Argentiniens BörseSchlechte Lage, aber viel Hoffnung
Argentiniens Börse setzt auf den Regierungswechsel. Manch Analyst sieht unabhängig vom Wahlausgang Gewinnpotential und empfiehlt Anlegern Positionen in Gaucho-Aktien aufzubauen.
20.10.2015
© REUTERSHändler an der Börse in Buenos Aires. Gegenüber Jahresbeginn liegt der Aktienindex Merval 30 Prozent im Plus.
Jedes Jahr im argentinischen Frühling trifft sich Argentiniens Wirtschaftselite im Atlantikseebad Mar del Plata zu dem Unternehmer-Kolloquium IDEA. Seit Jahren war die Stimmung bei dieser dem Davoser Weltwirtschaftsforum nachempfundenen Veranstaltung nicht mehr so von Optimismus geprägt wie bei der jüngsten Auflage in der vergangenen Woche. Dies liegt sicher nicht an dem bescheidenen Aufschwung der Konjunktur, den die Regierung vor der am kommenden Sonntag anstehenden Präsidentenwahlenmit einer äußerst expansiven Geld- und Fiskalpolitik in den letzten Monaten hochgepäppelt hat. Nach der Rezession 2014 wird Argentiniens Wirtschaft im laufenden Jahr gerade mal um etwa ein Prozent wachsen.
Angesichts des schweren Erbes, das die aus dem Amt scheidende Staatspräsidentin Cristina Fernández de Kirchner in der Wirtschaft hinterlässt, wird auch für 2016 kein kräftiger Aufschwung erwartet. Im Gegenteil, die Bank JP Morgan hat gerade ihre Wachstumsprognose für Argentinien scharf nach unten revidiert und erwartet nun 2016 einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 0,5 Prozent. Nächstes Jahr werde die Wirtschaft durch die Kosten des nicht nachhaltigen Konsumschubs im Wahljahr 2015 belastet, so die Argentinien-Experten der Bank.
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Das Staatsdefizit steuert auf 8 Prozent des BIP zu, die Inflationsrate von 27 Prozent ist eine der höchsten der Welt, und das, obwohl die Regierung den Wechselkurs und viele Preise eingefroren hält. Aufgrund der ungelösten Schuldenkonflikte aus dem Staatsbankrott von 2001 hat Argentinien kaum Zugang zu internationalen Krediten. Die Nettodevisenreserven decken nicht einmal mehr den Importbedarf eines Monats. Die Sojapreise sind im Keller. Dazu kommen die Krise und die drastische Abwertung beim wichtigsten Handelspartner Brasilien, dessen Währung in einem Jahr 40 Prozent an Wert verloren hat. Das Gesamtbild der argentinischen Wirtschaft sei „schreckenerregend“, konstatiert Orlando Ferreres von der Beratungsfirma OJF.
Börse nimmt die erwartete Neuorientierung der Wirtschaftspolitik schon vorweg
Die trotz alledem gestiegene Zuversicht der Unternehmer gründet sich auf die Erwartung, dass sich das Geschäfts- und Investitionsklima unter der nächsten Regierung deutlich bessern wird - unabhängig vom Ausgang der Wahlen. Selbst die Berater des peronistischen Regierungskandidaten Daniel Scioli, der in den Umfragen klar vorne liegt, sprechen sich für Änderungen am Wirtschaftskurs der Kirchner-Regierung aus. Die Staatschefin musste Sciolis Kandidatur widerwillig unterstützen, da sie keinen Nachfolger aus ihrer engen Gefolgschaft aufgebaut hat und selbst nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten darf.
Unter dem bislang aussichtsreichsten Oppositionskandidaten, dem liberal-konservativen Mauricio Macri, der in der Unternehmerschaft den größten Rückhalt findet, in den Umfragen zuletzt aber schwächelte, würden beherztere Reformschritte erwartet. Auch der regierungskritische Peronist Sergio Massa, der in den Umfragen zuletzt aufholt, wird von einem Team erfahrener Ökonomen begleitet, die einen klaren Kurswechsel propagieren. Vor allem Macri hat noch Chancen, eine Stichwahl gegen Scioli zu erzwingen.
Die Börse nimmt die erwartete Neuorientierung der Wirtschaftspolitik schon vorweg. Gegenüber Jahresbeginn liegt der Aktienindex Merval 30 Prozent im Plus. Auf Dollarbasis gewinnt er rund 15 Prozent, während die Börsen von Brasilien und Kolumbien in Dollarwerten dieses Jahr um mehr als 30 Prozent eingebrochen sind. Allerdings haben diese Länder ihre Währungen drastisch abgewertet. In Argentinien könnte das nach der Wahl bevorstehen, erwarten viele Beobachter, denn der Peso gilt als deutlich überteuert.
Analysten optimistisch
Analysten der Bank UBS sehen unabhängig vom Wahlausgang Gewinnpotential und empfehlen Anlegern, „einige Positionen in argentinischen Aktien aufzubauen“. Die Unterschiede zwischen den Kandidaten seien nur graduell. Mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 6, das um 46 Prozent unter dem langfristigen Durchschnitt liege, seien argentinische Aktien derzeit „billig“. Ausländische Anleger könnten angesichts der strengen Devisenkontrollen in Argentinien am besten über den Erwerb von Hinterlegungsscheinen argentinischer Aktien an amerikanischen Börsen (ADR) einsteigen. Mit 15 Titeln ist die Auswahl nicht groß. Von der erwarteten Abwertung des Pesos könnten exportstarke Unternehmen wie der Stahlproduzent Ternium oder der Agrarkonzern Cresud profitieren, von der kaum vermeidbaren Erhöhung der Energiepreise die Gruppe Pampa, der am stärksten integrierte Stromkonzern Argentiniens. Die staatlich kontrollierte Ölgesellschaft YPF wäre eine langfristige Wette auf Argentiniens enorme Schiefergasreserven.
Bankwerte wie Galicia, Macro oder BBVA Banco Francés würden besonders von einer Normalisierung der Kreditbeziehungen Argentiniens zum Rest der Welt profitieren. Alle Kandidaten dürften sich bemühen, eine rasche Einigung mit jenen Gläubigern zu erzielen, die Argentiniens Umschuldungen 2005 und 2010 abgelehnt hatten und über ein Gericht in New York seit Mitte 2014 die Zahlungen auf argentinische Schuldtitel blockieren. Ohne den Zugang zu neuen Krediten könnte es der nächsten Regierung schwerfallen, die für einen dauerhaften Wirtschaftsaufschwung benötigten Devisen ins Land zu locken. Im Gespräch sind auch weitere Kredite aus China, die Argentinien im laufenden Jahr über Wasser gehalten haben. Zudem planen alle Kandidaten eine neue Steueramnestie, um einen großen Teil der auf bis zu 60 Prozent des argentinischen BIP geschätzten Auslandsanlagen der Argentinier ins Land zurückzuführen. Ein Teil davon könnte auch an die Börse fließen.
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