten Forderungsverzicht nicht akzeptieren wollten. Argentinien könnte die Umschuldungsverweigerer (Holdouts) nun auszahlen, ohne bei den bereits umgeschuldeten Anleihen nachbessern zu müssen.
Damit könnte das Land Zugang zu neuen Krediten erlangen. Es deutet indes nicht viel darauf hin, dass Staatspräsidentin Cristina Kirchner bereit ist, den neuen Spielraum zu nutzen.
Forderungen der Gläubiger nicht nachgekommen
Zu Erinnerung: Im Dezember 2001 hatte Argentinien den bis dahin größten Bankrott eines souveränen Staates deklariert. Mehr als 100 Milliarden Dollar Schulden waren seinerzeit notleidend geworden. In mehreren Umschuldungsrunden konnte Argentinien bei insgesamt 93 Prozent seiner Anleihegläubiger einen Verzicht auf mehr als zwei Drittel der Forderungen durchsetzen.
Mehr zum Thema
- Argentiniens Zentralbankchef Fabregas tritt zurück
- Argentinien will Blockierung von Zahlungen an Gläubiger umgehen
- Argentinien gegen Hedgefonds: Wie geht es weiter im Schuldenstreit?
Von den restlichen 7 Prozent der Gläubiger, die diesen harten Schnitt nicht akzeptieren wollten, klagten viele vor Gerichten in aller Welt ihre Forderungen ein. Meist mit Erfolg. Die Vollstreckung der Urteile gegen das widerspenstige Argentinien fiel jedoch schwer.
Zwar konnten Gläubiger vorübergehend ein Schulschiff der argentinischen Marine in Afrika festsetzen. Selbst vermeintlichen Korruptionsgeldern der Kirchner-Regierung auf ausländischen Konten sind sie auf der Spur. Doch mehr als Medienwirbel erreichten die Gläubiger mit solchen Aktionen bisher nicht.
Hedgefonds sind „Aasgeier“
Einen wirksamen Hebel fanden Hedgefonds unter Führung des amerikanischen Milliardärs Paul Singer jedoch 2012 vor einem Gericht in New York. Der Richter Thomas Griesa verurteilte Argentinien nicht nur zur vollen Zahlung aller Schulden und aufgelaufenen Zinsen, obwohl die Hedgefonds argentinische Anleihen nach der Staatspleite zu Spottpreisen aufgekauft hatten.
Der betagte Richter verfügte zudem, dass Argentinien seine umgeschuldeten Anleihen erst dann bedienen darf, wenn es die Altschulden voll getilgt hat. Alte und neue Anleihen waren nach amerikanischem Recht begeben worden, alle Zahlungsströme laufen über New York.
Argentiniens Regierung weigert sich bis heute, dem Urteil Folge zu leisten. Zum einen aus Prinzip. Präsidentin Kirchner sagt, die Hedgefonds, die sie als „Aasgeier“ bezeichnet, hätten kein Recht, mehr Geld zu erhalten als jene Gläubiger, die hohe Abschläge akzeptiert haben.
Kosten sind schnell wieder hereingeholt
Zum anderen fürchtete die Regierung, dass die Besitzer der umgeschuldeten Anleihen aufgrund der Nachbesserungsklausel (Rufo) rückwirkend die gleichen Konditionen wie die Hedgefonds fordern könnten. Das hätte neue, unbezahlbare Forderungen von bis zu 500 Milliarden Dollar schaffen können, so viel wie das gesamte Bruttoinlandsprodukt (BIP) Argentiniens.
Doch nun läuft die Klausel aus. Eine Auszahlung aller Umschuldungsverweigerer würde nicht mehr als 3 Prozent des BIP kosten, kalkuliert die Analysefirma Econométrica. Argentinien würde Zugang zu neuen, wesentlich billigeren Krediten erhalten, auch die Finanzierungskosten der Unternehmen würden drastisch sinken. Damit wären die Kosten schnell wieder hereingeholt, argumentieren Finanzexperten.
Richter blockiert Argentiniens Zahlungen
Ursprünglich hatte die Regierung vielleicht tatsächlich geplant, die Holdouts nach dem Wegfall der Rufo-Klausel auszuzahlen. Die Verpflichtungen aus dem New Yorker Urteil wollte sie durch Berufungsverfahren bis dahin hinausschieben. Doch als das Oberste Gericht der Vereinigten Staaten im Juni den letzten Revisionsantrag Argentiniens abwies, wurden das Urteil von Richter Griesa wirksam und Zahlungen von 1,6 Milliarden Dollar an die Hedgefonds unmittelbar fällig.
Die Fronten verhärteten sich. Da Argentinien die Zahlung verweigerte, blockiert das New Yorker Gericht seit Jahresmitte Argentiniens Zahlungen an die Gläubiger der umgeschuldeten Staatspapiere. Für Ratingagenturen gilt Argentinien darum abermals als teilweise zahlungsunfähig. Die Regierung weist dies zurück, da sie alle fälligen Zahlungen pünktlich bei Banken deponiert habe. Doch wegen Griesas Veto kommt bei den Gläubigern nichts an.
Kirchner erfreut sich großer Beliebtheit
Der zweite Zahlungsausfall innerhalb von zwölf Jahren hat die Rezession in der argentinischen Wirtschaft verschärft. Das BIP ist 2014 um etwa 2 Prozent gefallen. Doch die Popularität von Präsidentin Kirchner ist aufgrund ihrer harten Haltung gegenüber den Hedgefonds wieder gestiegen.
Im Wahljahr 2015 könne Kirchners Schlachtruf „Vaterland oder Geier“ sehr nutzbringend sein, meint Rodrigo Álvarez, Chef der Beratungsfirma Analytica. Zwar darf Kirchner laut Verfassung nicht mehr selbst kandidieren. Doch will sie ihren Einfluss als Königsmacherin oder aber als machtvolle Führerin der Opposition zementieren.
Immer weniger Beobachter glauben, dass die Regierung ab Januar eine rasche Einigung mit den Gläubigern anstreben wird. Wahrscheinlich werde sie neue Verhandlungen beginnen, ihre Haltung dabei jedoch von der Entwicklung der Umstände abhängig machen, erwartet die Bank JP Morgan.
Abwertung des Peso wird notwendig
Zuletzt war es Regierung und Zentralbank gelungen, den bedrohlichen Schwund der Devisenreserven zu stoppen. Seit drei Jahren wird die Zuteilung der knappen Devisen streng rationiert. Das lässt sich ein weiteres Jahr durchhalten, meint Gustavo Cañonero, Argentinien-Fachmann der Deutschen Bank.
Zumal die Regierung jüngst kurzfristige Kredite aus China lockermachen konnte, um die notwendigsten Importe zu finanzieren. Das wachsende Defizit im Staatshaushalt wird schon seit Jahren durch die Notenpresse finanziert.
Um die auf 40 Prozent beschleunigte Inflation nicht noch mehr anzuheizen, ist die Zentralbank dazu übergegangen, die Liquidität durch die Ausgabe von kurzfristigen Geldmarktpapieren wieder abzuschöpfen, obgleich dies die Rezession verschärft. Die Regierung finanzierte sich zuletzt durch Peso-Anleihen, deren Kapital an die Entwicklung des Dollarkurses gebunden ist. Die Zeche zahlen müsste die nächste Regierung, die kaum um eine drastische Abwertung des Peso herumkommen wird.
Gläubiger setzen auf Vernunft der nächsten Regierung
Die Regierung hätte nur dann einen Anreiz, sich mit den Holdouts zu einigen, wenn ihr das frische Devisen zur Ankurbelung der Wirtschaft bringen würde, meint Daniel Artana, Chefökonom der Forschungsstiftung FIEL. Dazu müsse allerdings auch die Überbewertung des Peso korrigiert werden. Sonst hielten ausländische Investoren ihre Kapitalanlagen weiter zurück, so Artana. Die Regierung setzt indes alles daran, eine unpopuläre Abwertung vor den Wahlen im Oktober 2015 zu vermeiden.
Je näher die Präsidentenwahl rückt, desto stärker könnten Argentiniens Chancen auf zusätzliche Kredite aber auch ohne eine Einigung mit den Holdouts steigen. „Der Grund ist einfach“, erklärt der Wirtschaftsprofessor Juan Llach von der IAE Business School: „Alle glauben, dass die nächste Regierung, die die Kredite später zurückzahlen muss, vernünftiger sein wird als die gegenwärtige.“
Selbst der bisher aussichtsreichste Kandidat des Regierungslagers gilt als wesentlich marktfreundlicher als Kirchner. Auch Cañonero von der Deutschen Bank glaubt nicht, dass es vor dem Regierungswechsel zu einem Ausgleich mit den Gläubigern kommen wird: „Diese Regierung will die Bedingungen nicht akzeptieren, und die Holdouts werden es vorziehen, auf die nächste Regierung zu warten.“
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen